Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Hilfsprogramme sollen Zukunftssorgen mildern
Von bürokratischen Hürden bei den Coronahilfen am Bodensee
TETTNANG/FRIEDRICHSHAFEN Mit der Bazooka hatte Finanzminister Scholz versprochen, in der Coronazeit Hilfsgelder an strauchelnde Unternehmen herauszuschießen. Zunächst klemmte offenbar der Abzug. Anfang 2020 klagten viele Unternehmer über lange Wartezeiten bei der Auszahlung der Soforthilfen. Doch wie sieht es gut ein Jahr später aus? Haben Programme wie die November-/Dezemberhilfe oder die Übergangshilfe III die Betroffenen in der Region erreicht? Schwaebische.de hat sich umgehört.
Die Reisebranche leidet sehr unter der Corona-Pandemie, bestätigt Jürgen Niedermaier, Inhaber der Reisewelt Montfort in der Tettnanger Karlstraße. Und die Vorgaben, um finanzielle Hilfen beantragen zu können, seien für Reisebüros äußerst komplex. Bei den ersten beiden Hilfsprogrammen sei dies noch verhältnismäßig einfach gewesen und habe gut geklappt, meint Niedermaier. Doch für die sogenannte Überbrückungshilfe III, die Niedermaier nun ebenfalls noch beantragen möchte, seien Bestimmungen sehr kompliziert.
„Man kann einen ganzen Arbeitstag damit verbringen, sich damit zu beschäftigen“, klagt Niedermaier und beschreibt die Vorgaben, wie die Hilfen berechnet werden, als „unübersichtlich, verschachtelt und komplex“. Einzelhändler und Geschäftsinhaber, die schnell auf die Hilfen angewiesen seien, hätten es damit vermutlich schwer, da allein die Beantragung sehr zeitintensiv sei.
Auch Monika Gindele vom Reisebüro Gindele in Friedrichshafen hat bereits Mittel aus der Soforthilfe und der Überbrückungshilfe II erhalten, um ihr Büro am Laufen zu halten. „Wir werden auch die Überbrückungshilfe III beantragen, doch die Bedingungen für Reisebüros sind nicht so einfach“, berichtet sie. „Denn wir können nur ausgefallene Provisionen für stornierte Reisen anfordern. Doch man konnte in den letzten Monaten so gut wie nichts buchen und somit gibt es auch keine ausgefallenen Provisionen“, berichtet sie. Der Verband setze sich derzeit dafür ein, diese Situation zu verbessern.
Wirtschaftlich gesehen müsse sie ihr Büro eigentlich schließen, sagt Gindele. „Das Geld aus den Hilfen reicht nicht, denn wir sind schon seit über einem Jahr betroffen.“Um den Kopf über Wasser zu halten, habe sie bereits eine Rentenvorsorge gekündigt und das Geld ins Geschäft einfließen lassen. „Mein Büro ist mein Leben und ich glaube, dass es bald wieder losgehen kann.“
Im Waldhorn in Manzell bleibt seit Monaten die Küche kalt. Die Sitzplätze im Restaurant sind verwaist. Lediglich in einigen Hotelzimmern brennt am Abend Licht. „Wir vermieten vereinzelt an Geschäftsleute, Monteure oder Handwerker“, berichten Gabriele und Raphael Weber. Mutter und Sohn betreiben das Waldhorn gemeinsam. „Doch im Vergleich zu einem normalen Jahr ist das eine verschwindend geringe Gästezahl.“
Normalerweise beginnt für die Webers die Saison um Ostern. Mit dem touristischen Beherbergungsverbot, dem Wegfall von großen Feiern, Messen und Theatertagen ist es in dem Familienbetrieb sehr ruhig geworden. Gabriele Weber führt den Familienbetrieb in zweiter Generation und prophezeit mit resigniertem Lächeln: „Den Ausfall holst du nicht mehr rein. Auch wenn der Sommer gut läuft.“
„Wir hoffen auf das Pfingstgeschäft. Aber richtig daran glauben können wir bei dem derzeitigen Testchaos und den steigenden Insidenzzahlen nicht“, sagt Raphael. Der Familienvater ist bei seiner Mutter angestellt und im Augenblick in Kurzarbeit wie die restliche Belegschaft.
„Im Moment rechnen wir eher damit, dass wir Mitte Juni in den normalen Betrieb starten können.“
Um den Verdienstausfall zu kompensieren, haben Webers über ihren Steuerberater Gelder aus der sogenannten November- und Dezemberhilfe beantragt. „Für uns war das unkompliziert, da der Steuerberater sich durch die Bestimmungen geackert hat“, berichtet Raphael Weber. Bei diesen erstattet der Staat den Betrieben, die während des TeilLockdowns im November schließen mussten, bis zu 75 Prozent der ausgefallenen Umsätze aus dem Vorjahr.
„Die Hilfen sind für unseren Betrieb gut zugeschnitten“, sagt Raphael Weber. „Wir haben alles bekommen, was wir beantragt haben.“Die Bundesmittel reichen den Webers, um ihre Fixkosten zu decken: „Aber auch wenn uns das Gebäude gehört, haben wir Verbindlichkeiten bei der Bank.“
Die Verzögerungen bei der Auszahlung der Coronahilfsgelder haben die Webers vergleichsweise gut weggesteckt. „Wir haben über Jahre Rücklagen gebildet, auf die wir zum Glück zugreifen konnten“, sagt die Seniorchefin und ihr Sohn ergänzt: „Außerdem haben wir eine für diesen Winter geplante Investition verschoben.“
Nicht alle Unternehmer sind in dieser Ausgangslage, berichtet Steuerberater Oliver Wagener von der Steuerberaterkanzlei WGS in Immenstaad. Vielen habe die lange Wartezeit auf die Gelder zu schaffen gemacht. Häufig seien erste Abschläge, zum Beispiel die der Novemberhilfe, erst Anfang März bezahlt worden: „Das musst du als Unternehmer erst mal durchhalten können“, sagt Wagener.
Die staatlichen Hilfen haben in den vergangenen Monaten vielen Unternehmern geholfen, ihre Zahlungsfähigkeit abzusichern. Alle Verluste seien damit allerdings nicht auszugleichen. „Langfristig können Betriebe nur mit selbst erwirtschafteten Umsätzen überleben“, sagt Wagener. Zudem beklagt der Steuerberater die hohen Hürden bei der Beantragung: „Von Hilfspaket zu Hilfspaket wurde das Verfahren immer bürokratischer.“
Seine Kanzlei betreut deutschlandweit Vereine und Firmen – auch viele, die in der Veranstaltungsbranche tätig sind. Zeitweise hat die Steuerberaterkanzlei WGS zwischen 30 und 50 Anträgen pro Woche gestellt.
Für viele Unternehmen sei es schwierig gewesen, sich mit Abschlägen über Wasser zu halten. Bei großen Firmen sind diese Gelder „nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Wagener.
Seit 10. Februar 2021 können Unternehmen und Selbstständige die Überbrückungshilfe III beantragen. Dabei handelt es sich um direkte Zuschüsse, die, sofern die Prognosen bei der Beantragung gestimmt haben, nicht zurückgezahlt werden müssen. Anders als bei der November-/Dezemberhilfe, die sich am Umsatz orientiert hat, gibt es dabei Zuschüsse zu betrieblichen Fixkosten. Alle Zuschüsse sind jedoch steuerpflichtig.
Bei der Überbrückungshilfe III bemisst sich die Höhe des Zuschusses an der Höhe des Umsatzrückgangs. Der Staat übernimmt bis zu 90 Prozent der Fixkosten. „Doch viele Solo-Selbstständige haben keine hohen Fixkosten“, erklärt Wagener. „Nehmen wir beispielsweise einen Webdesigner oder einen Fotografen. Die verkaufen ihre Arbeitskraft.“Private Kosten wie Miete, Krankenversicherung und Essen werden nicht gefördert, sagt Wagener. „Teilweise haben die Solo-Selbstständigen nur 1800 Euro für mehrere Monate ausbezahlt bekommen. Das hat nicht ausgereicht.“Viele hätten dann Grundsicherung beantragen müssen. Inzwischen seien diese Summen angehoben worden, berichtet Wagener.
„Wir wünschen uns für die betroffenen Unternehmen in Sachen Corona-Hilfen nach wie vor weniger bürokratische Hürden und mehr Einfachheit“, unterstreicht auch Peter Jany, Hauptgeschäftsführer der IHK Bodensee-Oberschwaben. „Die Fülle von Sonderregelungen und Auslegungsdetails machen auch den bearbeitenden Steuerbüros und Rechtsanwaltskanzleien bei der Antragsstellung schwer zu schaffen. Schnelle Hilfe sieht anders aus.“
Jany fordert zudem: „Die besonders betroffenen Branchen brauchen außerdem eine klare Perspektive für einen Weg aus dem Dauer-Lockdown – sonst werden auch noch so viel bereitgestellte Gelder nicht mehr ihre Wirkung entfalten können. Auch hier bleibt die Politik hinter ihren Versprechungen bislang zurück.“
Die IHK Bodensee-Oberschwaben bietet Hilfestellung in Fragen zu den Corona-Hilfsprogrammen. Die Hotline ist zu erreichen unter Telefon 0751 / 40 92 50. Weitere Informationen gibt es unter der Nummer 4717394 auf der Homepage:
www.weingarten.ihk.de