Schwäbische Zeitung (Tettnang)
In Quarantäne statt beim Abitur
Wie unterschiedlich die Regeln für Prüflinge in Bayern und Baden-Württemberg sind
STUTTGART - Würden die Auers 30 Kilometer weiter östlich leben, dürfte die Tochter heute eine Abiturprüfung schreiben. Doch die Familie wohnt eben nicht in Bayern, sondern im baden-württembergischen Laichingen. Jenseits der nahen Landesgrenze gelten andere Regeln: Dort darf die coronabedingte Quarantäne ins Schulhaus verlagert werden, damit Schüler an Abschlussprüfungen teilnehmen können. Im Südwesten geht das nicht.
Familienvater Andreas Auer hat sich auf eine Telefon-Odyssee begeben. In der „Schwäbischen Zeitung“hatte er einen Bericht gelesen, in dem eine Schulleiterin aus dem bayerischen Lindau erklärt, wie sie ihre Abiturienten zur Prüfungszeit auf drei Räume verteilt. In einem sitzen Schüler, die sich auf das Coronavirus haben testen lassen und negativ sind. In einem zweiten sitzen ungetestete Schüler. Ein dritter Raum dient denjenigen, die derzeit in Quarantäne sind und sich zu Hause 14 Tage absondern müssen, weil sie Kontakt zu einer infizierten Person hatten. Im dritten Raum gelten besonders scharfe Hygiene- und Abstandsregeln. Auf diese Weise können Schüler, die selbst nicht infiziert aber in Quarantäne sind, trotzdem an den Abschlussprüfungen teilnehmen.
Ein Sprecher von Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) bestätigt diese Ausnahmeregelung. „Schülerinnen und Schüler dürfen die Quarantäne zur Teilnahme an Abschlussprüfungen unterbrechen, wenn das Hygienekonzept mit erweiterten Abstandsregelungen eingehalten werden kann.“Es müssen mindestens zwei Meter Abstand gewahrt sein. „Voraussetzung für die Teilnahme ist zudem ein negativer SarsCoV-2-Test“, so der Sprecher. Auch sollten gesonderte Räume zur Verfügung gestellt werden. So sei es in der Allgemeinverfügung des bayerischen Gesundheitsministeriums geregelt.
Geht das auch in Baden-Württemberg? Diese einfache Frage treibt Andreas Auer nun seit knapp zwei Wochen um – also seit dem Tag, an dem seine Tochter von den Behörden in Quarantäne geschickt worden war. „Meine Tochter war am Sonntag vor einer Woche Erstkontakt von einer infizierten Person“, erklärt Auer. Die 14-tägige Absonderung endet am kommenden Sonntag, ihre erste Abi-Prüfung an einem allgemeinbildenden Gymnasium findet indes schon am heutigen Freitag satt. Allerdings ohne sie.
Um das zu erfahren hat Andreas Auer zunächst mit der Schule gesprochen, dann mit dem zuständigen Ordnungsamt, dem Gesundheitsamt, dem Landratsamt. Er hat versucht, sich beim Regierungspräsidium in Tübingen zu erkundigen, das für das Gymnasium seiner Tochter zuständig ist, und hat sich ans Staatsministerium von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) gewandt. Von letzterem kam die Nachricht, sein Schreiben sei ans Kultusministerium weitergegeben worden – auf Antwort von dort wartet Auer seit einer Woche.
Niemand konnte ihm klar sagen ob das, was in Bayern möglich ist, auch in Baden-Württemberg gilt. „Ich finde es nervtötend, dass man keine Ansprechstelle kriegt, die einem eine vernünftige Aussage gibt“, sagt Andreas Auer. „Man kann vieles im Internet nachlesen, das ist aber relativ komplex.“
Zweimal schon hat Auers Tochter einen PCR-Test gemacht – zuletzt am Dienstag. Die Ergebnisse waren stets negativ. Es gehe auch nicht um ein vorzeitiges Ende der Quarantäne, erklärt Auer, sondern darum, den Ort der Quarantäne für die Zeit der Prüfung in einen Raum in der Schule zu verlagern.
Auf Anfrage sorgt ein Sprecher von Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) für Klarheit. „Maßgeblich für die Quarantäne ist die Corona-Verordnung Absonderung des Landes“, teilt er mit. „Diese sieht aktuell keine Ausnahme für das Schreiben von Prüfungen vor (§2 CoronaVO Absonderung). Deswegen können die Schülerinnen und Schüler die Wohnung bzw. den Absonderungsort nicht verlassen, um eine Prüfung zu schreiben. Das Kultusministerium kann von dieser Verordnung des Sozialministeriums auch keine Ausnahmen treffen.“Von einer Quarantäne kann sich demnach also niemand freitesten.
Eisenmanns Sprecher verweist auf die beiden Nachtermine für die Abi-Prüfungen. Doch ein Nachtermin birgt andere Probleme, wie Andreas Auer erklärt. Zum einen laste auf den Abiturienten ohnehin psychischer Druck. „Sie will das einfach hinter sich kriegen“, sagt er. Zum anderen stehen in der Woche des ersten Nachtermins noch drei weitere, normale Prüfungen an. Die Notenfindung ist noch nicht gänzlich abgeschlossen.
Wie viele der 46 500 Abiturienten das Schicksal von Andreas Auers Tochter teilen, vermag das Kultusministerium nicht zu beziffern. Auf seiner Internetseite erklärt das Ministerium lediglich, dass sich aktuell 2610 Schüler in Quarantäne befänden. Unklar bleibt, wie viele dadurch nicht an Abschlussprüfungen teilnehmen können. Das Abitur ist zudem nur der Auftakt des Reigen der Abschlussprüfungen. Die finalen Prüfungen für die Hauptschule und zur Mittleren Reife beginnen erst am 8. Juni. An den beruflichen Schulen kommen etliche weitere Abschlussprüfungen hinzu.
„Was ich gar nicht verstehe, ist die unterschiedliche Handhabung zwischen Bayern und Baden-Württemberg“, sagt Andreas Auer. „Das nervt mich am meisten, es sollte doch bundeseinheitlich gleich sein.“