Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Patentlösung gesucht
USA fordern, Schutz für Corona-Impfstoffe aufzuheben – Debatte um mögliche Effekte
BERLIN - US-Präsident Joe Biden hat angekündigt, den Patentschutz für Corona-Impfstoffe aufzuheben. Ob damit aber in aller Welt wirklich schneller geimpft werden kann, ist ungewiss. Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Warum will Biden den Patentschutz aufheben?
Er unterstützt einen Vorstoß der Welthandelsorganisation (WTO), die als Folge der eskalierenden Corona-Krise in Indien sowie Südamerika die Freigabe fordert. Hinzu kommt, dass zahlreiche demokratische USPolitiker Biden zu einer Ausnahme gedrängt hatten. Republikaner hingegen sprechen von einer drohenden Enteignung der Pharmaunternehmen. Weltweit gibt es ein großes Ungleichgewicht bei der Verteilung der Impfstoffe. In vielen ärmeren Ländern kommen wenige oder gar keine Lieferungen an. Ihnen fehlt auch das Geld für den Ankauf der Vakzine. 100 Länder, aber auch Nichtregierungsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen fordern deshalb schon länger die Aufhebung des Patentschutzes. Dahinter steckt die Hoffnung, dass weltweit mehr Produktionsanlagen entstehen und die dringend benötigten Vakzine preisgünstig herstellen.
Darf der Patentschutz von Impfstoffen aufgehoben werden?
der Pharmazeutischen Industrie (BPI), geht davon aus, dass es mindestens zwölf Monate brauche, bis ein Produzent sicheren Impfstoff zur Verfügung stellen könnte.
Was sind laut Verbänden die Risiken?
Steutel warnt davor, dass eine Patentaufhebung von Investoren als Aufforderung verstanden werden könnte, künftig kein Geld mehr in Seuchenbekämpfung zu stecken. Ohne Unternehmen, die bei der Forschung Risiken eingehen – mit der Aussicht auf Patentschutz –, hätte es laut vfa weder so schnell Impfstoffe gegeben, noch würden die Unternehmen in der Lage sein, Milliarden Dosen zu liefern. Joachimsen spricht von falschen Schuldzuweisungen: „Nicht Patente oder Schutzrechte, sondern fehlende Ausgangsstoffe und Lieferengpässe für benötigte Technologien stehen einer Ausweitung der bereits extrem angekurbelten Produktion aktuell im Wege“, sagt er.
Würde die Aufhebung des Patentschutzes ausreichen, um weltweit schneller zu impfen?
„Wichtig wäre in einem nächsten Schritt auch ein Technologietransfer, damit in möglichst vielen Ländern Produktionsstätten um- und ausgebaut werden können“, sagt Elisabeth Massute von „Ärzte ohne Grenzen“am Donnerstag der „Schwäbischen Zeitung“. Geeignete Hersteller sollten das nötige Wissen direkt übermittelt bekommen. Möglich sei auch ein Modell, bei dem Pharmafirmen wie Biontech oder Moderna ihre Erkenntnisse der Weltgesundheitsorganisation WHO zur Verfügung stellen, die dann wiederum Experten vor Ort einsetzt, um dort die Produktion vom Impfstoffen anzuleiten. Massute schätzt: „Innerhalb von sechs Monaten wäre das zu schaffen.“Ein Problem mit dem Eingriff ins Patentrecht hat man bei „Ärzte ohne Grenzen“nicht. „Die Forschung an den Impfstoffen ist mit großen Mengen an öffentlichen Geldern gefördert worden“, betont Massute. Außerdem bedienten sich die Unternehmen an Grundlagenforschung, die ebenfalls zum großen Teil vom Staat finanziert werde.
Können die Unternehmen angesichts der Krise nicht locker auf einen Teil der Gewinne verzichten?
Finanziell dürften die Unternehmen die geringer ausfallenden Gewinne wohl verkraften. Sie plagt eher eine andere Sorge. Die neuartigen mRNA-Impfstoffe von Biontech basieren auf Grundlagenpatenten, die sie dann auch freigeben müssten. Mit dem Wissen um diese Basis können auch ganz andere Therapien entwickelt werden, zum Beispiel im Kampf gegen Krebs. Dieses Knowhow wollen die innovativen Unternehmen daher nicht aus der Hand geben. „Wer an dieser Stelle mit am Patentschutz rüttelt, spielt also mit dem Feuer“, warnt Reto Hilty, Direktor am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb.