Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Kampf gegen höhere Kosten
Privatversicherte können gestiegene Beiträge zurückfordern – Wann sich das lohnt
BERLIN (dpa) - Sie sind so verlässlich wie der Jahreswechsel: Preiserhöhungen in der privaten Krankenversicherung (PKV). Immer wieder passen die Versicherer die Prämien für ihre Tarife an. Die Preise entwickeln sich meist nach oben.
Für manchen Versicherten kann das im Laufe der Jahre eine Belastung werden. Zwei Urteile des Bundesgerichtshofes aus dem Dezember 2020 könnten bei einigen Versicherten für finanzielle Entlastung sorgen (Az.: IV ZR 294/19 und IV ZR 314/19).
Die Richter entschieden: Die Begründung einer Prämienanpassung erfordert die Angabe des sogenannten auslösenden Faktors, dessen Veränderung die Anpassung veranlasst hat. „Der Verbraucher muss nachvollziehen können, warum sein Tarif teurer wird“, erklärt Rechtsanwalt Florian Rosing aus Berlin.
Nicht mitteilen muss der Versicherer allerdings laut BGH, in welcher exakten Höhe sich diese Faktoren verändert haben. Er hat auch nicht die exakte Veränderung der Rechnungsgrundlagen, die die Prämienhöhe beeinflusst haben, wie etwa des Rechnungszinses oder der Lebenserwartung, anzugeben.
Auch der Verband der PKV ist mit dem Urteil grundsätzlich zufrieden: „Aufgrund der unkonkreten Formulierung im Gesetz war weder für die Versicherer noch für die Versicherungsnehmer eindeutig, welche Inhalte ein Beitragsanpassungsschreiben konkret haben muss“, heißt es in einer Stellungnahme. „Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs bringt nun eine rechtliche Klärung.“
Dennoch: In der Praxis erfüllten die Begründungen der Versicherungen die Anforderungen oft nicht. Die Folge: Versicherte können die Beitragsanhebung anfechten. Klagen sind inzwischen vor verschiedenen Gerichten anhängig. Stellt sich heraus, dass die Beitragsanpassung unwirksam ist, können die Erhöhungsbeiträge zurückgefordert werden.
Zwar ist noch juristisch umstritten, wie lange rückwirkend die Beitragsanhebungen
zurückgefordert werden können. Aber die Summen können sich sehen lassen: „Bei drei Jahren liegt der durchschnittliche Erstattungsbetrag bei 3500 Euro“, erklärt Rosing, der auch Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft Versicherungsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) ist. „Bei zehn Jahren sind es im Durchschnitt 7500 Euro.“
Das Problem: Versicherte selbst können in der Regel kaum erkennen, ob ihre Beitragsanpassung die formalen Anforderungen erfüllt oder nicht. „Wenn die Ausführungen der Versicherung nur sehr allgemein sind, sollte man stutzig werden“, sagt Rosing. „Die Details verstehen in der Regel aber nur Juristen.“Insbesondere die Überprüfung der mathematischen Korrektheit der Erhöhung muss durch einen Fachmann erfolgen.“Ohne die Hilfe eines Anwaltes kommen die meisten kaum weiter.
Für Versicherte bedeutet das: Sie tragen ein finanzielles Risiko, falls ein möglicher Prozess nicht zu ihren Gunsten ausgeht. „Ohne Rechtsschutzversicherung lohnt sich ein solches Verfahren kaum“, sagt daher auch Bianca Boss vom Bund der Versicherten. Der Verbraucherverband spricht daher auch von falschen Hoffnungen für Versicherte.
Denn es gibt rechtliche Unwägbarkeiten: Die Urteile des BGH beziehen sich laut PKV-Verband auf zwei Mitteilungen eines Versicherungsunternehmens. „Diese Schreiben unterscheiden sich von Versicherer zu Versicherer und sind deshalb jeweils individuell zu bewerten.“
Der Bund der Versicherten sieht ein weiteres Problem: Zwar können Versicherte die Erhöhungsbeträge zunächst zurückfordern, wenn die Gründe für die Erhöhung unvollständig mitgeteilt wurden. Im Gegenzug können aber die zukünftigen Beiträge stärker steigen. „Die Versicherungen holen sich das Geld in der Regel zurück“, sagt Boss. Denn: Beitragserhöhungen als solche stehen im Prinzip nicht zur Debatte.
Nach den Argumenten der Deutschen Aktuarvereinigung könnten künftige Anhebungen unter Umständen höher ausfallen als ohne vorherigen Prozess, weil „durch die juristisch erzwungene Prämienreduzierung weniger Altersrückstellungen aufgebaut werden“.
Zudem kann eine Beitragserstattung unter Umständen steuerliche Folgen haben: Denn das Finanzamt berücksichtigt nur die tatsächlich gezahlten Beiträge des Versicherten zu seiner Privaten Kranken- und Pflegepflichtversicherung. Ändert sich der Betrag im Nachhinein, kann es zu Korrekturen kommen.
Am Ende müssen Versicherte selbst für sich entscheiden, ob sie diesen Schritt gehen wollen. „Eine kostenlose Ersteinschätzung beim Anwalt kann nicht schaden“, findet Rosing.