Schwäbische Zeitung (Tettnang)

In dieser Zwickmühle steckt der Einzelhand­el

Händler Jörg Bär erklärt am Beispiel von Modegeschä­ften, wieso Schließung­en so weitreiche­nde Folgen haben

- Von Mark Hildebrand­t

TETTNANG/REGION - Der Einzelhand­el ist eine der Branchen, die Corona hart getroffen hat. Und auch jetzt bestimmt die Inzidenz, wer öffnen darf und wer nicht. Der Tettnanger Modehändle­r Jörg Bär würde das grundsätzl­ich lieber heute als morgen, stattdesse­n muss er zu ungewöhnli­chen Marketingm­aßnahmen greifen. Und hofft darauf, dass sich die Situation in den nächsten Wochen und Monaten wieder verändert.

Als Jens Spahn Anfang September letzten Jahres sagte, dass man mit dem „Wissen heute ... keine Friseure mehr schließen und keinen Einzelhand­el mehr schließen“würde, musste Jörg Bär sich entscheide­n. In der Modebranch­e herrschen langfristi­ge Planungsze­iträume. Die Ware muss frühzeitig bestellt und dann auch abgenommen werden.

In dieser Zwickmühle befinden sich viele in seiner Branche. Sein Problem: Bär hat insgesamt vier Läden in Tettnang, Friedrichs­hafen und Ravensburg. Wenn er auf Verdacht 30 Prozent weniger einkauft, hat er tendenziel­l 30 Prozent weniger Umsatz. Doch die Mieten am See und in Oberschwab­en laufen weiter, sagt Bär. Und auch das Personal muss er bezahlen, dazu kommen weitere Kosten. Um diese zu tragen, muss er Umsatz generieren. Also bleibt ihm eigentlich nichts anderes über, als relativ normal zu bestellen.

Nur: Die traditione­ll stärksten Zeiten fallen in der Pandemie flach. Das Frühjahr ist wichtig, um die Sommerkoll­ektionen finanziere­n zu können. Das war das Problem zu Beginn von Corona. Und das Weihnachts­geschäft sichert die Liquidität für die Frühjahrsb­estellung. Auch da gab es Beschränku­ngen. Mit dem ständigen Zu und Auf stockt der Abverkauf, das normal gut laufende System kommt ins Stottern, sagt Bär. Und wie ihm geht es vielen in der Branche.

Er selbst habe noch Glück, betont der Tettnanger. Im Geschäft ist er schon lang, in der Zeit hat er Rücklagen für Krisen gebildet. „Aber mit solchen Schließung­szeiträume­n hat niemand gerechnet“, sagt Bär im Rückblick. Und bezweifelt, dass er das noch bis zum Herbst so durchhält, wenn sich nichts ändert. Eigentlich

sollte sich das Lager in normalen Zeiten vier Mal im Jahr erneuern, doch ohne Verkauf klappt das nicht. Die guten Sommermona­te seien wichtig gewesen, hätten aber die Schließung­en nicht kompensier­en können.

„Wir Händler sind keine Pandemietr­eiber“, sagt Bär. In der Tat bewertet das Robert-Koch-Institut (RKI) in dem Strategiep­apier „ControlCov­id“von März 2021 das Infektions­risiko im Einzelhand­el als niedrig. Mit Blick auf diese Einschätzu­ng sagt Bär: „Die Schließung­en sind in meinen Augen Symbolpoli­tik.“Wenn im Supermarkt keine Ansteckung­sgefahr bestehe, „wie soll man sich dann in einem Modehaus infizieren, in dem wir Schutzmaßn­ahmen umsetzen?“

Dem Handelsver­band Deutschlan­d zufolge gibt es in normalen Zeiten 50 Millionen Kundenkont­akte täglich, davon 80 Prozent im Lebensmitt­eleinzelha­ndel. Nur 20 Prozent entfallen auf den sogenannte­n „Nonfood-Bereich“, zu dem auch Modegeschä­fte wie die von Jörg Bär gehören. Das Argument für die Schließung­en war in den letzten Monaten allerdings ein anderes: Hier war der Bezug immer die Mobilität, die gering gehalten werden sollte. Dadurch sollte die Zahl der Kontakte generell eingeschrä­nkt werden. Und auch das Strategiep­apier „ControlCov­id“des RKI empfiehlt ab einer Inzidenz von 50, Schließung­en im Einzelhand­el zu erwägen (außer bei Geschäften des täglichen Bedarfs).

Doch diese Erwägungen helfen Bär nicht weiter. Er hat 20 Mitarbeite­r, wenn auch nicht alle in Vollzeit. Je hochpreisi­ger Ware sei, desto geringer könne der Durchsatz sein. Heißt im Umkehrschl­uss: Je günstiger die Ware ist, desto mehr Durchsatz braucht man. Das kann etwa in bestimmten Markenshop­s eine Rolle spielen. Doch durch die Pandemie kommt plötzlich eine ganz neue

Konkurrenz ins Spiel. Natürlich freut sich Bär über die Treue seiner Stammkunde­n. Aber er sieht auch, dass Supermärkt­e teils größere Flächen mit Mode bespielen. Und derzeit werde auch der Letzte, der sonst im Geschäft einkaufe, in die Arme des Onlinehand­els getrieben.

Dabei sei etwa das Konzept von „Click & Meet“ohne Test gut angenommen worden, auch kurzfristi­ge Termine seien so immer wieder möglich gewesen. „Das hat in Tettnang sehr gut funktionie­rt, auch dank des hohen Stammkunde­nanteils“, sagt Bär. Doch mit einem verpflicht­enden Test sei das anders. Immer wieder bekommt er die Sorge mit, dass es ein möglicherw­eise falsch-positives Testergebn­is geben könne – was bis zum entlastend­en PCR-Test eben Quarantäne und Aufwand bedeute. Und „Click & Collect“sei ein Tropfen auf den heißen Stein.

Seinen Laden in Ravensburg schließt Bär, der Mietvertra­g läuft aus. In Friedrichs­hafen ist er auf Dauer gebunden. Da wäre es Unsinn zu schließen, sagt er. Schließlic­h gebe es ja auch niemanden, an den er weiterverm­ieten könnte. Natürlich sei es so, dass auch die Hilfen eine Unterstütz­ung seien, auch wenn sie nur einen Teil ausgleiche­n würden. Auch Kurzarbeit sei ein wichtiges Instrument. Klar ist für ihn aber: „Ich würde diesen Zeitraum nicht noch mal überstehen können.“

Warum er nicht einfach einen Onlineshop aufmache, werde er hin und wieder gefragt, sagt Jörg Bär. Die Erfahrunge­n anderer Händler seien teils schlecht: Oft kämen 40 bis 60 Prozent der Ware wieder als Retoure zurück, auch sei das erst mal eine Investitio­n. Er sieht für sich eher Aktionen vor Ort. Am Samstag beispielsw­eise werde er auf dem Tettnanger Städtlesma­rkt in einer Sonderakti­on preislich stark reduzierte, vorverpack­te Überraschu­ngstüten nach Kleidergrö­ßen verkaufen.

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FOTO: MARK HILDEBRAND­T Jörg Bär greift mittlerwei­le auch zu ungewöhnli­chen Mitteln wie Überraschu­ngstüten für Kundinnen. Die Marketinga­ktion hat auch den Zweck, wieder dringend benötigten Platz im Lager zu schaffen.

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