Schwäbische Zeitung (Tettnang)
In dieser Zwickmühle steckt der Einzelhandel
Händler Jörg Bär erklärt am Beispiel von Modegeschäften, wieso Schließungen so weitreichende Folgen haben
TETTNANG/REGION - Der Einzelhandel ist eine der Branchen, die Corona hart getroffen hat. Und auch jetzt bestimmt die Inzidenz, wer öffnen darf und wer nicht. Der Tettnanger Modehändler Jörg Bär würde das grundsätzlich lieber heute als morgen, stattdessen muss er zu ungewöhnlichen Marketingmaßnahmen greifen. Und hofft darauf, dass sich die Situation in den nächsten Wochen und Monaten wieder verändert.
Als Jens Spahn Anfang September letzten Jahres sagte, dass man mit dem „Wissen heute ... keine Friseure mehr schließen und keinen Einzelhandel mehr schließen“würde, musste Jörg Bär sich entscheiden. In der Modebranche herrschen langfristige Planungszeiträume. Die Ware muss frühzeitig bestellt und dann auch abgenommen werden.
In dieser Zwickmühle befinden sich viele in seiner Branche. Sein Problem: Bär hat insgesamt vier Läden in Tettnang, Friedrichshafen und Ravensburg. Wenn er auf Verdacht 30 Prozent weniger einkauft, hat er tendenziell 30 Prozent weniger Umsatz. Doch die Mieten am See und in Oberschwaben laufen weiter, sagt Bär. Und auch das Personal muss er bezahlen, dazu kommen weitere Kosten. Um diese zu tragen, muss er Umsatz generieren. Also bleibt ihm eigentlich nichts anderes über, als relativ normal zu bestellen.
Nur: Die traditionell stärksten Zeiten fallen in der Pandemie flach. Das Frühjahr ist wichtig, um die Sommerkollektionen finanzieren zu können. Das war das Problem zu Beginn von Corona. Und das Weihnachtsgeschäft sichert die Liquidität für die Frühjahrsbestellung. Auch da gab es Beschränkungen. Mit dem ständigen Zu und Auf stockt der Abverkauf, das normal gut laufende System kommt ins Stottern, sagt Bär. Und wie ihm geht es vielen in der Branche.
Er selbst habe noch Glück, betont der Tettnanger. Im Geschäft ist er schon lang, in der Zeit hat er Rücklagen für Krisen gebildet. „Aber mit solchen Schließungszeiträumen hat niemand gerechnet“, sagt Bär im Rückblick. Und bezweifelt, dass er das noch bis zum Herbst so durchhält, wenn sich nichts ändert. Eigentlich
sollte sich das Lager in normalen Zeiten vier Mal im Jahr erneuern, doch ohne Verkauf klappt das nicht. Die guten Sommermonate seien wichtig gewesen, hätten aber die Schließungen nicht kompensieren können.
„Wir Händler sind keine Pandemietreiber“, sagt Bär. In der Tat bewertet das Robert-Koch-Institut (RKI) in dem Strategiepapier „ControlCovid“von März 2021 das Infektionsrisiko im Einzelhandel als niedrig. Mit Blick auf diese Einschätzung sagt Bär: „Die Schließungen sind in meinen Augen Symbolpolitik.“Wenn im Supermarkt keine Ansteckungsgefahr bestehe, „wie soll man sich dann in einem Modehaus infizieren, in dem wir Schutzmaßnahmen umsetzen?“
Dem Handelsverband Deutschland zufolge gibt es in normalen Zeiten 50 Millionen Kundenkontakte täglich, davon 80 Prozent im Lebensmitteleinzelhandel. Nur 20 Prozent entfallen auf den sogenannten „Nonfood-Bereich“, zu dem auch Modegeschäfte wie die von Jörg Bär gehören. Das Argument für die Schließungen war in den letzten Monaten allerdings ein anderes: Hier war der Bezug immer die Mobilität, die gering gehalten werden sollte. Dadurch sollte die Zahl der Kontakte generell eingeschränkt werden. Und auch das Strategiepapier „ControlCovid“des RKI empfiehlt ab einer Inzidenz von 50, Schließungen im Einzelhandel zu erwägen (außer bei Geschäften des täglichen Bedarfs).
Doch diese Erwägungen helfen Bär nicht weiter. Er hat 20 Mitarbeiter, wenn auch nicht alle in Vollzeit. Je hochpreisiger Ware sei, desto geringer könne der Durchsatz sein. Heißt im Umkehrschluss: Je günstiger die Ware ist, desto mehr Durchsatz braucht man. Das kann etwa in bestimmten Markenshops eine Rolle spielen. Doch durch die Pandemie kommt plötzlich eine ganz neue
Konkurrenz ins Spiel. Natürlich freut sich Bär über die Treue seiner Stammkunden. Aber er sieht auch, dass Supermärkte teils größere Flächen mit Mode bespielen. Und derzeit werde auch der Letzte, der sonst im Geschäft einkaufe, in die Arme des Onlinehandels getrieben.
Dabei sei etwa das Konzept von „Click & Meet“ohne Test gut angenommen worden, auch kurzfristige Termine seien so immer wieder möglich gewesen. „Das hat in Tettnang sehr gut funktioniert, auch dank des hohen Stammkundenanteils“, sagt Bär. Doch mit einem verpflichtenden Test sei das anders. Immer wieder bekommt er die Sorge mit, dass es ein möglicherweise falsch-positives Testergebnis geben könne – was bis zum entlastenden PCR-Test eben Quarantäne und Aufwand bedeute. Und „Click & Collect“sei ein Tropfen auf den heißen Stein.
Seinen Laden in Ravensburg schließt Bär, der Mietvertrag läuft aus. In Friedrichshafen ist er auf Dauer gebunden. Da wäre es Unsinn zu schließen, sagt er. Schließlich gebe es ja auch niemanden, an den er weitervermieten könnte. Natürlich sei es so, dass auch die Hilfen eine Unterstützung seien, auch wenn sie nur einen Teil ausgleichen würden. Auch Kurzarbeit sei ein wichtiges Instrument. Klar ist für ihn aber: „Ich würde diesen Zeitraum nicht noch mal überstehen können.“
Warum er nicht einfach einen Onlineshop aufmache, werde er hin und wieder gefragt, sagt Jörg Bär. Die Erfahrungen anderer Händler seien teils schlecht: Oft kämen 40 bis 60 Prozent der Ware wieder als Retoure zurück, auch sei das erst mal eine Investition. Er sieht für sich eher Aktionen vor Ort. Am Samstag beispielsweise werde er auf dem Tettnanger Städtlesmarkt in einer Sonderaktion preislich stark reduzierte, vorverpackte Überraschungstüten nach Kleidergrößen verkaufen.