Schwäbische Zeitung (Tettnang)
So kommt Wirth durch die Corona-Zeit
„Berlin Live“heißt neue CD des Ausnahme-Jazzers – Im Januar 2022 zu Gast in Tettnang
TETTNANG/BERLIN - Gerade mal zwei Konzerte sind der Stephan-Max Wirth Experience im Jahr 2020 während der Pandemie vergönnt gewesen. An das letzte Konzert kurz vor dem ersten Lockdown, jenes am 7. März im ausverkauften Jazzclub Schlot, erinnert die neue CD „Berlin Live“, die der gebürtige Tettnanger mit dem bewährten Jazz-Ensemble (1994 gegründet) jüngst veröffentlicht hat. In seiner Heimatstadt ist der seit 1999 in Berlin wohnhafte Wirth schon länger nicht mehr gewesen – erfreulicherweise taucht sie nun auch in seinen beruflichen Planungen auf. Wenn die Pandemie dem keinen Strich durch die Rechnung macht, könnte Stephan-Max Wirth Ende Januar sowohl als Saxofonist zu hören sein als auch am Campus Manzenberg musikalische Spuren hinterlassen.
Dass es eine Live-Aufnahme werden würde, ist ein Stück weit den Corona-Zwängen geschuldet, auch wenn Stephan-Max Wirth voller Überzeugung sagt: „Ich bin begeistert, wie super es klingt.“Nur: Eigentlich war eine neue Studio-CD mit Eigenkompositionen längst vorbereitet. „Doch die Hindernisse wuchsen“, sagt der Bandleader – was auf die Zusammensetzung der vierköpfigen Combo verweist: Einmal seien die Niederlande Corona-Hotspot gewesen, dann habe Berlin im Fokus des Infektionsgeschehens gestand. Plötzlich waren zwei Mitspieler in Quarantäne, von denen einer gar an Covid erkrankte – „was zum Glück glimpflich ablief “, wie sich heute sagen lässt.
Angesichts dessen lässt sich manches besser einordnen und annehmen. Beispielsweise dass StephanMax Wirth seinen zweiten Brotberuf als Saxofon-Lehrer an der Musikschule seit November nur einmal in der Woche und online ausüben kann. „Ein „Notbehelf, der ganz gut funktioniert“, wie er findet – und der mit einer Umstellung des Unterrichts einherging. Eine intensive Rhythmusschulung steht bei den OnlineEinheiten im Vordergrund, erzählt er.
Finanziell geholfen hat der Combo ein Überbrückungsgeld von 5000 Euro. Hingegen kamen die Novemberhilfen nicht zum Tragen: Sie waren für Musiker mit einer hohen Hürde versehen, erhielt sie doch nur, wer 80 Prozent seiner Einnahmen aus Auftritten bestreitet. Auf 73 Prozent sei er gekommen, erzählt StephanMax Wirth, ohne dass Groll mitschwingt. Was auch daran liegt, dass der Bandleader um die Situation in Holland oder auch Portugal weiß, wo es für Künstler gar nichts gäbe.
Was ihn denn auch zu einer gemischten Gefühlslage führt: „Ich bin immer noch zuversichtlich, aber die Durststrecke wird langsam lang.“Sein sorgenvoller Blick richtet sich dabei nicht nur auf die Musiker, sondern auf die Locations. „Ich hoffe wirklich, dass die Veranstalter durchhalten“, sind Stephan-Max Wirth die Marktmechanismen nur zu geläufig. Was auch das letzte Konzert 2020 offenbarte: Im Ettlinger Birdland59 war die Stephan-Max Wirth Experience im Oktober nochmals live zu hören. Die „Zurückhaltung der Leute“sei stark spürbar gewesen: In dem Jazzclub, der sonst 120
Zuhörern Platz bietet, waren 34 zugelassen – „und da war bei Weitem nicht voll.“
Vier Konzerte stehen für das Jahr 2021 noch auf dem Plan: Wenn alles klappt, könnte der Wiedereinstieg am 7. August beim Jazzfest in Glauchau gelingen. Den Auftakt 2022 macht laut Tourplan Tettnang: Am 28. Januar ist die Stephan-Max Wirth Experience auf Einladung von Spectrum Kultur in der Gymnasiums-Aula zu Gast. Eine Heimkehr, die der Bandleader auszudehnen gedenkt. Für den Tag vorher ist eine öffentliche Generalprobe geplant, und zudem steht im Raum, dass Wirth an den Tettnanger Schulen Angebote unterbreitet.
Ob das klappt? Der 53-Jährige sieht das Glas vom Naturell her eher halbvoll als halbleer und sagt: „Ich glaube bis zum Schluss daran, dass es klappt. Dann reicht es immer noch, wenn ich mich ärgere.“
Zu hören wäre dann sicherlich auch so mancher Song von „Berlin Live“, zumal die CD einige Stücke der geplanten Studioaufnahme umfasst. Wie etwa die „Ballade Triadique“: Sie entstand 2019 in Zusammenarbeit mit dem Bauhaus Dessau und dem MDR-Musiksommer und spielt auf die Figuren des gleichnamigen Balletts von Oskar Schlemmer an.
Und vielleicht hat die StephanMax Wirth Experience bis dahin auch das eine oder andere neue Werk im Repertoire. Ein Jahr lang hat er komponiert, sagt Wirth – „da ist eine ganz schöne Mappe zusammengekommen.“Da liegt es nahe, einen Termin fürs Studio zu suchen – auch in dieser Zeit. Denn was am meisten fehlt, darüber gibt es für den Vollblut-Musiker, der in seiner musikalischen Frühphase der Stadtkapelle Tettnang als auch der „Jazz Community“mit Gunther Schreiber angehörte, keinen Zweifel: „Die Sehnsucht, gemeinsam zu spielen – und am besten vor Publikum.“
Zur Bedeutung von Stephan-Max Wirth, dem das Fachmagazin „Jazz-Podium“in seiner nächsten Ausgabe zwei Seiten widmet: Für „The legendary live recordings of the 2010s“wurde die Experience im Vorjahr mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik Bereich Jazz gewürdigt. Mehr unter
www.stephanmaxwirth.de im