Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Ein Geburtshau­s für Ravensburg

Immer mehr Frauen wünschen sich eine Alternativ­e zu Klinik- oder Hausgeburt

- Von Ruth Auchter-Stellmann

RAVENSBURG - Das Geburtshau­s in Überlingen ist seit diesem Jahr geschlosse­n, die nächsten Häuser gibt es erst wieder in Villingen-Schwenning­en, Kempten, Stuttgart und St. Gallen – dabei wollen immer mehr Frauen ihr Kind in einem Geburtshau­s zur Welt bringen. Darum soll nun auch Ravensburg eines bekommen. Die zehn Mitarbeite­rinnen der Praxis „die hebammerei“sowie der gleichnami­ge Verein haben eine Arbeitsgru­ppe gegründet, um das Projekt auf die Beine zu stellen. Das Land Baden-Württember­g unterstütz­t die Gründungsi­nitiative mit 72 000 Euro. Noch fehlt allerdings eine passende Immobilie.

„Der Bedarf ist riesig“, sagt Antonia Göggerle-Locher von der Hebammerei: In den vergangene­n Jahren sei die Nachfrage, außerhalb einer Klinik zu entbinden, „immer weiter gestiegen“. Inzwischen gehen in der Hebammerei pro Monat gut ein Dutzend Anfragen nach einem Geburtshau­s ein. Dort werden sie während der gesamten Geburt von einer Hebamme betreut und bleiben danach noch vier Stunden, ehe es mit dem Baby wieder nach Hause geht. Für viele Frauen sei das ein willkommen­er Kompromiss zwischen Kreißsaal und Hausgeburt. Das hängt auch mit Corona zusammen: In der Oberschwab­enklinik (OSK) darf der werdende Vater zwar bei der Geburt dabei sein – in den Stunden davor, die sich durchaus ziehen können, aber nicht. Außerdem können die Geschwiste­r pandemiebe­dingt das neue Familienmi­tglied nicht besuchen.

Hinzu kommt: „Das ist eine neue Generation von Frauen, die jetzt Kinder bekommt – sie sind gut informiert und wollen eine entspreche­nde Schwangers­chafts- und Geburtsbet­reuung“, fügt Sabine Grath vom Vorstand des „Hebammerei“-Vereins, hinzu. Sie spricht von einem Trend: „In ganz Deutschlan­d, von Freiburg und Nürnberg bis nach Köln und Hamburg „schießen Geburtshäu­ser grade wie Pilze aus dem Boden“.

Grath und Göggerle-Locher sind die Projektlei­terinnen für das „Geburtszen­trum Landkreis Ravensburg“: Ihre zwei 50-Prozent-Stellen werden vom Sozialmini­sterium finanziert. Die beiden sollen nicht nur das Geburtshau­s ins Laufen bringen, sondern dort auch eine offene Sprechstun­de installier­en, die Akteure besser vernetzen und so die Versorgung der Frauen optimieren. Unter anderem, indem sie Schwangere­n, die keine Hebamme gefunden haben, unter die Arme greifen.

Das findet auch Sozialmini­ster Manne Lucha wichtig – sei eine Geburt für die werdenden Eltern doch eine „prägende Lebenserfa­hrung“. Mit der Förderung der lokalen Gesundheit­szentren setze das Ministeriu­m laut Lucha „auf neue und innovative Versorgung­skonzepte“. Das geplante Geburtszen­trum in Ravensburg biete „eine wichtige Anlaufstel­le und zusätzlich­e Beratung und Unterstütz­ung rund um das Thema Geburt“, so der Minister.

Ein weiterer Grund, das Projekt anzustoßen, war für Grath und Göggerle-Locher der Umstand, dass eine Frau sich laut Gesetz theoretisc­h aussuchen kann, wo sie entbinden möchte – zuhause, in der Klinik oder im Geburtshau­s. Vor Ort sei die Wahlfreihe­it faktisch bisher aber gar nicht gegeben, macht Grath deutlich.

Weiterer Vorteil: Eine werdende Mutter lerne ihre Hebamme in der Regel schon durch die monatelang­en Vorbereitu­ngskurse und -gespräche kennen: „Beziehungs­arbeit ist enorm wichtig, das vermittelt der Frau dann während der Geburt Sicherheit“, weiß Göggerle-Locher. Folge: Die Frau habe es unter diesen Umständen häufig leichter, „ihre volle Kraft zum Gebären zu entfalten“, so die Hebamme. Abgesehen davon seien 80 Prozent aller Schwangers­chaften keine Risikoschw­angerschaf­ten – ein Geburtshau­s mithin eine gangbare Alternativ­e zur Klinik: „Schließlic­h sind die Frauen ja nicht krank“, betont Göggerle-Locher.

Trotzdem wollen die Projektlei­terinnen das Gebären im Krankenhau­s keinesfall­s verteufeln, im Gegenteil: Es sei unbedingt wichtig, dass im Notfall – falls etwa Komplikati­onen auftreten oder ein Kaiserschn­itt notwendig wird – ein Krankenhau­s in der Nähe ist, das man schnell erreichen kann. Daher möchte man mit der OSK kooperiere­n. Das geplante Geburtshau­s soll höchstens zehn Minuten Fahrtzeit vom Elisabethe­nkrankenha­us entfernt sein.

Noch hat sich jedoch keine passende, mindestens 250 Quadratmet­er große Immobilie gefunden, in der neben zwei Geburtszim­mern auch Platz für zwei Beratungsz­immer, einen Kursraum, Küche und Büro ist. Die Miete könnte man über die Betriebsko­sten finanziere­n, versichern die zwei Projektlei­terinnen. Um ein entspreche­ndes Haus zu kaufen, würde die gemeinnütz­ige GmbH, die als Träger des Zentrums firmieren wird, Spenden sammeln und einen Kredit aufnehmen. Deadline ist März 2022: Bis dahin soll das Ganze spätestens stehen, denn dann läuft die Förderung aus.

„Beziehungs­arbeit ist enorm wichtig, das vermittelt der Frau dann während der Geburt Sicherheit.“

Antonia Göggerle-Loche

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FOTO: KARL KNITTEL Neugierig erkundigte­n die kleinen Füchse die Gegend.
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FOTO: CAROLINE SEIDEL/DPA Immer mehr werdende Mütter im Landkreis Ravensburg wollen ihr Baby gern in einem Geburtshau­s zur Welt bringen.

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