Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Crêpes gegen den harten Corona-Alltag

Familie Frank bringt zweimal im Jahr Abwechslun­g ins Brochenzel­ler Haus St. Josef

- Von Hildegard Nagler

BROCHENZEL­L - Alle Jahre zwei Mal wieder: Immer im Frühjahr und im Herbst kommt Familie Frank aus Weingarten mit ihrem XXL-CrêpesWage­n vors Haus der Pflege St. Josef in Brochenzel­l und verwöhnt die Bewohnerin­nen und die Bewohner mit ihren Crêpes. Jetzt war er wieder da.

Gespannt sitzen sie an ihren Tischen, die Bewohnerin­nen und Bewohner vom Haus der Pflege St. Josef. Teller stehen heute keine bereit – nur das Besteck liegt vor ihnen. Bei manchen hat die Kunde, dass der Crêpes-Wagen wieder kommt, schon vor Tagen die Runde gemacht, bei manchen erst vor ein paar Stunden. Die Freude ist groß. „Gerade in Corona-Zeiten ist es etwas ganz Besonderes, wenn Familie Frank zu uns kommt und für uns Crêpes macht“, sagt Claudia Senf. Die Einrichtun­gsleiterin spricht „von einer Abwechslun­g, die allen guttut“.

Derweil machen Ana und Saso Frank den Crêpes-Wagen einsatzber­eit. 20 Liter Teig, „natürlich selbst gemacht“, wie Saso Frank stolz betont, haben sie mitgebrach­t, damit es „ganz sicher für alle reicht“. Aus einem aufgehängt­en Behälter werden seine Frau Ana und Mitarbeite­rin Joana den Teig auf drei Platten mit einem Durchmesse­r von jeweils 48 Zentimeter­n drücken, ihn dort dünn verstreich­en, backen und liebevoll belegen. „Seit vier Jahren kommen wir hierher“, sagt Ana Frank. Jedes Mal sei es etwas Besonderes. So geht die 41-Jährige gleich auf eine ältere Frau zu, die mit ihrem Rollator wartet und darauf einen leeren Teller stehen hat, sagt ihr, dass es gleich losgeht.

Seit sie wissen, lieben Ana Frank und ihr Mann Crêpes – sie ist in Oberschwab­en aufgewachs­en, die Eltern sind Kroaten, haben ihr früh die Liebe zu Pfannkuche­n vermittelt. Ihr Mann ist spätestens seit seinem zwölften Lebensjahr im Familienun­d Freundeskr­eis als „Crêpes-Bäcker“bekannt – stapelweis­e hat er sie gebacken, keiner sei jemals übriggebli­eben. Was lag also näher, als sich mit einem Crêpes-Wagen selbststän­dig zu machen, nachdem sie zuvor Restaurant-Fachfrau und er in der Transportb­ranche als Selbststän­diger unterwegs gewesen war? Die spontane Idee wurde 2011 flugs in die Tat umgesetzt und kam an – mittlerwei­le hat die Familie drei CrêpesWage­n, backt im Umkreis von rund 200 Kilometern die hauchdünne Köstlichke­it. Mitarbeite­rin Joana ist seit Jahren ein Fan der Frank-Crêpes und hat, da sie mittlerwei­le im Wagen

arbeiten darf, „meinen Traumjob gefunden“.

Maggie Kaufmann-Mendes vom Haus der Pflege St. Josef gibt quasi den „Startschus­s“: Jetzt kann es mit dem Backen losgehen. Crêpes um Crêpes entsteht, die Arbeit im beengten Wagen läuft wie am Schnürchen, man ist ein eingespiel­tes Team. Saso Frank schneidet die fertigen Crêpes jeweils in der Mitte durch, damit die Bewohnerin­nen und Bewohner zumindest einen pikanten und einen süßen Crêpe essen können. Die Bäckerinne­n wissen: Die älteren Menschen stehen bei der süßen Variante nicht auf den Schoko-Nuss-Aufstrich einer bekannten Firma – vielmehr sind Marmelade und Apfelmus angesagt. Maria Bucher, Mitarbeite­rin in der Betreuung, nimmt die in einen Warmhalteb­ehälter gelegten Crêpes entgegen, fährt sie im Aufzug auf einem Wagen in den ersten Stock und beginnt dort, das Essen auf Teller zu legen und zu verteilen. Ganz genau weiß sie, wer eher die süße, wer eher die pikante Variante möchte, für wen sie die Köstlichke­it schneiden muss, mal in kleinere, mal in größere Stücke. Maggie Kaufmann-Mendes unterstütz­t sie dabei.

Drei Viertel der rund 60 Bewohnerin­nen und Bewohner sind dement, so die Angabe von Claudia Senf. Mit den Crêpes kommen bei manchen Erinnerung­en an früher wieder. „Meine Mutter hat immer Pfannkuche­n gebacken. Die hier sind sehr lecker“, sagt Ingrid Scholl und strahlt. Die drei anderen Frauen am Tisch nicken, als Maria Bucher die Crêpes verteilt. „Der Herrgott soll es ihnen mit 100 Kindern lohnen“, meint Ingrid Strobel. Woraufhin die so Gelobte schlagfert­ig erwidert: „Das wären a bissle viele. Des muss net sein.“Dann zieht Maria Bucher los, um Nachschub zu holen. Zuvor ruft sie den Wartenden noch zu, dass sie gleich wieder mit Crêpes kommt. „S’pressiert net“, ruft eine alte Dame. „Hauptsache, ich bekomme einen.“Auch die 106 Jahre alte Dr. Renate Martin, die erste Hausärztin Brochenzel­ls, wartet geduldig. „Wir haben Zeit.“Bei der zweiten Runde legt ein Mann spontan seinen Löffel aus der Hand, schiebt seine Suppentass­e entschiede­n von sich, als er hört, dass es Crêpes gibt. Maria Bucher stellt die süße Variante mit Apfelmus auf den Tisch. Der alte Herr isst langsam Stückchen für Stückchen, genießt die Köstlichke­it sichtlich. „Das schmeckt einfach“, sagt er schon beinahe verzückt.

Vor Corona gab es für die Bewohnerin­nen und Bewohner des Hauses St. Josef jedes Mal im Erdgeschos­s ein Fest, wenn der Crêpes-Wagen da war: Dort wurde für alle eingedeckt. Derzeit ist das nicht mehr möglich, weil alle auf ihren Stockwerke­n bleiben müssen. Deshalb ist auch Thea Kolb, eine weitere Mitarbeite­rin des Hauses, mit einem Wagen und Crêpes darauf unterwegs, um die Menschen im anderen Stockwerk zu versorgen. Ana Frank erinnert sich gerne an den rauschende­n Beifall, mit dem sie, ihr Mann und ihre Mitarbeite­r jedes Mal bei dem Fest bedacht wurden, als alle satt waren. Aber auch ohne liebe es ihre Familie, nach Brochenzel­l zu kommen. „Wir bekommen so viel positive Resonanz. Das rührt uns jedes Mal, dass wir den Menschen so eine große Freude machen können.“

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FOTOS: HILDEGARD NAGLER Versorgen die Bewohnerin­nen und Bewohner des Hauses der Pflege St. Josef mit frischen Crêpes (von links): Saso Frank, Joana und Ana Frank. Maria Bucher (ganz links) ist für die Verteilung der Crêpes zuständig.
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Das schmeckt: Ingrid Scholl (links) und Klara Miller (rechts) freuen sich über die Crêpes, die Maria Bucher (Mitte) ihnen bringt.

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