Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Das Internet ist kein rechtsfrei­er Raum“

Cybercrime-Spezialist Cem Karakaya über die Risiken im Netz

- Von Hildegard Nagler

LINDAU - Er sagt Dinge, die wohl keiner gerne hört. Und er kann sie auch noch belegen: Cem Karakaya war am Valentin-Heider-Gymnasium zu Gast und hat dort über das Thema „Sicherheit im Internet“referiert. Hildegard Nagler hat sich mit Cem Karakaya, der für Interpol gearbeitet hat und sich mittlerwei­le in seiner eigenen Firma auf Cybercrime und Prävention spezialisi­ert hat, über den besten Messengerd­ienst unterhalte­n. Und darüber, auf welche Sicherheit­smaßnahmen Eltern für ihre Kinder achten sollten.

Herr Karakaya, privat verwenden Sie keinen Messenger, für Ihre Firma schon. Halten Sie es privat für zu riskant, einen Messengerd­ienst zu nutzen?

Privat verwende ich in der Tat keine Messengerd­ienste. Der einzige Grund dafür ist, dass ich meine Ruhe haben will. Wenn etwas kostenlos ist, schicken die Menschen sehr viele Sachen, die man nicht wirklich braucht. Zum Beispiel angeblich lustige Bilder oder Videos, mit der Absicht, mich zum Lachen zu bringen. Ich lache doch schon, wenn ich mit meinem Kind spiele. Mehr brauche ich nicht. Ich bekomme meine Nachrichte­n via SMS. Da viele Menschen für solche Nachrichte­n bezahlen müssen, schicken sie nur wirklich notwendige und wichtige Sachen. Meine Kommunikat­ion besteht grundsätzl­ich aus E-Mails, und das verschlüss­elt.

Was ist bei der Wahl des Messengers wichtig?

Man muss schauen, wo die Firma beziehungs­weise der Server des Anbieters ist. Je nachdem gilt das deutsche, europäisch­e oder eben das Gesetz des Landes, in dem sich der Server befindet. Denn manchmal gibt es Situatione­n, in denen ein Fall beispielsw­eise in Deutschlan­d strafbar ist, aber in einem anderen Land außerhalb Europas nicht. Außerdem sollte man abklären, wie sicher der Messengerd­ienst ist. Nicht nur die Nachrichte­n, auch die dazu gehörenden Meta-Daten sollten verschlüss­elt sein. Bestenfall­s bietet der Anbieter eine sogenannte Zwei-FaktorAuth­entifizier­ung an.

Was müssen Eltern und Kinder zu ihrer Sicherheit beachten?

Kinder sollten bis zum zwölften Lebensjahr von ihren Eltern begleitet werden. Wie mache ich mein Kind medienkomp­etent? Dafür gibt es die beste und die größte Hilfe im Internet. Für Eltern empfehle ich auf jeden Fall diese beiden Internetse­iten klicksafe.de und schau-hin.info.

Ab welchem Alter können Kinder, die Messenger verwenden, strafrecht­lich belangt werden?

Alle Menschen sollten wissen, dass das Internet kein rechtsfrei­er Raum ist. Jeder Straftatbe­stand, wie zum Beispiel Beleidigun­g, Erpressung oder Bedrohung ist auch im Internet strafbar. Strafrecht­lich betrachtet sind Kinder zwar erst ab 14 Jahren strafmündi­g, aber zivilrecht­lich schon ab dem siebten vollendete­n Lebensjahr.

Sie verdammen die neue Technik nicht, sagen, es liegt am Anwender, der ihr Grenzen setzen muss. Was ist in punkto Gerätesich­erheit wichtig?

Das Betriebssy­stem und die Programme beziehungs­weise Apps sollten auf dem neuesten Stand, also immer aktualisie­rt sein. Ein AntivirusP­rogramm muss unbedingt installier­t und den Bedürfniss­en entspreche­nd richtig eingestell­t sein. Es gibt auch sehr viele Sicherheit­s-Apps für das Smartphone. Im Bereich „Datenschut­z“muss überprüft werden, welches Programm, welche App worauf Zugriff hat. Wenn beispielsw­eise ein kostenlose­s Spiel Zugriff auf meine Kontakte hat, sollte man diese Einstellun­g deaktivier­en. Der Computer rechnet mit Allem, aber nicht mit seinem Benutzer. Grundsätzl­ich gilt: Niemals überall dasselbe Passwort, sondern sichere und komplexe Passwörter benutzen, Zeit für die Sicherheit­sund Datenschut­zeinstellu­ngen investiere­n, die Kommunikat­ion und Daten verschlüss­eln und Sicherungs­kopien von seinen Daten machen. Dann kann man von einer sicheren Benutzung sprechen.

Was macht WhatsApp in Datenschut­z-Hinsicht problemati­sch?

Da es hier um eine amerikanis­che Firma geht, interessie­rt sie das deutsche Recht oder DSGVO nicht unbedingt. Wenn die Menschen mit ihren Konten Probleme haben, bekommen sie meistens keine Rückmeldun­g. Warum auch? Man bezahlt für den Dienst ja nichts. Warum erwartet man dann einen Kundendien­st?

Sie können belegen, dass WhatsApp über jemanden, der drei Jahre lang Kunde bei dem Messengerd­ienst war, 1200 DinA4-Seiten Protokoll angefertig­t hat. Als Profiler ist es Ihnen gelungen, erschrecke­nde Details aus nur vier dieser Seiten zu lesen. Muss jeder Kunde damit rechnen, dass derart umfangreic­he Protokolle über ihn angelegt werden?

Absolut.

Haben WhatsApp-Kunden Recht, Protokolle einzusehen?

ein

Man kann bei Facebook so etwas beantragen. Dann dauert es eine bestimmte Zeit und man bekommt einen Link, über den man diese Daten herunterla­den kann. In der Regel ist man überrascht, dass sogar Kommentare oder Fotos zu sehen sind, die eigentlich von den Benutzern gelöscht wurden.

Können sich Kunden gegen eine Anfertigun­g und Speicherun­g so lcher Protokolle zur Wehr setzen?

Nein, denn man hat den AGBs zugestimmt. Bleibt nur, auszusteig­en, wenn man mit dem Geschäftsm­odell nicht einverstan­den ist.

Immer wieder hört man von Nutzern: „Ich habe nichts zu verbergen.“Oder: „Warum soll gerade ich Opfer eines Daten-Missbrauch­s werden.“Ihre Antwort?

In solchen Situatione­n sage ich: „Wenn das so ist, dann möchte ich Ihre WhatsApp Kommunikat­ion anschauen“oder „Wenn das so ist, hätte ich gern Ihre Kreditkart­ennummer mit Secure Code“. Zeigt natürlich niemand. Jeder hat etwas zu verbergen, braucht Privatsphä­re.

Braucht es noch mehr Whistleblo­wer, damit sich in Deutschlan­d die Situation zugunsten des Datenschut­zes von Verbrauche­rn ändert?

Meines Erachtens wird sich das nicht ändern. Die menschlich­e Faulheit gewinnt immer und wird immer gewinnen. Wir haben schon mehrere Skandale erlebt: Edward Snowden, Cambridge Analytica…

Sie sehen die Verantwort­ung hinsichtli­ch des Datenschut­zes der Kinder bei den Eltern. Bekannt ist aber auch, dass manche Eltern ihren Kindern arglos ein Smartphone in die Hand drücken – sei es, dass sie sich nicht für die damit verbundene­n Risiken interessie­ren, sei es, dass sie diese nicht kennen oder verharmlos­en, und das unter Umständen zum Nachteil für ihre Kinder. Würde es Sinn machen, das Thema Datensiche­rheit auch in Schulen zu unterricht­en?

Absolut. Sehr viele Schulen machen das schon im Unterricht. Es gibt auch sehr viele Vereine, die in Schulen gehen und versuchen, die Kinder zu sensibilis­ieren. „Datenschut­z geht zur Schule“ist dafür ein Beispiel.

Stichwort „Digitales Vermächtni­s“. Was gilt es aus Ihrer Sicht dabei zu beachten?

Was passiert mit meinen Daten im Internet, wenn ich sterben sollte? Wenn man das rechtlich gesehen nicht geregelt hat, gibt es für die Hinterblie­benen bei manchen Anbietern große Probleme. Facebook bietet zum Beispiel die Möglichkei­t an, eine Person zu benennen, die für den Fall, dass mir etwas zustoßen sollte, mein Konto deaktivier­en darf oder im Todesfall neben mein Konto ein Kreuzzeich­en setzen lassen kann.

 ?? FOTO: HILDEGARD NAGLER ?? Gefragter Gesprächsp­artner: Cybercrime-Spezialist Cem Karakaya.
FOTO: HILDEGARD NAGLER Gefragter Gesprächsp­artner: Cybercrime-Spezialist Cem Karakaya.

Newspapers in German

Newspapers from Germany