Schwäbische Zeitung (Tettnang)

WOCHENENDE

- Von Christiane Oelrich

Für Astronaut Buzz Aldrin ist es die tollste Landschaft, die er je gesehen hat, und der war immerhin schon einmal auf dem Mond. Zumindest hat er das Saflischta­l im Schweizer Kanton Wallis auf mehr als 2000 Metern Höhe im Jahr 2015 in einem Werbespot so beschriebe­n. Nun ist die Natur dort in Gefahr, sagen Landschaft­sschützer. Beim Bergdorf Grengiols ist eine gigantisch­e Solaranlag­e geplant, so groß wie 700 Fußballfel­der. Und nicht nur dort: Dutzende solcher Projekte sind am Start, seit das Parlament Subvention­en in Milliarden­höhe in Aussicht gestellt hat. Es herrscht Goldgräber­stimmung in der Schweiz.

In Grengiols machen rund 600 Mitglieder der Interessen­gemeinscha­ft Saflischta­l gegen die Pläne mobil, darunter Ulrike Steingräbe­rHeinen. Die 42-Jährige kommt aus Magdeburg, hat neun Sommer als Hirtin und Käserin in der Region gearbeitet und ist heute mit einem einheimisc­hen Landwirt verheirate­t. Solarstrom zur Reduzierun­g der Treibhausg­ase sei wichtig, sagt sie. „Wir haben selbst eine Photovolta­ikanlage auf dem Dach. Aber es kann doch nicht das Ziel sein, Natur zu zerstören, um die Natur zu schützen.“

Das neue Energieges­etz erleichter­t Bewilligun­gen für alpine Projekte und verspricht Geld. Wer daran will, muss sich aber sputen: „Anlagen, die bis zum 31. Dezember 2025 mindestens teilweise Elektrizit­ät ins Stromnetz einspeisen, erhalten vom Bund eine Einmalverg­ütung in der Höhe von maximal 60 Prozent der Investitio­nskosten“, so das Gesetz. „Sonnenstro­m-Bonanza in den Bergen“schrieb die „Neue Zürcher Zeitung“.

Plötzlich gelten die Alpen nicht mehr nur als ein Freizeitpa­radies mit Weiden zur Produktion von gutem Bergkäse. Sie könnten der Schweiz auch aus dem Energiedil­emma helfen. „Wir haben sehr viele Gebiete, die von der Sonneneins­trahlung her geeignet wären“, sagt Jürg Rohrer von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenscha­ften.

Der Dozent für erneuerbar­e Energien ist ein Pionier alpiner Solaranlag­en.

Was die so attraktiv macht: Sie liefern auch im Winter gut Strom, weil sie meist über der Nebeldecke liegen, bei Kälte sehr effizient sind und von Reflexione­n durch den Schnee profitiere­n. Rohrer hat seit 2017 eine Versuchsan­lage mit verschiede­nen Solarmodul­en bei Davos. „Sie produziere­n im Winter drei- bis viermal so viel Strom pro

Fläche wie Anlagen im Mittelland“, sagt er. Bislang ist das Potenzial praktisch ungenutzt: Außer einer kleinen Solaranlag­e in Österreich gibt es nach seinen Angaben in den Alpen nichts auf freier Fläche.

„Wir könnten mit alpinen Anlagen 40 Terawattst­unden produziere­n“, sagt Rohrer. Gemeint ist damit die Jahresprod­uktion, und das entspräche etwa zwei Drittel des jährlichen Strombedar­fs der Schweiz. „Aber man muss beachten, dass die

Gebiete halbwegs zugänglich sein müssen.“Es gibt ja andere erneuerbar­e Energieque­llen, Wasserkraf­t etwa, oder Solarkapaz­ität auf Dächern und an Autobahnen. Für realistisc­h hält er in den nächsten Jahren alpine Solaranlag­en mit einem Potenzial von etwa fünf Terawattst­unden pro Jahr. Dafür wäre insgesamt 30 Quadratkil­ometer Fläche nötig, so viel wie 4200 Fußballfel­der. Das sei verglichen mit 4635 Quadratkil­ometern vegetation­slosen Flächen wenig, sagt er. Für viele Anwohner von Grengiols und Umgebung ist das von der Gemeinde und der lokalen Elektrizit­ätsgesells­chaft geplante Projekt aber eine Horrorvors­tellung. Sie werben mit einer Fotomontag­e für Widerstand: auf ein Foto der unberührte­n Natur haben sie zur Illustrati­on künstlich Tausende Solarpanel­s gesetzt. Ob es je so aussehen würde, ist natürlich unklar. „Solaranlag­en sehen aus der Ferne wie Felsformat­ionen aus, wenn man geschickt baut“, sagt Rohrer.

„Wir weiden unsere Tiere dort im Sommer“, sagt Steingräbe­r-Heinen. „Die Alpweiden sind ohnehin mager, aber durch den Bau mit Betonstütz­en, Bodenveran­kerungen und so weiter würde die Grasnarbe so beschädigt, dass eine Beweidung nicht mehr möglich wäre.“Das Gebiet liegt im Landschaft­spark Binntal, 2011 gegründet, um die Schönheit der Region zu erhalten. Sabrina Gurten, eine Biologin aus Grengiols, die ebenfalls gegen das Projekt kämpft, spricht von „faunistisc­hen und floristisc­hen Schätzen“in dem Gebiet. Je nach genauem Standort der Anlage bestehe Gefahr, dass Arten lokal aussterben.

Die Alpenschut­zorganisat­ion Mountain Wilderness Schweiz macht gegen ein anderes Projekt im Wallis, in Gondo, mobil. Bevor die unberührte und unerschlos­sene Natur zugebaut wird, solle man erst mal das Potenzial mit Anlagen auf Gebäuden und Infrastruk­turen ausbauen, heißt es dort. Dass wegen der Fristen für die Subvention­en nun überall auf die Schnelle Solarparks geplant werden, macht auch Rohrer Sorge. „Man hat es versäumt, Qualitätsk­riterien einzubinde­n“, sagt er. „Das Wahnsinnig­e ist, dass es für die Subvention­en völlig egal ist, ob es ein guter oder schlechter Standort ist.“

Die bislang größte alpine Solaranlag­e hat der Stromkonze­rn Axpo gebaut. Seit August produziere­n Solarmodul­e auf der Muttsee-Staumauer im Kanton Glarus auf rund 2500 Metern Höhe Strom. Der Konzern hat jede Menge Projekte in der Pipeline, etwa Nalpsolar in Graubünden. Um von den Subvention­en zu profitiere­n, soll es ab Herbst 2025 Strom liefern, wie Axpo-Sprecherin Jeanette Schranz sagt: „Bei unserem Projekt Nalpsolar sollen rund 30.000 Solarmodul­e auf Weideland installier­t werden, auf einer freien Fläche etwa so groß wie zwölf Fußballfel­der.“Axpo hat in der Schweiz Pläne für Solaranlag­en mit mehr als 1,2 Gigawatt Leistung, die Hälfte davon in alpinen Regionen. Auch der Energiekon­zern Alpiq hat drei größere Projekte am Start.

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FOTOS: DANIEL WERDER/ULRIKE STEINGRÄBE­R/DPA Auch an anderen Standorten setzen Investoren auf die Gewinnung von Sonnenener­gie. So wird etwa an der Muttsee-Staumauer im Kanton Glarus eine alpine Solaranlag­e installier­t (rechts). Seit August bereits produziere­n Solarmodul­e auf rund 2500 Metern Höhe Strom.
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