Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Ende der englischen Erfolgsgeschichte
Trainer Jürgen Klopp wird den FC Liverpool im Sommer nach neun Jahren verlassen
3. Liga (23. Spieltag)
Hallescher FC – Waldh. Mannheim 1:4 (0:1) Bundesliga der Frauen (11. Spieltag) Werder Bremen – B. Leverkusen 2:1 (0:1)
LIVERPOOL (SID) - Die TV-Kamera läuft, aber nach diesem wilden Ritt von bald neun Jahren braucht Jürgen Klopp noch ein paar Sekunden. Ein unsicheres Lächeln, ein Blick nach unten, dann schafft er es, den Fans des FC Liverpool zu sagen, was ihm seit Monaten die Seele einschnürt. „Ich verlasse den Verein am Ende dieser Saison“, bringt er heraus – und eine Schockwelle rast durch den englischen Fußball.
Jürgen Klopp ist zutiefst erschöpft, daran lässt er keinerlei Zweifel. Er fühle sich ausgebrannt, habe „schon zu lange kein normales Leben“, er gießt seine Gefühle in ein starkes Bild. „So habe ich versucht, das meiner Ulla zu erklären“, sagt er: „Ich bin immer noch ein gepflegter Sportwagen, nicht der beste, aber ein guter. Ich kann immer noch 160, 170, 180 Meilen pro Stunde fahren – aber ich bin der Einzige, der sieht, wie die Tanknadel abstürzt.“Deshalb sei es Zeit, die Bremse zu treten.
Der 56-Jährige ist noch nie mit Halbgas gefahren. Schon in sieben Jahren beim FSV Mainz 05 und weiteren sieben bei Borussia Dortmund peitschte der Meistertrainer seine Spieler und sich selbst an alle Grenzen, mit hohem Einsatz und maximaler Leidenschaft. „Ich habe ganz hohen Respekt vor dieser Entscheidung“, sagte BVB-Chef HansJoachim Watzke. „Das zeigt einmal mehr, dass Jürgen außergewöhnlich ist.“Auch Bayern-Trainer Thomas Tuchel, der Klopp einst in Mainz und Dortmund nachfolgte und der ihn später auch als Coach des FC Chelsea herausforderte, zeigte sich beeindruckt. „Das muss ich erst mal verdauen. Kloppo ist einer der allerallerallerbesten Trainer auf der Welt.“
2015 hatte sich Klopp als „The Normal One“bei den Reds vorgestellt, quasi als Gegenentwurf zum egozentrischen José Mourinho. „Ich bin auch heute noch ein normaler Kerl“, sagte er nun, „aber ich möchte nicht warten, bis ich zu alt für ein normales Leben bin. Ich hatte noch nie eines – ich will es zumindest mal ausprobieren.“
Die ewig blubbernden Spekulationen über einen baldigen Wechsel ins Amt des Bundestrainers sollten sich erledigt haben, obwohl Julian Nagelsmanns Vertrag vorerst nur bis zur Heim-EM im Sommer läuft. Denn alles hört sich danach an, dass Klopp eine längere Pause einlegen wird. Selbst sein Karriereende erscheint möglich. Er werde, betonte er, mindestens ein Jahr lang „keinen Verein und keine Nationalmannschaft“übernehmen.
„Mir geht die Energie aus“, betonte er. Wenn man mich fragt, ob ich jemals wieder als Trainer arbeiten werde, würde ich jetzt Nein sagen. Aber ich weiß ja nicht, wie sich das anfühlt.“Nach seiner BVBZeit hatte er bis zur Unterschrift in Liverpool im Oktober 2015 nur etwas mehr als vier Monate pausiert.
An der legendären Anf ield Road haben sie Klopp dann sofort ins
Herz geschlossen. Seine Art kam an, seine dreifache Faust nach Siegen wurde ein Markenzeichen, Klopp traf den Ton: auch im Umgang mit erkrankten Fans oder der schweren historischen Belastung der Toten der Stadionkatastrophe von Hillsborough. „Ich liebe absolut alles an diesem Verein, an dieser Stadt, und ich liebe euch Fans“– selbst bei der Ankündigung seines Abschieds klang Klopp genau so, als ob er dafür geboren worden sei, genau diesen Club zu trainieren.
Auch der Erfolg stimmte. Klopp führte Liverpool mit Powerfußball unter anderem zum ChampionsLeague-Triumph 2019 und zum Meistertitel 2020, dem ersten der Reds nach 30 Jahren. Vor dieser Saison baute Klopp noch einmal ein neues Team auf. Und diese Maßnahme ging bislang so gut auf, dass Klopp nun als Tabellenführer der Premier League und Finalist des Ligapokals in seine letzten Monate in Liverpool gehen wird. Den tradistionsreichen FA-Cup und die Europa League kann er mit seinem neuformierten Team auch noch gewinnen. „Lasst uns alles aus dieser Saison herausquetschen und dafür sorgen, dass wir irgendwann lächelnd zurückschauen können“, sagte er.
Dennoch: Wie er da in seinem grauen Wollpulli im Studio des Vereinsfernsehens saß, wusste er, dass er vielen Menschen das Herz brechen würde. „Ich werde nie, nie wieder einen anderen Club in England trainieren, zu 100 Prozent. Das ist doch nicht möglich. Meine Liebe zu diesem Verein, mein Respekt vor den Menschen ist zu groß“, versprach er. „Aber ich kann verstehen, dass es für viele Menschen in diesem Moment ein Schock ist, wenn man es zum ersten Mal hört.“
Man wird sich daran gewöhnen, irgendwann. Vielleicht sogar Jürgen Klopp.