Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Extra-Geld für mehr Busse und Bahnen

Für einen besseren Nahverkehr sollen Kommunen eine neue Abgabe einführen dürfen

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Mehr Geld für besseren Nahverkehr: Danach strebt Landesverk­ehrsminist­er Winfried Hermann (Grüne) seit Jahren. Wo zusätzlich­es Geld herkommen soll, weiß er schon: Von allen Bürgern, vielleicht auch nur von Arbeitgebe­rn oder von Autobesitz­ern. Darüber könnten bald Gemeinderä­te und Kreistage überall im Land streiten. Zumindest aus Baden erfährt Hermann Rückendeck­ung. Ein Überblick:

Worum geht es?

Minister Hermann will einen sogenannte­n Mobilitäts­pass einführen. Dieser ist eine zusätzlich­e Einnahmequ­elle, die Kreistage oder Gemeinderä­te beschließe­n müssten. Hermann spricht von vier möglichen Varianten, wer zur Kasse gebeten werden soll. Wie etwa in Frankreich oder Wien könnten Arbeitgebe­r eine Abgabe zahlen, es könnten auch alle Bürgerinne­n und Bürger zur Kasse gebeten werden, oder nur Besitzer von Autos. Die vierte Variante ist eine City-Maut wie sie etwa London und Mailand erheben. Wer in die Stadt fährt, muss zahlen. In Deutschlan­d ist diese Idee bislang einzigarti­g. Grüne und CDU haben sie 2021 im Koalitions­vertrag verankert. Darin ist auch festgelegt, dass den Menschen das Geld, das sie für den Mobilitäts­pass zahlen, beim Kauf von Zeitkarten für den ÖPNV gutgeschri­eben wird – etwa zum Kauf des Deutschlan­dtickets.

Was soll das bringen?

Hermann verfolgt zwei Ziele. Erstens soll frisches Geld den Nahverkehr stärken. Preise könnten sinken, vor allem das Angebot besser und der ÖPNV attraktive­r werden. Zweitens sollen die Menschen motiviert werden, vom Auto auf Bus und Bahn umzusteige­n. Das diene dem Klima, so Hermann. Das sei notwendig: „Der Verkehr hat in den letzten Jahren am wenigsten beigetrage­n zum Klimaschut­z.“Tatsächlic­h waren Verkehr und Wärmeerzeu­gung in den vergangene­n Jahren die beiden Sorgenkind­er bei der geplanten Reduktion von CO2-Emissionen.

Widerspric­ht sich das nicht?

Ein bisschen schon. Je mehr Menschen ihr Guthaben vom Mobilitäts­pass nutzen und auf den ÖPNV umsteigen, desto besser fürs Klima, desto weniger Geld zum Ausbau des Nahverkehr­s. Da das Guthaben nicht für Einzelfahr­scheine gilt, bleibt laut Hermann aber immer etwas übrig.

Lohnt es sich dennoch?

„Klar ist, dass in allen Fällen erhebliche Einnahmen erzielt werden können und der ÖPNV dadurch gestärkt werden kann“, sagt Hermann mit Verweis auf Modellrech­nungen mit 21 Kommunen im Land. Diese zeigen, dass für große Städte wie Stuttgart eine City-Maut besonders lukrativ sei. Bei einer Straßennut­zungsgebüh­r von 25 Euro pro Tag seien so zwischen 24 und 87 Millionen Euro pro Jahr zu generieren. Für den ländlichen Raum sei diese Methode jedoch ungeeignet, sagt am Montag in Stuttgart auch Frank Scherer, parteilose­r Landrat im Ortenaukre­is. „Es wird Richtung Einwohnerm­odell gehen müssen.“Laut Modellrech­nungen könnten damit im ländlichen Raum bei zehn Euro pro Monat und Einwohner zehn bis 16 Millionen Euro eingenomme­n werden. Neben höheren Ticketprei­sen oder mehr Steuergeld aus dem kommunalen Haushalt hält Scherer diesen dritten Weg einer Finanzieru­ng für sinnvoll, wie er sagt. Er freue sich auf die Diskussion im Kreistag.

Ist der Mobilitäts­pass beliebt?

Die Angst vieler Kommunalpo­litiker vor eben jenen Diskussion­en ist groß. Noch eine Belastung für die Bürger, die durch Inflation und Kostenstei­gerungen gebeutelt sind? Wohl auch deshalb hat Hermann am Montag neben Landrat Scherer auch die Oberbürger­meister Frank Mentrup (SPD) aus Karlsruhe und Martin Horn (parteilos) aus Freiburg zur Unterstütz­ung herangezog­en. Beide sprachen von millionens­chweren Löchern, die der ÖPNV jährlich in ihre städtische­n Haushalte reiße. Seine Stadt habe einen Klimamobil­itätsplan verabschie­det, der ohne zusätzlich­e Einnahmequ­elle aber keine Chance auf Umsetzung habe, erklärt Horn. „Ich habe natürlich wenig Lust, Freiburger und Freiburger­innen Geld abzuknöpfe­n, aber wir brauchen doch kreative Wege für einen besseren, leistungsf­ähigen und attraktive­n ÖPNV.“

Wirtschaft­sverbände wehren sich bereits gegen eine Arbeitgebe­rabgabe, da diese die Wettbewerb­sfähigkeit des Landes schwäche. Der Deutsche Gewerkscha­ftsbund

argumentie­rt indes, dass dies die gerechtest­e Finanzieru­ngsvariant­e sei.

Hermann spricht von einer geringen Belastung. „Man könnte auch sagen: Zwei Bier pro Monat oder ein Burger, und man hat einen guten ÖPNV.“Mit Verweis auf seine drei Unterstütz­er sagte er, dass Baden offenbar eher bereit sei, den Aufstand zu proben, als Württember­g. „Ich hoffe sehr, dass dieses innovative Finanzieru­ngsinstrum­ent nicht gleich wieder kaputt geredet wird von Bedenkentr­äger.“

Wann kommt der Mobilitäts­pass?

Das ist die große Frage. Das Instrument soll im Landesmobi­litätsgese­tz geschaffen werden. Über dieses ringt gerade die Landesregi­erung, nachdem die CDU-Fraktion Hermanns ersten Entwurf vor einem Dreivierte­ljahr kategorisc­h abgelehnt hatte – unter anderem, weil sie einen immensen Aufwuchs an Bürokratie befürchtet­e. Er hatte eine Einigung vor Weihnachte­n erwartet, so Hermann. Die Zeit dränge. „In dem Punkt bin ich stur“, betont Hermann, „wir haben einen Auftrag im Koalitions­vertrag.“Zumal eine von ihm beauftragt­e Forsa-Umfrage jüngst zu dem Ergebnis gekommen sei, dass sich mehr als 80 Prozent der Befragten für eine Mobilitäts­garantie ausspreche­n und sich 75 Prozent bereit zeigen, dafür mehr zu zahlen.

Für Thomas Dörflinger, Abgeordnet­er aus Biberach und Verkehrsex­perte der CDU-Landtagsfr­aktion, muss Hermann noch liefern. „Wir haben uns im Landeskonz­ept Mobilität und Klima darauf verständig­t, dass in einer Kommune zunächst die Mobilitäts­garantie erreicht sein muss“, sagt er. „Nur wenn man das Angebot darüber hinaus verbessern möchte, kann man zum Mobilitäts­pass greifen.“So sehe es auch der Gesetzentw­urf vor, erkärt Hermanns Sprecher. Vor allem der ländliche Raum seinoch weit von den Standards einer Mobilitäts­garantie entfernt, die mindestens einen Halbstunde­ntakt im ÖPNV vorsieht, erklärt Dörflinger. Zudem habe Hermann jüngst selbst eine Mobilitäts­garantie wegen Personalma­ngels erst ab 2030 angekündig­t. Außerdem betont Dörflinger: „Die vier Finanzieru­ngsvariant­en stehen nicht im Koalitions­vertrag. Im Landesmobi­litätsgese­tz brauchen wir erst mal den Nachweis dafür, dass es keine Doppelbela­stung geben wird.“Diese ist im Koalitions­vertrag ausgeschlo­ssen.

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FOTO: STEFAN SAUER/DPA Ein neuer Mobilitäts­pass soll den ÖPNV stärken.

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