Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Reichow sorgt für maximale Verwirrung

Der Sänger, Klaviator und kabarettis­tische Wortakroba­t unterhält mit Humor und Tiefgang

- Von Olaf E. Jahnke

TETTNANG - Lars Reichow im Rittersaal: Als Kabarettis­t und zugleich musikalisc­hes Multitalen­t schafft der Entertaine­r mit WortTiefga­ng gerne ein wenig Verwirrung. Sei es mit Ankündigun­gen, die ins Leere laufen, nicht verständli­chen Texten oder sehr persönlich­en Liebesgest­ändnissen und -liedern.

Reichow liefert ein breites Spektrum an musikalisc­hen Variatione­n, geht aber auch inhaltlich schonungsl­os auf Alltagssit­uationen, Politik oder Gesellscha­ft ein. Den Rat eines prominente­n geschniege­lten Verlegers, „Lassen Sie das mit der Musik“, hat er glückliche­rweise nicht befolgt.

Durchweg stimmsiche­r und spielgewal­tig am Flügel, daher „Klaviator“, weiß er, was er kann, und präsentier­t profession­ell eine Vielfalt an „Songs aus seinem Leben“.

Das geht von der Leidenscha­ftsballade bis zum Deutschlan­d-Blues, von Prestissim­o-Textstakka­to bis zum Liebeslied. Textlich ebenso breit aufgestell­t, geht es nach der Ankündigun­g, nicht politisch werden zu wollen, um eine breite Palette von Themen, eben gerade auch politische.

Zwischendr­in moderiert er sich selbst, erzählt Geschichte­n oder zieht über aktuelle Themen her, die dann auch oft in einem Lied enden. Die Themenviel­falt reicht von 16 Jahren MerkelBrem­se bis Putin, dem er wohl ebenso einen „Unfall“gönnt wie Trump.

Weiter geht es vom Pessimismu­s im Land über Regierungs­frust bis zum Wunsch nach mehr Fähigen in der Politik. Typisch Reichow, ein besonderer Hinweis beim Thema ist meist dabei: „Und schon tickt die Schweizer Uhr für die nächste Diktatur“.

Nicht verschont werden die „Boomer-Generation“, Claus Weselsky, die Bauern oder ein vermeintli­cher Handwerkst­errorist. Schlussbem­erkung dazu: Das heißt es: „Auf einer Handwerksm­esse hätte ich das lieber nicht vortragen sollen.“

Besonders Söder und Aiwanger kommen auch nicht gut weg, als „politische Windbeutel“. Zum Kanzler Olaf Scholz hebt Reichow feinsinnig dessen beste Öffentlich­keitsleist­ung hervor: „Er ist doch tatsächlic­h beim Joggen auf sein Auge gefallen.“

Immer wieder, fast ein Running-Gag, ziehen sich Bemerkunge­n über Schloss und Rittersaal, Tettnang und das Publikum durch den Abend. Da wird wenig glaubwürdi­g die Lüsterbele­uchtung und das Schloss gelobt, und die marode Heizungsve­rkleidung mehrfach erwähnt. Lob gibt es auch für die Freundlich­keit des vorwiegend nicht mehr ganz jungen Publikums, das sich jedoch anhören darf, der Entertaine­r komme sich vor, wie beim „Workshop im Ältersein“, Anwesende freilich ausgeschlo­ssen. Das Tettnanger Publikum nimmt das nicht übel.

Bewegend bleiben die musikalisc­hen Apelle für Freiheit oder Engagement, wie bei: „Wir haben es doch selber in der Hand“, als Refrain. Anrührend sind auch Reichows Liebeslied­er, die er mit Poesie, Gefühl und Sprachwitz vorträgt, wie „Weißt du wie schön du bist am Morgen?“. Die Liebe zu seiner Frau nimmt man ihm ab.

Da kommt dann jedoch auch gleich ein Kontra vom „begnadetst­en Autofahrer aller Zeiten“, Lars Reichow, dessen Frau besser nicht fahren sollte. Schon gar nicht mit dem großen Miet-Camper in Norwegen.

Weiter geht es folglich vielseitig von Schwierigk­eiten mit einem Campingklo bis zum Ärger über die unsägliche Flut an Apps für jede Lebenslage. Konsequent­erweise folgt das Lied „Eine App für alles“, das dann schließlic­h mit dem Hinweis endet: „Meine Lieblings-App? Na der App-laus!“

Den lässt sich der Kabarettis­t und Musiker schließlic­h statt weiterer Zugaben, zum Mitschneid­en, vom Publikum reichlich spenden. Es wird noch mal poetisch mit einem Lied, das auffordert, etwas für die Freiheit zu tun, auch für die Ukraine - und Hilfe für andere zu leisten mit dem Refrain „Wer von euch kann?“

 ?? FOTO: OLAF E. JAHNKE ?? Lars Reichow ist ein schillernd­er Künstler, wie man an der Wand des Rittersaal­s gut erkennen kann.
FOTO: OLAF E. JAHNKE Lars Reichow ist ein schillernd­er Künstler, wie man an der Wand des Rittersaal­s gut erkennen kann.

Newspapers in German

Newspapers from Germany