Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Ski geht auf die Knie
Mediziner warnen vor zu hoher Belastung für Knochen und Bänder beim Wintersport
MÜNCHEN/INNSBRUCK (dpa) - Einmal im Jahr eine Woche Vollgas auf der Skipiste: So sieht bei vielen Deutschen der Winterurlaub aus. Für manche endet der lang ersehnte Trip in die Berge im Krankenhaus. Gerissene Bänder oder gebrochene Knochen: Der Drang, aus den wenigen Ferientagen ein Maximum an Schnee-Erlebnissen rauszuholen, ist laut dem Orthopäden und Unfallchirurgen Professor Mirco Herbort ein Hauptrisikofaktor dafür.
„Wir kommen aus dem Job und gehen sonst vielleicht einmal die Woche Joggen. Und dann machen wir Skiurlaub und fahren eine Woche lang jeden Tag sechs, sieben Stunden Ski und belasten uns an unsere Grenzen“, sagt der Mediziner von der Münchener OCMKlinik. Herbort behandelt jeden Winter viele Verletzte aus den Alpen-Skigebieten südlich von München. Wir geben einen Überblick über typische Verletzungen bei den beliebtesten SchneeSportarten – und wie sie sich womöglich vermeiden lassen.
Abfahrtsski: Knie in Gefahr Knieverletzungen sind der Klassiker unter den Skiverletzungen. „Die Knie sind der größten Belastung ausgesetzt. Wir haben den ganzen Winter viele Kreuzbandund Meniskusverletzungen“, sagt Professor Rohit Arora. Als Direktor der Uniklinik für Orthopädie und Traumatologie Innsbruck hat er in jeder Skisaison viele verletzte Wintersportlerinnen und Wintersportler aus den umliegenden Tiroler Skigebieten auf dem OP-Tisch liegen.
Kürzere und stärker taillierte Carvingski haben aus Sicht des Münchner Chirurgen und Kniespezialisten Herbort dazu beigetragen, dass die Knie zum anfälligsten Körperteil im Alpinski wurden. Zum einen erleichtern die Carvingski Anfängern das Lernen, sodass sie schneller den Berg runterkommen – manchmal zu schnell. Zum anderen sei das Material so gut, dass die Kräfte, die die Ski aufs Knie bringen, dessen Belastungsfähigkeit zum Teil übersteigen, so Herbort.
Oftmals allerdings passieren die Knieverletzungen gar nicht bei hochrasanten Stürzen, sondern auf denkbar unspektakuläre und bittere Art und Weise. Vor allem beim Benutzen der Lifte ist laut Herbort Vorsicht geboten. „Beim Ausstieg nicht aufgepasst, einen Ski im Schnee verkantet und die Beine x-bein-artig verdreht: Da geht durch die Hebelwirkung der Ski schnell das Kreuzband kaputt.“
Snowboard: Gefahr für Schulter, Arm und Handgelenk Unterarmbrüche, ausgerenkte Schultern und Ellenbogen, gebrochene Handgelenke und Schlüsselbeine:
Beim Snowboarden sind eher die oberen Extremitäten verletzungsgefährdet. Zum Schutz der Handgelenke haben Snowboard-Handschuhe oft Protektoren integriert. Mirco Herbort findet diese Schützer sinnvoll, auch wenn sie von vielen als unbequem empfunden werden. „Frakturen im Handgelenkbereich können schwerwiegend sein“, sagt er.
Rohit Arora behandelt auch immer wieder Snowboarder mit schweren Wirbelsäulenverletzungen. „Weil sie beim Tiefschneefahren im Wald etwa gegen einen Baum geprallt sind.“
Egal, ob man auf Ski oder Snowboard die Piste herunterbrettert: Um verletzungsfrei und mit Spaß durch den Urlaub zu kommen, ist ein gesundes Maß an Ref lexion und Risikowahrnehmung ratsam. „Das Schlimmste ist die Selbstüberschätzung“, sagt Arora. „Gerade am Anfang, nachdem man ein Jahr lang nicht gefahren ist.“
Damit einem am zweiten oder dritten Tag nicht die Kraft in den Muskeln fehlt, um Schläge auf der Piste abzufedern, rät Mirco
Herbort: In den Wochen vor dem Urlaub gezielt die Beine kräftigen, etwa mit Kniebeugen. Und vor jedem Pistentag mit Skigymnastik aufwärmen. Man sollte zudem auf seinen Körper hören: Fühlt er sich müde an, lässt man es lieber langsam angehen oder macht mal einen Tag komplett Pause.
Skilanglauf: Richtig hinfallen Langlauf gilt als die risikoarme Alternative zum Alpinski. Gemütlich die Loipen entlangziehen – was soll dabei schon passieren? Tatsächlich nicht viel, zumindest solange es geradeaus oder bergauf geht, wie Rohit Arora sagt. Manchmal halten die Langlaufstrecken aber auch kleine Abfahren bereit. Vor allem dabei kommt es zu Verletzungen, wenn Wintersportler die Kontrolle über die langen, schmalen Ski verlieren und stürzen. „Weil sie dabei oft in die Grätsche gehen, kommt es etwa zu Symphysen-Frakturen im Becken“, sagt Arora. Sein Rat: Immer seitlich fallen, wenn man merkt, dass man nicht mehr sicher zum Stehen kommt.
Rodeln gilt als rasanter Spaß. Dabei kann man sich allerdings auch leicht Verletzungen an Rücken und Steißbein zuziehen.
Rodeln: Lieber mit Helm
Als Gaudi und Abwechslung betreiben viele Skigebiete eigene Rodelpisten. Nicht sehr breit, rasant und kurvenreich führen sie oft mitten durch einen Wald. Vor allem Nachtrodeln ist beliebt. Manche trinken erst eine paar Biere und Obstler auf dem Berg und wagen sich danach auf die beleuchtete Rodelpiste. Doch gerade die Kombination Nachtrodeln und Alkohol ist gefährlich, warnt Arora. Er kennt die Folgen von ungebremsten Abf lügen mit dem Rodel gegen einen Baum. Das Ergebnis seien schlimme Schädel-HirnTraumen und Verletzungen an der oberen Wirbelsäule.
Gerade wenn die Rodelpiste durch den Wald führt, sollte man deshalb immer einen Helm tragen. Auch ein Rückenprotektor kann im Zweifel nie schaden, sondern nur helfen. Für die Beine ist Schlittenfahren ebenfalls nicht ohne Risiko. Geht beim Bremsen oder Kurvenfahren etwas schief, kann durchaus ein Sprunggelenk oder ein Unterschenkel zu Bruch gehen. Manchmal passiert es, dass man beim Fahren mit dem Bein irgendwo hängen bleibt. „Das Bein wird nach außen weggerissen, das kann zu schweren Mehrfachverletzungen im Knie führen“, sagt Mirco Herbort.
Und das ist nicht alles. Wer mit dem Schlitten über einen Hügel hüpft, merkt nach kurzem Flug spätestens bei der Landung: Autsch, gefedert ist das Gefährt nicht! Tatsächlich können die Aufschläge derart hart sein, dass das Steißbein in Mitleidenschaft gezogen wird. Die Folgen bleiben dann für einige Zeit bei jedem Hinsetzen spürbar. „Das verheilt gut“, sagt der Münchener Chirurg. „Aber die sechs Wochen danach sind kein Spaß.“