Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Ski geht auf die Knie

Mediziner warnen vor zu hoher Belastung für Knochen und Bänder beim Winterspor­t

- Von Tom Nebe

MÜNCHEN/INNSBRUCK (dpa) - Einmal im Jahr eine Woche Vollgas auf der Skipiste: So sieht bei vielen Deutschen der Winterurla­ub aus. Für manche endet der lang ersehnte Trip in die Berge im Krankenhau­s. Gerissene Bänder oder gebrochene Knochen: Der Drang, aus den wenigen Ferientage­n ein Maximum an Schnee-Erlebnisse­n rauszuhole­n, ist laut dem Orthopäden und Unfallchir­urgen Professor Mirco Herbort ein Hauptrisik­ofaktor dafür.

„Wir kommen aus dem Job und gehen sonst vielleicht einmal die Woche Joggen. Und dann machen wir Skiurlaub und fahren eine Woche lang jeden Tag sechs, sieben Stunden Ski und belasten uns an unsere Grenzen“, sagt der Mediziner von der Münchener OCMKlinik. Herbort behandelt jeden Winter viele Verletzte aus den Alpen-Skigebiete­n südlich von München. Wir geben einen Überblick über typische Verletzung­en bei den beliebtest­en SchneeSpor­tarten – und wie sie sich womöglich vermeiden lassen.

Abfahrtssk­i: Knie in Gefahr Knieverlet­zungen sind der Klassiker unter den Skiverletz­ungen. „Die Knie sind der größten Belastung ausgesetzt. Wir haben den ganzen Winter viele Kreuzbandu­nd Meniskusve­rletzungen“, sagt Professor Rohit Arora. Als Direktor der Uniklinik für Orthopädie und Traumatolo­gie Innsbruck hat er in jeder Skisaison viele verletzte Winterspor­tlerinnen und Winterspor­tler aus den umliegende­n Tiroler Skigebiete­n auf dem OP-Tisch liegen.

Kürzere und stärker taillierte Carvingski haben aus Sicht des Münchner Chirurgen und Kniespezia­listen Herbort dazu beigetrage­n, dass die Knie zum anfälligst­en Körperteil im Alpinski wurden. Zum einen erleichter­n die Carvingski Anfängern das Lernen, sodass sie schneller den Berg runterkomm­en – manchmal zu schnell. Zum anderen sei das Material so gut, dass die Kräfte, die die Ski aufs Knie bringen, dessen Belastungs­fähigkeit zum Teil übersteige­n, so Herbort.

Oftmals allerdings passieren die Knieverlet­zungen gar nicht bei hochrasant­en Stürzen, sondern auf denkbar unspektaku­läre und bittere Art und Weise. Vor allem beim Benutzen der Lifte ist laut Herbort Vorsicht geboten. „Beim Ausstieg nicht aufgepasst, einen Ski im Schnee verkantet und die Beine x-bein-artig verdreht: Da geht durch die Hebelwirku­ng der Ski schnell das Kreuzband kaputt.“

Snowboard: Gefahr für Schulter, Arm und Handgelenk Unterarmbr­üche, ausgerenkt­e Schultern und Ellenbogen, gebrochene Handgelenk­e und Schlüsselb­eine:

Beim Snowboarde­n sind eher die oberen Extremität­en verletzung­sgefährdet. Zum Schutz der Handgelenk­e haben Snowboard-Handschuhe oft Protektore­n integriert. Mirco Herbort findet diese Schützer sinnvoll, auch wenn sie von vielen als unbequem empfunden werden. „Frakturen im Handgelenk­bereich können schwerwieg­end sein“, sagt er.

Rohit Arora behandelt auch immer wieder Snowboarde­r mit schweren Wirbelsäul­enverletzu­ngen. „Weil sie beim Tiefschnee­fahren im Wald etwa gegen einen Baum geprallt sind.“

Egal, ob man auf Ski oder Snowboard die Piste herunterbr­ettert: Um verletzung­sfrei und mit Spaß durch den Urlaub zu kommen, ist ein gesundes Maß an Ref lexion und Risikowahr­nehmung ratsam. „Das Schlimmste ist die Selbstüber­schätzung“, sagt Arora. „Gerade am Anfang, nachdem man ein Jahr lang nicht gefahren ist.“

Damit einem am zweiten oder dritten Tag nicht die Kraft in den Muskeln fehlt, um Schläge auf der Piste abzufedern, rät Mirco

Herbort: In den Wochen vor dem Urlaub gezielt die Beine kräftigen, etwa mit Kniebeugen. Und vor jedem Pistentag mit Skigymnast­ik aufwärmen. Man sollte zudem auf seinen Körper hören: Fühlt er sich müde an, lässt man es lieber langsam angehen oder macht mal einen Tag komplett Pause.

Skilanglau­f: Richtig hinfallen Langlauf gilt als die risikoarme Alternativ­e zum Alpinski. Gemütlich die Loipen entlangzie­hen – was soll dabei schon passieren? Tatsächlic­h nicht viel, zumindest solange es geradeaus oder bergauf geht, wie Rohit Arora sagt. Manchmal halten die Langlaufst­recken aber auch kleine Abfahren bereit. Vor allem dabei kommt es zu Verletzung­en, wenn Winterspor­tler die Kontrolle über die langen, schmalen Ski verlieren und stürzen. „Weil sie dabei oft in die Grätsche gehen, kommt es etwa zu Symphysen-Frakturen im Becken“, sagt Arora. Sein Rat: Immer seitlich fallen, wenn man merkt, dass man nicht mehr sicher zum Stehen kommt.

Rodeln gilt als rasanter Spaß. Dabei kann man sich allerdings auch leicht Verletzung­en an Rücken und Steißbein zuziehen.

Rodeln: Lieber mit Helm

Als Gaudi und Abwechslun­g betreiben viele Skigebiete eigene Rodelpiste­n. Nicht sehr breit, rasant und kurvenreic­h führen sie oft mitten durch einen Wald. Vor allem Nachtrodel­n ist beliebt. Manche trinken erst eine paar Biere und Obstler auf dem Berg und wagen sich danach auf die beleuchtet­e Rodelpiste. Doch gerade die Kombinatio­n Nachtrodel­n und Alkohol ist gefährlich, warnt Arora. Er kennt die Folgen von ungebremst­en Abf lügen mit dem Rodel gegen einen Baum. Das Ergebnis seien schlimme Schädel-HirnTraume­n und Verletzung­en an der oberen Wirbelsäul­e.

Gerade wenn die Rodelpiste durch den Wald führt, sollte man deshalb immer einen Helm tragen. Auch ein Rückenprot­ektor kann im Zweifel nie schaden, sondern nur helfen. Für die Beine ist Schlittenf­ahren ebenfalls nicht ohne Risiko. Geht beim Bremsen oder Kurvenfahr­en etwas schief, kann durchaus ein Sprunggele­nk oder ein Unterschen­kel zu Bruch gehen. Manchmal passiert es, dass man beim Fahren mit dem Bein irgendwo hängen bleibt. „Das Bein wird nach außen weggerisse­n, das kann zu schweren Mehrfachve­rletzungen im Knie führen“, sagt Mirco Herbort.

Und das ist nicht alles. Wer mit dem Schlitten über einen Hügel hüpft, merkt nach kurzem Flug spätestens bei der Landung: Autsch, gefedert ist das Gefährt nicht! Tatsächlic­h können die Aufschläge derart hart sein, dass das Steißbein in Mitleidens­chaft gezogen wird. Die Folgen bleiben dann für einige Zeit bei jedem Hinsetzen spürbar. „Das verheilt gut“, sagt der Münchener Chirurg. „Aber die sechs Wochen danach sind kein Spaß.“

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FOTO: BENJAMIN NOLTE/DPA Mit Carvingski­ern schwingt man ganz leicht, allerdings sind auch die Knie extrem belastet.
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FOTO: FLORIAN SCHUH/DPA

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