Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Beim Essen werden Schicksale lebendig
Vesperkirche in Langenargen zog jeden Tag mehr Gäste an - Bis zu 300 Besucher täglich im Gemeindezentrum
LANGENARGEN - Eine Woche lang bis Samstag hatte die ökumenische Vesperkirche am See im katholischen Gemeindezentrum Langenargen ihre Türen geöffnet. Und jeden Tag kamen noch mehr Gäste. Bis zu 300 waren es täglich. Dabei bildete sich schnell ein regelmäßiger Rhythmus heraus.
Kurz vor 11 Uhr trudelten die ersten Gäste ein. Sie zahlten an der Kasse die symbolischen 1,50 Euro oder einen Betrag, den sie für angemessen hielten, bekamen ihre Essensmarke und gingen die Treppe hoch oder zum Aufzug. Einige kamen mit dem Rollator und waren sehr pünktlich, um das Gedränge zu vermeiden. Um 11 Uhr lieferte Koch Jens Knobloch mit dem Lieferwagen die vollen Thermoboxen aus Lindau. Wann er aufgestanden ist? Um vier Uhr morgens, um alles zu kochen, und das jeden Tag. Wie in den Vorjahren hatte er sich eine Woche Urlaub genommen, er ist gern dabei: „Sonst würd‘ ich’s nicht machen.“Mit 250 Portionen fing er an und steigerte die Zahl dann schnell auf 300. Diakon Dieter Walser, einer der drei Verantwortlichen im Team, stand täglich an der Tür, begrüßte auch viele Stammgäste. Schon ab der Essensausgabe um halb zwölf war der Saal regelmäßig fast voll, Gespräche schwirrten durch den Raum, Geschirr klapperte. Und doch sah alles ganz entspannt aus, lief wie am Schnürchen. An einem Tag gab es zum Beispiel, typisch Schwäbisch, Linsen mit Spätzle und Saitenwurst oder Kässpätzle mit Salat und Röstzwiebeln: „Des riacht so saugut, do kriegscht Appetit und Hunger auf oimol“, kommentierte Walser.
Zwischen den Tischen sorgten Helfer fürs Abräumen, für Nachschub von Getränken. 140 Mitarbeiter waren diesmal dabei, einigen musste sogar abgesagt werden, denn jedes Jahr melden sich noch 20 mehr, so Walser.
Die Gäste waren bunt gemischt. Da waren die Frauen von der Seniorengymnastik, die sagten: „Wir kommen zum ersten Mal, wollen die Sache unterstützen, toll, dass hier alle Glaubensgemeinschaften zusammenkommen.“In einer anderen Ecke saß eine Besucherin, die ebenfalls zum ersten Mal dabei war und alleine kam. „Ich dachte vorher, das sei nur für Leute von der Straße, aber jetzt genieße ich es, das Essen ist gut und man ist in Gesellschaft.“Auch die Einträge im Gästebuch lobten Essen und Gemeinschaft: „War alles supergut – man trifft Leute, die man sonst eher selten trifft.“Oder: „Wir kommen aus Friedrichshafen und haben uns bei euch sehr wohlgefühlt, tolle Organisation und Stimmung, danke.“
Das Miteinander in der Vesperkirche ist sehr wichtig, auch für viele Alleinstehende, die dort Ansprache
finden, vielleicht über die Woche hinaus. So gab es Gespräche zwischen Jugendlichen, häufig Firmlinge oder Konfirmanden, und älteren Menschen. Da saßen die sogenannten Anzugträger neben Menschen, die sich so ein Outfit nicht leisten können. Von Schicksalen wurde erzählt, ob jemanden die Kündigung aus der Bahn geworfen hat oder eine Scheidung, sodass eine Frau mit ihren Kindern allein fürs Überleben sorgen muss.
In der Vesperkirche wird jeder akzeptiert, so wie er eben ist. Hier findet man jemanden zum Reden, stößt auf Menschen mit ähnlichen Erfahrungen. Nicht wenige haben sich schon lange auf die Vesperkirche gefreut, auch auf die begleitenden Angebote und die abendlichen Veranstaltungen. So war der magische Abend mit den „Zauberfreunden Bodensee“sehr gut besucht gewesen. Die Vesperkirchen sind viel mehr als nur ein leckeres Essen.