Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Sanfte Helden
Ich weiß gar nicht mehr, wann das mit der Schuhauszieherei angefangen hat. Ich erinnere mich allerdings, damals wohnte ich in einem größeren Mehrfamilienhaus, an zwei ältere Damen, Nachbarinnen, deren Schwelle kein beschuhtes Wesen übertreten durfte, was nicht nur bei Handwerkern häufig für Unmut sorgte. Schuhe ausziehen vor der Wohnungstür? Eine Zumutung damals!
Heutzutage ist das gang und gäbe. Besuchern werden dann – vor Betreten der Wohnung natürlich – Pantoffeln angeboten. Welche Farbe hättens denn gern? Dem Fremdpantoffelangebot ist eigentlich nur zu entgehen, indem man selbst wohnungsgeeignete Fußbekleidung mitbringt. Freilich – eine Party im Pantoffelund Sockenlook ist nicht jedermanns Sache. Etwas Gutes hat das Schuhausziehen aber auf jeden Fall. Schuhe mit schwindelerregend hohen Bleistiftabsätzen „vor“der Wohnungstür verursachen jedenfalls keine hagelschadenähnlichen Löcher im Parkett.
Und ich werde nie den Anblick meines frisch verlegten frühlingsgrünen Teppichbodens vergessen, nachdem mir an einem verregneten Wochenende eine Horde alter Freunde samt Hund einen Überraschungsbesuch abgestattet hatte. Seither kann ich Schuhausziehen voll und ganz akzeptieren. In anderen Ländern war das schon immer üblich und eine Sache des Respekts.
Wer allerdings je in einem Tempelvorraum vor hunderten mit Flipf lops, Sandalen und anderem Schuhwerk gefüllten Regalen stand und verzweifelt nach den eigenen Tretern Ausschau hielt, fand das auch gewöhnungsbedürftig.
Hier jedoch, mit Pantoffeln, sind wir Helden: Pantoffelhelden.