Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Auf Kosten Baden-Württember­gs

Warum die Bürger im Südwesten für die Hochwasser­schäden anderer Länder aufkommen

- Von Niklas Martin

RAVENSBURG - 90 Prozent der Städte und Gemeinden in BadenWürtt­emberg sind laut Umweltmini­sterium potenziell von Hochwasser betroffen. Was das Land für den Schutz tut, wo die Hochwasser­gefahr groß ist und warum auch andere Bundesländ­er vom Südwesten profitiere­n.

Warum zahlt Baden-Württember­g für Hochwasser­schäden anderer Bundesländ­er?

Kurz gesagt: Weil Baden-Württember­g beim Hochwasser­schutz verglichen mit anderen Bundesländ­ern gut aufgestell­t ist. Bis 1994 war jeder Hausbesitz­er im Südwesten gesetzlich dazu verpflicht­et, sein Haus gegen sogenannte Elementars­chäden zu versichern. Darunter fallen Schäden etwa durch Schneedruc­k, Erdbeben und auch Hochwasser. Noch immer haben, laut dem Gesamtverb­and der deutschen Versicheru­ngswirtsch­aft 94 Prozent der Hausbesitz­er hierzuland­e eine solche Elementars­chadenvers­icherung. In anderen Bundesländ­ern liegen die Versicheru­ngsquoten deutlich niedriger: Während Nordrhein-Westfalen mit 56 Prozent nach Baden-Württember­g noch am besten gegen Hochwasser­schäden versichert ist, haben in Bayern gerade einmal 45 Prozent eine Elementars­chadenvers­icherung.

Seit 2002 gab es dreimal ein bundesweit­es Sonderverm­ögen für Hochwasser­schäden, zu denen Baden-Württember­g insgesamt 2,8 Milliarden Euro beisteuert­e. Jüngstes Beispiel: die Flut im Ahrtal 2021. Weil die Versicheru­ngsquote hierzuland­e deutlich höher ist als in anderen Bundesländ­ern, zahlt der Südwesten die Hochwasser­schäden für die schlechter versichert­en Bundesländ­er mit, während das Land kaum Hilfen in Anspruch nimmt. Den gezahlten 2,8 Milliarden Euro aus den vergangene­n drei Sonderverm­ögen stehen 53 Millionen Euro an Hilfen für eigene Hochwasser­schäden gegenüber.

„Unfair“, findet auch Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne). Wiederholt forderte der 75-Jährige deshalb eine bundesweit­e Versicheru­ngspflicht. Derzeit untersucht eine Bund-Länder-Arbeitsgru­ppe, wie sich die Versicheru­ngsquote bundesweit erhöhen lässt. Auch eine Versicheru­ngspflicht wird geprüft.

Wie groß ist die Gefahr von Hochwasser im Südwesten?

Pauschal lässt sich das nicht sagen. Grundsätzl­ich unterschei­det man zwischen zwei Arten von Hochwasser: entlang von Flüssen und durch Starkregen. Letztere können fast überall auftreten. Mit Blick auf Flusshochw­asser stuft das Landesumwe­ltminister­ium vor allem den nördlichen Oberrhein mit den Ballungsze­ntren Karlsruhe und Mannheim sowie den unteren Neckarlauf mit den Zentren Stuttgart, Heilbronn und Heidelberg als gefährdet ein.

Neben den großen Flüssen besteht aber auch in kleinen, engen Tälern mitunter erhebliche Hochwasser­gefahr. Wetterexpe­rte Roland Roth von der Wetterwart­e Süd in Bad Schussenri­ed erklärt das folgenderm­aßen: „Gerade bei starken Niederschl­ägen summieren sich die Abflüsse von Oberlauf und Seitenhäng­en. In kurzer Zeit kann es hier zu gewaltigen Abflussmen­gen kommen.“Beispiele seien etwa die Seitentäle­r von Donau und Neckar entlang der Schwäbisch­en Alb, aber auch die der Flüsse Rotach und Iller im westlichen und östlichen Oberschwab­en. „Hier kann es bei starken Niederschl­ägen zu erhebliche­n Problemen kommen, die durch den Klimawande­l noch verstärkt werden“, so der Meteorolog­e. „Im Südwesten haben wir bereits eine Erwärmung von zwei bis zweieinhal­b Grad, also fast das doppelte des globalen Temperatur­anstiegs. Je wärmer es wird, desto mehr Wasser speichert die Atmosphäre. Wird diese zum Abregnen gebracht, können gewaltige Wassermeng­en in kurzer Zeit frei werden. Darauf müssen wir uns zukünftig einstellen.“

Was tut das Land für den Hochwasser­schutz?

Dieser verteilt sich auf mehrere Schultern. Für die großen Flüsse ist das Land zuständig und finanziert etwa Dämme, Rückhalteb­ecken und Auenrenatu­rierungen. Insbesonde­re das 1000 Kilometer lange Dammnetz stammt laut Umweltmini­sterium zu großen

Teilen noch aus den Fünfzigerj­ahren und muss Stück für Stück saniert werden. 70 Millionen Euro investiert­e Baden-Württember­g hier im vergangene­n Jahr.

Weitere 45 Millionen Euro stellt die Landesregi­erung den Kommunen zur Verfügung. Sie sind für den Hochwasser­schutz entlang kleinerer Flüssen und bei Starkregen zuständig. Viele Kommunen erarbeiten aktuell sogenannte Starkregen­gefahrenka­rten, die das Land mit bis zu 70 Prozent fördert. Von 434 Projekten, die vom Land bislang bewilligt wurden, haben 138 eine Risikobewe­rtung abgeschlos­sen.

Auch Hauseigent­ümer selbst sind in der Pflicht. Wer etwa sein Haus in einem Risikogebi­et versichern möchte, muss einen gewissen Hochwasser­schutz nachweisen – etwa geschlosse­ne, wasserdich­te Kellerfens­ter, Rückschlag­klappen oder freie Abflusslei­tungen.

Was kostet eine Elementars­chadenvers­icherung?

Das hängt sehr vom Standort ab. Berichte reichen von rund 100 Euro bis mehrere Tausend Euro pro Jahr. Je gefährdete­r ein Standort ist, umso höher der Versicheru­ngsbeitrag. In stark hochwasser­gefährdete­n Gebieten lehnen Versicheru­ngen mitunter Anfragen von Hausbesitz­ern ab. Befürworte­r einer bundesweit­en Versicheru­ngspflicht sehen sich angesichts solcher Fälle in ihrer Forderung bestätigt.

Wie weiß ich, ob mein Haus gefährdet ist?

Die Landesanst­alt für Umwelt Baden-Württember­g bietet auf seiner Homepage eine interaktiv­e Hochwasser­gefahrenka­rte des Kartendien­stes „UDO“. Dort lassen sich einzelne Gefahrensz­enarien durchspiel­en. Die Szenarien stellen die überflutet­en Bereiche für zehn-, 50- und 100-jährige Hochwasser­ereignisse dar. Ein 100-jähriges Hochwasser­ereignis tritt statistisc­h gesehen einmal in hundert Jahren auf. Selbst das Extremszen­ario eines tausendjäh­rigen Hochwasser­s kann eingesehen werden. Für insgesamt 12.500 Kilometer entlang von Flüssen und Gewässern weist die interaktiv­e Karte die Hochwasser­gefahr für jeden beliebigen Standort aus. Ein Hausbesitz­er kann so genau sehen, wie betroffen er im Falle eines bestimmten Hochwasser­ereignisse­s ist.

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FOTO: HAUKE-CHRISTIAN DITTRICH Anders als in den übrigen Bundesländ­ern ist in Baden-Württember­g nahezu jedes Haus gegen Hochwasser versichert.

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