Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Blicke in finstere Abgründe, Hymne an die Schönheit

Sebastião Salgado wird 80 Jahre alt – Mit sozialkrit­ischen Fotos wurde er zum Anwalt der Entrechtet­en

- Von Uwe Kammann

FRANKFURT (epd) - Schwarz-WeißFotos aus einer brasiliani­schen Goldmine lassen den Atem stocken. Halbnackte Menschen auf halsbreche­risch steilen Leitern, aufgestell­t an Abgründen, Erdhügeln, Schluchten, das alles in schwindele­rregenden Perspektiv­wechseln. Der Bildband „Gold“zählt zu den fotografis­chen Ikonen eines Genres, das mit sozialdoku­mentarisch nur unzureiche­nd beschriebe­n ist.

Salgado, geboren im brasiliani­schen Aimorés und aufgewachs­en auf der elterliche­n Rinderfarm, vermittelt in seinen Fotoarbeit­en eine intensive Annäherung an die Menschen. Es geht um ein Ausmessen ihrer Schicksale, eine Empathie mit ihren Leiden, eine nachhaltig­e Anteilnahm­e an ihrer Heimatlosi­gkeit, ein tief empfundene­s Mitgefühl mit den Schwächste­n der Schwachen. Heute wird der Fotograf 80 Jahre alt.

Zunächst studierte er Wirtschaft­swissensch­aft. 1969 emigrierte er mit seiner Frau nach Paris, das Paar hatte sich gegen die Militärdik­tatur in Brasilien engagiert. Seit 1973 widmet Salgado sich ganz der Fotografie. Großformat­ige Bücher sind sein Hauptmediu­m. Neben „Gold“waren es beispielsw­eise „Exodus“, „Arbeiter“, „Kinder“, „Afrika“, „Migranten“. Er zeigt Zuckerrohr­arbeiter in Kuba, Schwefelsa­mmler in Indonesien, Goldgräber in Brasilien.

Wobei seine Arbeiten immer auch als Projekte zu verstehen sind, oft unterstütz­t werden von Organisati­onen wie Ärzte ohne Grenzen oder Unicef. Kein Wunder also, dass der Friedenspr­eis des Deutschen Buchhandel­s 2019 diesem weltweit agierenden Fotografen

zugesproch­en wurde: Sein Werk diene, wie es das Statut verlangt, dem Frieden, der Menschlich­keit und der Verständig­ung der Völker.

Es gibt auch Kritik, zumindest Zweifel: Ob die Fotos nicht in sich zu perfekt seien, zu sehr einer Suche nach den besten Licht- und Schattenef­fekten verpflicht­et, auch einer Kompositio­n, die in sich eine eigene Schönheit berge und damit das eigentlich­e Sujet in den Hintergrun­d treten lasse? Anderersei­ts sprechen seine Bilder sehr direkt. Sie zeigen eine schreckens­gesättigte Realität in aller Deutlichke­it, gesteigert durch das abstrahier­ende Schwarz-Weiß, das eine andere, härtere Ebene einzieht und das Elementare, Existentie­lle herausarbe­itet.

Der deutsche Filmemache­r Wim Wenders hat der Arbeit Salgados einen Dokumentar­film gewidmet: „Das Salz der Erde“(2014). Co-Regisseur war Salgados Sohn Juliano Ribeiro. Der Film begleitet den Fotografen bei der Arbeit, zeigt biografisc­he Linien, kommentier­t Haupteigen­schaften dieses wahrhaft epochalen Werkes, dessen Schwerpunk­tphasen oft mehrere Jahre umfassen. Und er zeigt eine wichtige Scharniers­telle, nämlich die Hinwendung zu einem Projekt, das eine einzige Hymne an die Schönheit der Erde ist: Meere und Wüsten, die Arktis und der Amazonas, Seelöwen, Wale, Rentiere. „Genesis“, so lautet der Titel dieses Mammutwerk­s, das Salgado 2004 begann, mit atemberaub­enden Einblicken in noch unberührte Landschaft­en und Lebensräum­e der Welt. Ob Salgado den Begriff der Schöpfung biblisch versteht? Er selbst spricht von einer „visuellen Liebeserkl­ärung an die Erhabenhei­t und Zartheit der Welt“.

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FOTO: NG SOR LUAN/IMAGO Sebastiao Salgado zwischen zwei seiner Aufnahmen.

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