Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Festgefahrene Strukturen aufsprengen
Initiative fördert Start-ups im Bau – Junges Team entwickelt nachhaltigen Baustoff
STUTTGART - Die Baubranche braucht dringend eine Brücke. Keine aus Stein und Beton, sondern eine zwischen innovativen Ideen von Start-ups und großen Bauunternehmen. Das Ziel dabei: Eine Branche nachhaltiger machen, die weltweit für 38 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich ist. Das Netzwerk Groundbreakers aus Stuttgart möchte die Bewegung sein, die diese Transformation vorantreibt, und unterstützt junge Gründerteams bei ihren ersten Schritten.
Seinen Ursprung hat das Netzwerk im Gründerzentrum Plan G an der Hochschule für Technik in Stuttgart. Vor drei Jahren baute Matthias Schöttler dieses mit auf. An Plan G können sich Studenten und Studentinnen mit Ideen aus allen Themenbereichen wenden und werden erstmalig beraten. Im Anschluss sendet Plan G diese Ideen dann an sogenannte Accelerator weiter. Diese „Beschleuniger“setzen sich mit Ideen passend zu ihren Schwerpunkten auseinander. Essensthemen kommen beispielsweise zur Uni Hohenheim, Textilthemen an die Uni Reutlingen.
Für Ideen zum Thema Bau gab es bis zum Start von Groundbreakers keinen dieser „Beschleuniger“, so Schöttler: „Im Nachhinein ist es wohl gar kein Zufall, da die Baubranche hier einfach sehr rückschrittig und traditionell unterwegs ist.“In Zukunft will Groundbreakers bundesweit die Anlaufstelle für alle innovativen Gründungsgedanken rund um das Thema Bau sein. Das Netzwerk finanziert sich mit öffentlichen Geldern, mittlerweile zahlen aber auch drei Firmen der Branche wie das Stuttgarter Bauunternehmen Wolff & Müller einen Betrag an Groundbreakers.
Die Baubranche sei auf Innovationen angewiesen, um ihre großen Herausforderungen meistern zu können, sagt Schöttler im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“: „Die Baubranche liegt bei der Digitalisierungsrate auf dem vorletzten Platz, dahinter kommt nur noch Forst und Fischerei.“Eine Baustelle sehe heute im Grunde immer noch aus wie vor 40 Jahren. Der Klimaschutz ist das andere Damoklesschwert, das über den Baustellen schwebt. Auf der einen Seite verursacht die Bau- und Gebäudewirtschaft
mehr als ein Drittel der weltweiten Treibhausgase. Auf der anderen Seite hat die Branche durch den Bedarf an neuen Wohnungen eine hohe gesellschaftliche Verantwortung für die Zukunft, sagt Schöttler.
Hier müsse ein Umdenken stattfinden. Nachhaltige Baustoffe könnten Emissionen verringern, neue Softwarelösungen gegen den Fachkräftemangel ankämpfen. Die aktuelle Krise, von der die Bauwirtschaft immer wieder spricht, sei laut Schöttler kein Hindernis: „Die Branche merkt, dass sie sich jetzt verändern muss. Das sind perfekte Zeiten für Startups.“Die Baubranche stehe neuen Ideen und Pilotprojekten strategisch zwar positiv gegenüber, laut Schöttler versanden diese aber dann oft auf operativer Ebene. Fehlende Risikobereitschaft sei dabei oft ein entscheidender Grund.
Doch was genau leistet Groundbreakers? Das Netzwerk stellt jungen Teams grundsätzlich Knowhow, Netzwerk und potenzielle Fördermittel in Aussicht. Seminare von bereits etablierten Start-ups geben den Teams Tipps zur Gründung oder sorgen für Kontakte innerhalb der Bauwirtschaft. Der Zugang zu Laboren und Hilfe von Professoren ermöglicht die praktische Umsetzung von theoretischen Grundlagen. Aktuell arbeite Groundbreakers mit rund 50 Gruppen zusammen, so Schöttler. Zwischen diesen herrsche meist eine „kollektive Zusammenarbeit“, in der sich Ideen eher ergänzen, als miteinander zu konkurrieren.
Ab April startet darüber hinaus ein vier- bis sechsmonatiges Format, bei dem ausgewählte Teams noch gezielter gefördert werden. In fünf Abschnitten werden diese dabei vom Entwickeln der Geschäftsidee über das Erlernen eines Vertriebs bis hin zur finalen Abschlussveranstaltung (Groundbreakers Summit) begleitet und geschult.
GeopolTech aus Stuttgart ist eines dieser Teams und hat den JuryPreis des vergangenen Groundbreakers Summit 2023 gewonnen. Ihre Geschäftsidee ist eine nachhaltige Alternative zu bestehenden Baustoffen. Dieser beruht auf der Geopolymer-Technologie. Dabei entstehen durch eine chemische Reaktion aus Materialien wie Bauschutt ein fester, mineralischer Baustoff, der wie Beton oder Ziegel verwendet werden kann, erklärt Mitgründer Simon Wuttig.
Die Herstellung verläuft dabei ohne enorme Hitzeaufwendung wie bei Beton und stößt bis zu 80 Prozent weniger CO2 aus, so Wuttig. Die Technologie ist nicht neu und wurde bereits in den 1970erJahren genutzt – nachhaltig durchgesetzt hat sie sich aber nicht. Die große Problematik beim Etablieren neuer Baustoffe sei vor allem die Dauer der Zertifizierung von fünf bis sieben Jahren. Zudem binde das Entwickeln solcher Stoffe bis zur Marktreife viel Kapital, ergänzt Schöttler.
Der nächste Schritt für das vierköpfige Team ist die Gründung einer GmbH. Den Weg in die Baubranche möchte das Team über einen Umweg schaffen: „Wir wollen zunächst eine Zertifizierung für unsere dekorativen Bauelemente bekommen, damit wir bereits eine erste Stufe einer Fertigung in kleiner Auflage vorweisen können“, sagt Wuttig. Architekten dienen GeopolTech als erste Anlaufstellen und Kontaktpersonen zu größeren Bauherren. Durch den Nischenmarkt im Dekorationsbereich erhofft sich Wuttig einen einfacheren Einstieg in weitere Felder der Baubranche.
Gegen Ende des Jahres plant Wuttig mit weiteren Geldern durch Fördermittel oder Investments aus der Privatwirtschaft. 1,7 Millionen Euro sieht der Unternehmensplan für die weitere Entwicklung vor. Vorbilder für solche Investments gibt es bei Groundbreakers bereits: Das Tübinger Start-up Optocycle, das eine KI-Lösung zur Sortierung von Bauschutt anbietet, erhielt etwa ein Investment des Bauunternehmens Wolff & Müller.