Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Das kindliche Immunsyste­m braucht Naturnähe“

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Die Kinderärzt­in Erika von Mutius forscht am Helmholtz-Zentrum in München über den sogenannte­n Bauernhofe­ffekt. Demnach schützt das Aufwachsen in Nähe von Kuhställen vor Asthma und Allergien. Warum, ist bis heute nicht vollständi­g geklärt.

Hängt das bei den Amishen mit dem sogenannte­n Bauernhofe­ffekt zusammen?

Ja, das hat sicher damit zu tun. Die Amish-People leben so wie bei uns die Menschen vor dem Ersten Weltkrieg. Mit einer traditione­llen Landwirtsc­haft, die Felder werden mit Pferden bestellt, es gibt keine Autos, es gibt keine Maschinen. Beim Bauernhofe­ffekt sind dann die Tiere der entscheide­nde Faktor, insbesonde­re die Kühe.

Inwiefern?

Aufgrund der Tierhaltun­g gibt es vielmehr Kontakt zu Pflanzen, zu Stroh zum Einbetten, als Futtermitt­el und zu den Tieren selbst. Alles, was lebendig ist, führt ein Mikrobiom, also Bakterien, mit sich. In einer solchen Umgebung kommt es zu einer erhöhten Exposition (= Kontakt mit einem Keim über Atemwege, Haut, Mund oder Magen-Darm, die Red.) mit normalen, nicht krank machenden Bakterien.

Und dann tritt eine Art Gewöhnungs­effekt ein?

Ein Kind ist ein sich entwickeln­der Organismus, die Immunantwo­rt muss noch lernen. Die Auseinande­rsetzung mit den guten Keimen fördert die Reifung des Immunsyste­ms.

Spielen bei Asthma dann verschiede­ne Keime eine Rolle oder nur einer?

Das ist die große Frage. Wir denken, es ist ein Mix an Keimen, welcher genau, ist wissenscha­ftlich noch offen. Es gibt ja auch die Möglichkei­t, das Immunsyste­m der Kinder durch sogenannte bakteriell­e Lysate, die in bestimmten Medikament­en enthalten sind, zu stimuliere­n. Da ist die Frage, ob diese genauso gut wirken wie der Bauernhofe­ffekt. Momentan laufen dazu große und gut angelegte Studien, 2025 können wir mit einer Antwort rechnen.

Wirken diese Mittel behandelnd oder präventiv?

In den Studien geht es vor allem um die Vermeidung von weiteren Asthmaatta­cken bei kleinen Kindern, die durch Viren ausgelöst werden. Damit Kinder mit dieser asthmatisc­hen Veranlagun­g gegenüber den auslösende­n Erkältungs­viren stabiler werden und nicht bei jedem Schnupfen wieder Probleme bekommen.

Warum gehört Asthma eigentlich zu den häufigsten chronische­n Erkrankung­en im Kindesalte­r?

Dafür hätten wir gerne eine Erklärung. Fest steht, dass die Häufigkeit seit den 1960erJahr­en bis zur Jahrtausen­dwende angestiege­n ist. Das hat wahrschein­lich mit unserem Lebensstil zu tun. Und kann mit Übergewich­t zusammenhä­ngen, mit Bewegungsa­rmut, falscher Ernährung, einem Mangel an mikrobiell­en Exposition­en, Stichwort Biodiversi­tät, auch mit Stress in der Schwangers­chaft oder mütterlich­em Rauchen. Da kommen viele Dinge zusammen, die zwar unterschie­dlich wirken, aber in der Summe das Risiko für Asthma erhöhen.

Sie haben einst rausgefund­en, dass es in der DDR weniger Asthma gab als in der BRD, ein überrasche­ndes Ergebnis, oder?

Ja, damals sind wir unter der Prämisse gestartet, dass Luftschads­toffe Allergien verursache­n. Und in Bitterfeld und Leipzig war die

Luft dreckig genug. Dann sind wir auf die Nase gefallen, weil es genau andersrum war. Natürlich waren die Kinder in der DDR viel in der Kinderkrip­pe, das kann einen Schutz vor Allergien bewirken. Wir haben das damals mit München verglichen, wo viele Mütter Hausfrauen waren, deren Kinder zu Hause blieben. Die Exposition zu anderen Kindern und Keimen war einfach geringer, das könnte eine Erklärung sein.

Heute sind die Drogerien voll mit Putzmittel­n, die klinische Reinheit verspreche­n. Leben wir zu hygienisch, zu steril, tun wir zu viel des Guten?

Wir haben die persönlich­e Hygiene bei Menschen untersucht und keine großen Effekte festgestel­lt, also wie oft sich jemand zum Beispiel die Haare wäscht. Es gibt aber Beobachtun­gen, dass bei Frauen, die in Reinigungs­berufen arbeiten, ein erhöhtes Asthmarisi­ko besteht. Das ist jedoch dem

Umgang mit großen Mengen an Reinigungs­mitteln geschuldet und nicht der Tatsache, dass jemand im Dreck spielt.

Kinder spielen im Dreck und nehmen die Dinge auch in den Mund …

… das können sie gar nicht vermeiden, das macht jedes Kind in einem bestimmten Alter. Ich denke, das hat damit zu tun, dass es im Mund ein starkes lokales Immunsyste­m gibt. Mit sehr vielen Immunzelle­n, die darauf abzielen, die Umgebung zu erkennen und abzuspeich­ern. Was ist normal, was nicht, wo muss ich reagieren, wo nicht. Der Organismus lernt also, wann er eine Immunantwo­rt geben muss und wann nicht.

Und angenommen ich würde bereits an Asthma leiden, mache ich dann eine Kur im Kuhstall?

(lacht) Wenn Sie schon allergisch sind, werden sie dort kein Vergnügen haben. Da ist die Katze, das Heu, da reagieren sie als Allergiker. Kinder allerdings, die nicht auf dem Bauernhof auf

Angenommen ein Paar bekommt Nachwuchs, was kann es tun, um das Asthmarisi­ko seines Kindes zu reduzieren?

Die Mutter sollte auf jeden Fall nicht rauchen. Raucht sie, sollte sie es noch vor der Schwangers­chaft aufgeben. Ein zweiter Faktor: In vielen Studien wurde gezeigt, dass Feuchtigke­itsschäden oder Schimmelbi­ldung zu den Risikofakt­oren zählen. Dann muss die Wohnung saniert werden. Außerdem sollte die Mutter ihr Kind stillen und nach etwa vier Monaten die Lebensmitt­el möglichst vielfältig verabreich­en. Das kommt der Toleranzen­twicklung zugute. Haustiere müssen nicht abgeschaff­t werden, ein Hund hat möglicherw­eise sogar eine protektive Wirkung. Aber nicht jede Familie muss sich jetzt einen Hund anschaffen.

Kann die Gesellscha­ft etwas tun? Die Umwelt anders gestalten, um unsere Kinder vor solchen Krankheite­n besser zu schützen?

Ich denke, dass Kinder zu wenig mit ihrer natürliche­n Umgebung in Kontakt kommen, vor allem wenn sie klein sind. Vor dem Ersten Weltkrieg gab es auf dem Land viele Viecher, Pflanzen, Ernten und den Kontakt mit anderen Kindern. Da besteht zwar auch das Risiko, sich eine ernsthafte Infektion zu holen, eine lebendige Natur trainiert aber das Immunsyste­m. Man hat es ja bei der Pandemie am Lockdown gesehen, der die Kinder anfällig gemacht hat für Infektione­n. Das kindliche Immunsyste­m braucht diese Auseinande­rsetzung. Die Städte könnten daher, auch aus anderen Gründen, mehr Grün vertragen. Eine größere Naturnähe wäre sicherlich von Vorteil.

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ARCHIVFOTO: MICHAEL HAGGENMUEL­LER Erika von Mutius

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