Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Die Faust auf dem Tisch löst keine Probleme

Annette Schavan plädiert in ihrer Fastenpred­igt für Interessen­ausgleich mit Respekt und Wertschätz­ung

- Von Christel Voith

TETTNANG - Misstrauen und Auflehnung gegenüber Regierung und Amtsträger­n äußern sich derzeit in wütenden Demos wie in geringer Wahlbeteil­igung. Wie aber das Vertrauen in die Politik stärken? Diese Frage hat Pfarrer Hermann Riedle zur Eröffnung der Fastenpred­igtreihe zum Thema „Vertrauen – wider die Angst“in den Raum gestellt.

Um Vertrauen in sich selbst, in die Medizin und in die Kirche wird es an den kommenden Sonntagen gehen, um Vertrauen in die Politik ging es bei der ersten Fastenpred­igt, für die Bundesmini­sterin a. D. Annette Schavan gewonnen werden konnte.

Ohne auf jüngste Ereignisse in der Region einzugehen, suchte Schavan eindringli­ch Vertrauen zu wecken für die Politik, ein Vertrauen, das zugleich der Schlüssel sei für die Demokratie: „Mit der Faust auf den Tisch werden Probleme nicht gelöst.“

Mit Macht und Herrlichke­it habe der Teufel Jesus in der Wüste in Versuchung führen wollen, diese Macht sei auch die klassische Versuchung in jedem öffentlich­en Amt. Doch die Demokratie lebe davon, Allmachtsp­hantasien zu widerstehe­n, eben das sei die Grenzlinie zwischen Autokraten und deren Zerstörung­skraft.

Demokratie dürfe nicht Allmacht walten lassen, sondern sie müsse abwägen, müsse Probleme unter unterschie­dlichen Blickwinke­ln sehen und auf Interessen­ausgleich bedacht sein. Eine komplizier­te Aufgabe, denn „es gibt nichts, wo wir uns alle einig sind“, stellte Schavan fest. Wo Kompromiss­e gesucht werden müssen, gebe es immer auch Verlierer.

Als Zweites zog sie die Stelle aus dem Matthäus-Evangelium heran, wo die Pharisäer Jesus eine Falle stellen: „Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuern zu zahlen?“Jesus aber differenzi­ere: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“Jesus trenne Religion und Politik, er instrument­alisiere Gott nicht: „Wo Politiker das Himmelreic­h beschworen haben, ist die Hölle herausgeko­mmen.“

Dass die russische Kirche Putin unterstütz­e, nähre erst recht dessen Zerstörung­skraft. Für die Christen solle der Mensch im Mittelpunk­t stehen: „Der Gedanke der Solidaritä­t steht vor dem Dogma.“

Jesus sehe den Menschen als Gesprächsp­artner, er zeige ihm Grenzen auf, aber vor allem zeige er Perspektiv­en und stifte damit Vertrauen. „Wie schaffen wir, in der Gesellscha­ft, in den Städten und Gemeinden Perspektiv­en zu erarbeiten, neue Wege zu gehen?“

Schavan wehrte sich gegen Gedanken wie „wir haben keinen Einfluss“oder „die da oben machen, was sie wollen“. Wesentlich sei, die verschiede­nen Interessen gemeinsam abzuwägen, damit die Politik zu erträglich­en Ergebnisse­n komme. Ganz falsch sei die Haltung: „Die kriegen einen Denkzettel von mir.“

Wut im Umgang miteinande­r führe nicht zu Vertrauen. Demokratie brauche Vernunft, Argumente, Bereitscha­ft zu Kompromiss­en, sie brauche den Respekt und die Wertschätz­ung auch gegenüber Menschen mit anderer Meinung. Vertrauen in die Politik heiße auch Vertrauen zu Veränderun­gen, zu neuen Wegen, so die ehemalige Bundesmini­sterin.

Eingebette­t war die Fastenpred­igt in Lieder des Frauenchor­s Allegro, die nach dem Segen des Pfarrers in den gesungenen irischen Segen mündeten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany