Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Die Faust auf dem Tisch löst keine Probleme
Annette Schavan plädiert in ihrer Fastenpredigt für Interessenausgleich mit Respekt und Wertschätzung
TETTNANG - Misstrauen und Auflehnung gegenüber Regierung und Amtsträgern äußern sich derzeit in wütenden Demos wie in geringer Wahlbeteiligung. Wie aber das Vertrauen in die Politik stärken? Diese Frage hat Pfarrer Hermann Riedle zur Eröffnung der Fastenpredigtreihe zum Thema „Vertrauen – wider die Angst“in den Raum gestellt.
Um Vertrauen in sich selbst, in die Medizin und in die Kirche wird es an den kommenden Sonntagen gehen, um Vertrauen in die Politik ging es bei der ersten Fastenpredigt, für die Bundesministerin a. D. Annette Schavan gewonnen werden konnte.
Ohne auf jüngste Ereignisse in der Region einzugehen, suchte Schavan eindringlich Vertrauen zu wecken für die Politik, ein Vertrauen, das zugleich der Schlüssel sei für die Demokratie: „Mit der Faust auf den Tisch werden Probleme nicht gelöst.“
Mit Macht und Herrlichkeit habe der Teufel Jesus in der Wüste in Versuchung führen wollen, diese Macht sei auch die klassische Versuchung in jedem öffentlichen Amt. Doch die Demokratie lebe davon, Allmachtsphantasien zu widerstehen, eben das sei die Grenzlinie zwischen Autokraten und deren Zerstörungskraft.
Demokratie dürfe nicht Allmacht walten lassen, sondern sie müsse abwägen, müsse Probleme unter unterschiedlichen Blickwinkeln sehen und auf Interessenausgleich bedacht sein. Eine komplizierte Aufgabe, denn „es gibt nichts, wo wir uns alle einig sind“, stellte Schavan fest. Wo Kompromisse gesucht werden müssen, gebe es immer auch Verlierer.
Als Zweites zog sie die Stelle aus dem Matthäus-Evangelium heran, wo die Pharisäer Jesus eine Falle stellen: „Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuern zu zahlen?“Jesus aber differenziere: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“Jesus trenne Religion und Politik, er instrumentalisiere Gott nicht: „Wo Politiker das Himmelreich beschworen haben, ist die Hölle herausgekommen.“
Dass die russische Kirche Putin unterstütze, nähre erst recht dessen Zerstörungskraft. Für die Christen solle der Mensch im Mittelpunkt stehen: „Der Gedanke der Solidarität steht vor dem Dogma.“
Jesus sehe den Menschen als Gesprächspartner, er zeige ihm Grenzen auf, aber vor allem zeige er Perspektiven und stifte damit Vertrauen. „Wie schaffen wir, in der Gesellschaft, in den Städten und Gemeinden Perspektiven zu erarbeiten, neue Wege zu gehen?“
Schavan wehrte sich gegen Gedanken wie „wir haben keinen Einfluss“oder „die da oben machen, was sie wollen“. Wesentlich sei, die verschiedenen Interessen gemeinsam abzuwägen, damit die Politik zu erträglichen Ergebnissen komme. Ganz falsch sei die Haltung: „Die kriegen einen Denkzettel von mir.“
Wut im Umgang miteinander führe nicht zu Vertrauen. Demokratie brauche Vernunft, Argumente, Bereitschaft zu Kompromissen, sie brauche den Respekt und die Wertschätzung auch gegenüber Menschen mit anderer Meinung. Vertrauen in die Politik heiße auch Vertrauen zu Veränderungen, zu neuen Wegen, so die ehemalige Bundesministerin.
Eingebettet war die Fastenpredigt in Lieder des Frauenchors Allegro, die nach dem Segen des Pfarrers in den gesungenen irischen Segen mündeten.