Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Herantaste­n an einen Schulfried­en

Regierungs­koalition und Opposition vereinbare­n weitere Gespräche und Themen

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - G9, verbindlic­here Grundschul­empfehlung, frühkindli­che Förderung: Wer konkrete Entscheidu­ngen vom Bildungsgi­pfel am Freitag im Stuttgarte­r Neuen Schloss erwartet hatte, wurde enttäuscht. „Heute haben wir alle erst mal alle Karten auf den Tisch gelegt“, sagte Kultusmini­sterin Theresa Schopper (Grüne) nach der zweieinhal­bstündigen Sitzung. Nach Ostern soll es im Kloster Bebenhause­n weitergehe­n – und zwar thematisch ums Eingemacht­e.

Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) und Schopper haben sich mit den Fraktionss­pitzen von Grünen und CDU sowie der opposition­ellen SPD und FDP getroffen, um eine Bildungsal­lianz auszuloten, die auch Regierungs­wechsel überdauert. „Wir wollen uns nicht daran gewöhnen, dass Baden-Württember­g jedes Jahr weiter abschifft bei Bildungsra­nkings“, nannte CDU-Fraktionsc­hef Manuel Hagel als eine Motivation. Auslöser war laut Schopper zudem der sehr erfolgreic­he Volksantra­g für eine Rückkehr zum neunjährig­en Gymnasium. Wenn G9 komme, habe das Auswirkung­en auf alle anderen Schularten, hatte Kretschman­n vorab betont und eine verbindlic­here Grundschul­empfehlung angekündig­t.

Alle Themen seien offen und konstrukti­v ansprochen worden, betonten alle Teilnehmer. Vor dem nächsten Treffen werde sie die Themensamm­lung ordnen, kündigte Schopper an. Oberste Priorität habe ein Paket zur verbindlic­hen Sprachförd­erung bereits in der Kita und zur Stärkung der Grundschul­en, sagten Hagel und Grünen-Fraktionsc­hef Andreas Schwarz. Das soll noch vor Ostern kommen. „Das ist schon vorbereite­t“, so Schopper.

Einen Endpunkt der Gespräche gebe es nicht. Man sei sich einig, so SPD-Chef Andreas Stoch, dass auch die Wissenscha­ft eingebunde­n werden soll. Die Opposition zeigte sich konstrukti­v. „Alle wissen, dass sich was ändern muss“, so FDP-Fraktionsc­hef Rülke, „also wird sich was ändern.“Der Wille zum Konsens sei spürbar, harte Auseinande­rsetzungen habe es nicht gegeben. Zumindest noch nicht. Denn gerade bei den weiterführ­enden Schulen gibt es unterschie­dliche Vorstellun­gen. CDU und FDP plädieren für ein dreigliedr­iges Schulsyste­m, Grüne und SPD setzen auf eine zweite Schulart neben dem Gymnasium.

Für den Versuch, eine Bildungsal­lianz zu schmieden, gab es vorab viel Zuspruch und klare Forderunge­n. „Ich hoffe sehr, dass wir wirklich zu einer Art Schulfried­en kommen“, sagte der Vorsitzend­e des Landeselte­rnbeirats (LEB) Sebastian Kölsch. Bildung dürfe nicht Spielball im Landtagswa­hlkampf 2026 werden. Kölsch warnte die Politiker davor, sich in Debatten über Schulstruk­turen zu verheddern. Was es brauche, sei guter Unterricht dank kleinerer Lerngruppe­n, die Differenzi­erung ermöglicht­en. Die Vielzahl an Schulen, die sich der Südwesten leiste, verhindere einen effiziente­n Einsatz der raren Lehrkräfte. Damit Eltern weitere Schulwege ihrer Kinder in Kauf nähmen, müsse das Busticket kostenlos werden, mahnte er.

Dass die Grundschul­empfehlung verändert werden soll, hatte der LEB schon im Dezember gefordert. „Wir sehen, dass neben vielen Fehlentsch­eidungen der Eltern auch viele Fehlempfeh­lungen

der Lehrer die weiterführ­enden Schulen belasten“, sagte er. Bislang weiß das Kultusmini­sterium nur, wie viele Kinder von einer auf eine andere Schulart wechseln – nicht aber, welche Empfehlung diese Kinder hatten. Man entwickle derzeit die technische­n Voraussetz­ungen dafür, die Bildungsbi­ografie der Schüler anonymisie­rt zu verfolgen, sagte ein Sprecher Schoppers.

In der Politik kursiert die Idee, die Empfehlung durch eine zweiaus-drei-Regel verbindlic­her zu machen. Alle Viertkläss­ler sollen einen Test machen, der bei einem Unentschie­den zwischen Elternwuns­ch und Lehrerempf­ehlung den Ausschlag geben soll. Der LEB will einen Test indes nur für jene Kinder, bei denen es ein Patt gibt. Und zwar nicht nur, wenn eine höhere Schule als empfohlen angestrebt wird, sondern auch eine niedrigere. „Kinder brauchen die beste Bildung, das ist nicht das Gymnasium, sondern die Schulart, die für ein Kind die richtige ist.“Deshalb fordert der LEB auch eine eigenständ­ige Empfehlung für die Gemeinscha­ftsschule. Da diese alle Bildungsni­veaus anbietet, wird sie bislang bei jeder Empfehlung mitgenannt. Die Reform der Empfehlung dränge, so Kölsch. Schließlic­h hatte Schopper G9 bereits zum Schuljahr 2025/26 in Aussicht gestellt.

Die Bildungsve­rbände äußerten ganz unterschie­dlichen Erwartunge­n an die Politiker. Der Realschull­ehrerverba­nd warnte vor einer einzigen weiteren Schulart neben dem Gymnasium. „Eine Einheitssc­hule ist Gift für die Vielfalt der Kinder“, betonte Karin Broszat. Am anderen Ende des Spektrums forderte Matthias Wagner-Uhl, Vorsitzend­er des Vereins für Gemeinscha­ftsschule, eine grundlegen­de Strukturre­form: „Das ewige Klein-Klein und ein Sammelsuri­um fauler Kompromiss­e haben das Schulsyste­m im Südwesten zu dem gemacht, was es heute ist: Ein überkomple­xer, unüberscha­ubarer, ineffizien­ter und zudem ausgesproc­hen teurer Moloch.“Kein anderes Bundesland leistet sich so viele Schularten parallel wie BadenWürtt­emberg. Wagner-Uhl pochte auf eine starke, attraktive zweite Säule neben dem Gymnasium, die im Ganztag Bildungsge­rechtigkei­t stärke und zu allen Abschlüsse­n führe. Maßnahmen gegen Bildungsun­gerechtigk­eit und für bessere Bildung in Kitas und Grundschul­en forderte auch Monika Stein, Landeschef­in der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft. Dafür brauche es zwingend mehr Geld für Bildung.

Gemeindeta­gspräsiden­t Steffen Jäger hatte gemahnt, nur solche Vereinbaru­ngen zu treffen, die auch realistisc­h seien. „Alles, was die Bildungsal­lianz zusagt und verspricht – sei es bei der Regeldauer des Gymnasiums, bei den Grundschul­en, in der Digitalisi­erung oder bei der Sprachförd­erung, – muss auch eingelöst werden können.“Lange schon klagen die Kommunalve­rbände etwa über den Ganztagsan­spruch für Grundschul­kinder, der 2026 startet. Das Land müsse Verspreche­n mit personelle­n und finanziell­en Ressourcen unterfütte­rn.

Der Baden-Württember­gische Industrie- und Handelskam­mertag legte den Fokus auf die frühe Bildung und die Qualität des Unterricht­s. „Denn das ist es, was für die Betriebe in Baden-Württember­g entscheide­nd ist“, erklärte Vizepräsid­ent Claus Paal. „Ob das mit G9 oder G8 klappt, ist erstmal zweitrangi­g.“

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FOTO: BERND WEISSBROD/DPA Wie muss sich das Bildungssy­stem in Baden-Württember­g weiterentw­ickeln? Dazu sucht die Landespoli­tik gemeinsame Lösungen.

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