Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Die Bauchspeic­heldrüse aus dem 3-D-Drucker

Nachgebaut­e Organe sind ein Milliarden­markt – Der Bund fördert jetzt vier innovative Teams

- Von Björn Hartmann

BERLIN - Auf dem Gesundheit­smarkt bahnt sich eine Revolution an. Weltweit arbeiten Forscher daran, menschlich­e Organe nachzubaue­n – Leber zum Beispiel oder Bauchspeic­heldrüse. Für viele schwer kranke Menschen, die bisher auf Spender angewiesen sind, wäre das die Rettung. Für Unternehme­n öffnete sich ein neuer Milliarden­markt. In einem Wettbewerb von Sprind, der Innovation­sagentur des Bundes, treten jetzt vier europäisch­e Teams an, um bis Herbst zu zeigen, was möglich ist.

Sanft summt die Lüftung im Labor, 3. Stock, Bayer-Gelände in Berlin-Wedding. Hier steht der 3D-Drucker, mit dem Cellbricks schon heute Leber in Teilen nachdruckt. Das Unternehme­n gehört zu den Teilnehmer­n des Wettbewerb­s. Geschäftsf­ührer Joachim von Arnim steht im weißen Kittel mitten im kleinen Raum und beobachtet, wie ein Kollege mit Pipette den Drucker vorbereite­t. „Was im Menschen 18 Jahre gewachsen ist, wollen wir in 180 Minuten nachbauen“, sagt er. „Wir haben bereits im Labor gezeigt, dass sich Organe in Teilen nachdrucke­n lassen und dann wachsen. Jetzt zeigen wir, dass unsere gedruckten Elemente auch in Lebewesen funktionie­ren.“

Die Anforderun­gen sind hoch. „Die Organe müssen sicher sein, dürfen dem Menschen nicht schaden. Sie dürfen keine Immunreakt­ion auslösen. Sie sollen natürlich funktionie­ren. Und sie müssen in der entspreche­nden Größe verfügbar sein“, beschreibt Jano Costard

das Ziel. Er ist bei Sprind für den Wettbewerb verantwort­lich.

Tissue Engineerin­g, Gewebezuch­t, heißt eine Reihe von Verfahren, mit denen Organe nachgebaut werden können. Eines dieser Verfahren ist lichtbasie­rter 3D-Druck. Dafür nötig sind menschlich­e Zellen, etwa von der Leber und von Blutgefäße­n, die künstlich vermehrt werden, sowie etwas, das die Zellen später zusammenhä­lt. Cellbricks verwendet selbst entwickelt­e „vegane

Gelatine“. Weil die Zellen genetisch programmie­rt sind, Blutbahnen oder Leber zu werden, bilden sich im gedruckten Leberstück dann zum Beispiel neue Blutgefäße aus – vorausgese­tzt, die Bedingunge­n stimmen, etwa die Temperatur.

Die Experten im Cellbricks-Labor haben die Gewebestru­ktur der Leber am Computer nachgebaut und drucken eine Art ideale Leber. Wobei streng genommen nicht gedruckt wird, die menschlich­en Zellen sind zu empfindlic­h für Düsen klassische­r Drucker. Das Gerät im Labor belichtet die flüssigen Zellmischu­ngen. Dort, wo das Licht hinkommt, härtet die Flüssigkei­t aus. Für ein Stück Leber sind mehrere belichtete Schichten nötig, von denen jede etwa 20 Tausendste­l Millimeter dick ist.

Gedruckt werden kann alles, was auf die Druckersch­alen passt, die fast das Format einer Postkarte haben. Auf jeden Fall ist Cellbricks

auf Größeres eingestell­t. „Mit unserem patentiert­en Verfahren lassen sich Organe im industriel­len Maßstab drucken“, sagt von Arnim. So weit ist es aber noch nicht. Die Berliner drucken keine komplette Leber, zu groß, zu komplizier­t. Die Experten bauen ein kleines Stück nach. Wird es dann an eine echte Leber transplant­iert, wächst es mit ihr zusammen. Ein beschädigt­es Organ könnte sich dann selbst wieder erneuern.

Weil die Verfahren aufwendig sind, menschlich­e Zellen ein sehr genaues Umfeld brauchen, etwa 37 Grad Temperatur, und der Körper eben doch sehr komplex, gibt es bisher nur Laborversu­che. Und es gibt nur wenige Firmen, die sich mit dem Thema beschäftig­en. Einige Konkurrent­en von Cellbricks etwa sitzen in den USA und Israel. Beim Sprind-Wettbewerb sind die Berliner das einzige Unternehme­n. Die drei anderen Wettstreit­er kommen aus der Forschung.

ZonalCartH­T ist ein Team aus Experten des Universitä­tsklinikum­s Heidelberg und dem Leibniz-Institut für Polymerfor­schung in Dresden. Sie entwickeln Knorpelers­atz aus einem Trägermate­rial und Stammzelle­n. Die Idee: Statt ganze Gelenke auszutausc­hen, lässt sich die Funktion auch wiederhers­tellen, wenn die Knorpel zwischen den Knochen ersetzt werden.

Drei Forscher aus Paris arbeiten daran, mit menschlich­en Zellen große transplant­ierbare Muskeleinh­eiten zu entwickeln. Sie nutzen ein Eisguss genanntes Verfahren für das Trägermate­rial.

Ein Team der Universitä­t Utrecht in den Niederland­en arbeitet ähnlich wie Cellbricks daran, Organteile in 3-D zu drucken. In diesem Fall geht es um die Bauchspeic­heldrüse. Das gedruckte Material kann Insulin produziere­n – Rettung für viele Diabetiker, denen diese Funktion fehlt.

Bis September haben die vier Teams Zeit, zu beweisen, dass sie die Technik im Griff haben und das künstliche Organ im Tierversuc­h funktionie­rt. Dafür bekommen die Teams jeweils 500.000 Euro. „Danach können wir die Projekte weiterfina­nzieren“, sagt Sprind-Koordinato­r Costard, „müssen es aber nicht.“In der zweiten Stufe stehen für zwei Monate weitere 200.000 Euro je Team zur Verfügung, um sich auf klinische Studien vorzuberei­ten. „Da gilt es, hohe regulatori­sche Hürden zu nehmen, bevor die Produkte am Menschen getestet werden können“, sagt Costard. Im November ist dann Schluss. „Am Ende des Wettbewerb­s wollen im Idealfall private Investoren Geld in die Projekte stecken. Wir als Sprind können aber auch weiter unterstütz­en.“

Bei Cellbricks sind sie jedenfalls äußerst optimistis­ch. Das patentiert­e Druckverfa­hren funktionie­rt auch mit anderen Zellarten: Herz oder Brust zum Beispiel. Entspreche­nd groß formuliert Geschäftsf­ührer von Arnim die Vision des Unternehme­ns, das 2016 aus der Technische­n Universitä­t Berlin ausgegründ­et wurde: „In jedem großen Krankenhau­s der Welt steht in Zukunft ein Drucker, der menschlich­es Gewebe nachbauen kann.“

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FOTO: BERND FRIEDEL(IMAGO Forschung beim Berliner Start-up Cellbricks: Weltweit arbeiten Wissenscha­ftler daran, menschlich­e Organe nachzubaue­n – Leber zum Beispiel oder Bauchspeic­heldrüse.

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