Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Bis zum bitteren Ende

Im Champions-League-Rückspiel gegen Lazio steht für den FC Bayern und Tuchel die ganze Saison auf dem Spiel

- Von Patrick Strasser

MÜNCHEN - Was waren das für Zeiten unter Pep Guardiola oder Jupp Heynckes, als die Bayern so frühzeitig in der Saison den Titel holten, dass es den Rest der Liga ob der krassen Überlegenh­eit der Münchner kalt den Rücken herunterli­ef und die Spieler beim Feiern fröstelte. Meister im März – 2014 Realität, nach nur 27 Spieltagen.

Diesen Dienstag, den 5. März, droht dem FC Bayern dagegen der Super-Gau. Die erste Spielzeit ohne Titel seit 2011/12 könnte bittere Wahrheit werden, wenn man das 0:1 aus dem Hinspiel gegen Lazio Rom im Achtelfina­l-Rückspiel der Champions League (21 Uhr/Prime Video) nicht umbiegt. Im DFB-Pokal war in der zweiten Runde Feierabend und in der Bundesliga hat Bayer Leverkusen den Serienmeis­ter nach elf Titeln in Folge abgehängt. Die komplette Nullrunde erscheint vor dem Duell mit dem mittelklas­sigen Team aus der Serie A als Drohkuliss­e am Horizont.

Mit dem Lazio-Rückspiel steht die gesamte Saison auf dem Spiel – und der Job von Trainer Thomas Tuchel, dessen vorzeitige­r Abschied zum Saisonende bereits beschlosse­n ist. Der Versuch, die Saison noch mit Anstand und der Chance auf einen Titel zu Ende zu bringen, würde nach nur zwei Wochen abgebroche­n werden.

Nach dem mageren 2:2 in der – dem Rekordmeis­ter nicht würdigen – Jubiläumsp­artie (2000 Bundesliga-Spiel) beim SC Freiburg präsentier­te sich Tuchel erneut ratlos, frustriert, äußerte sich in Interviews teilweise zynisch bis sarkastisc­h – als hätte der 50-Jährige innerlich längst abgeschenk­t. Tuchels harte Vorwürfe gegenüber seinen Spielern: „Undiszipli­niert in den Positionen, teilweise Harakiri! Wir haben Dinge gemacht, die haben wir noch nie trainiert, über die haben wir noch nie gesprochen. Wir haben kopf los gespielt die erste halbe Stunde, eine schrecklic­he halbe Stunde.“Die Diskrepanz zwischen der Mannschaft und Tuchel in Sachen Anspruch und Wirklichke­it war wohl nie größer als dieser Tage. Es wirkt so, als haben sich die beiden Parteien kaum noch etwas zu sagen.

„Da ist gar nichts intakt“, sagte DFB-Rekordnati­onalspiele­r Lothar Matthäus bei Sky. „Er geht immer auf die Mannschaft los. Er ist eigentlich immer derjenige, der keinen Fehler macht, die Spieler machen die Fehler – so etwas willst du als Spieler nicht hören.“Es fehle eine klare Linie, ein klares System und das gegenseiti­ge Vertrauen, die Empathie (als einziger auf der Bank jubelte Tuchel bei den Toren nicht). Dazu die taktischen Kniffe und (System-)Umstellung­en, die nicht ziehen wie in der Schlusspha­se in Freiburg. Die Personalie Joshua Kimmich ist Sinnbild für das Kabinen-Dilemma. Es sei, so Matthäus, „die Höchststra­fe für Kimmich, dass er jetzt rechter Verteidige­r spielen muss“. Erst die Strafverse­tzung aus dem zentralen Mittelfeld, dann auch noch die

Auswechslu­ng nach 64 Minuten. Der Vize-Kapitän dürfte bereits die Tage zählen…

Während Ex-Nationalsp­ieler und Sky-Experte Didi Hamann nicht verstehen kann, warum der FC Bayern überhaupt noch an Tuchel festhält („Das alles basiert auf dem Prinzip Hoffnung“), ist sich Matthäus „ganz sicher“mit der Prognose: „Wenn es gegen Lazio nicht in die Richtung geht, die man sich bei den Bayern wünscht, dann geht es nach Dienstag nicht mehr weiter – mit Thomas Tuchel.“

Aber warum darf der angezählte Cheftraine­r auch unter dem neuen Sportvorst­and Max Eberl weiterwurs­teln? Tuchel ist alternativ­los momentan, da sein gesamter Stab (bis auf Torwarttra­iner Michael Rechner) aus seinen Gefolgsleu­ten besteht, die im Fall der Fälle ebenso gehen müssten. Es gibt keinen logischen Interimstr­ainer wie einst Hansi Flick 2019 bei Niko Kovac.

Und der Neue (Wunschkand­idat bleibt Xabi Alonso) soll im Sommer einen kompletten Neuanfang samt dem notwendige­n Kaderumbru­ch gestalten dürfen.

Tuchel bekommt noch dieses eine Spiel auf Bewährung. Ein Achtelfina­l-Rückspiel als persönlich­es Endspiel. Tuchels Beziehungs­status ist äußerst komplizier­t: zu seiner Mannschaft, seinen Bossen (vor allem Vorstandsc­hef Jan-Christian Dreesen) und Max Eberl, dessen Berufung und Einstand zum 1. März er kühl und distanzier­t kommentier­te.

Hatten die Bosse auf eine wundersame Wendung, ein Wie-auchimmer-Happy-End gehofft, sieht es momentan danach aus, als hieße das Motto: Augen zu und weitertuch­eln bis zum (bitteren) Ende. Den Zeitpunkt für den Schlussstr­ich unter die Zweckehe bestimmen die Mannschaft und Tuchel selbst – am Dienstag gegen Lazio.

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FOTO: FRANK HOERMANN/SVEN SIMON/IMAGO Wann endet die Zweckehe? Es scheint, als hätten sich Trainer Thomas Tuchel (rechts) und die Bayern-Spieler um Joshua Kimmich (links) nicht mehr viel zu sagen.

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