Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Bis zum bitteren Ende
Im Champions-League-Rückspiel gegen Lazio steht für den FC Bayern und Tuchel die ganze Saison auf dem Spiel
MÜNCHEN - Was waren das für Zeiten unter Pep Guardiola oder Jupp Heynckes, als die Bayern so frühzeitig in der Saison den Titel holten, dass es den Rest der Liga ob der krassen Überlegenheit der Münchner kalt den Rücken herunterlief und die Spieler beim Feiern fröstelte. Meister im März – 2014 Realität, nach nur 27 Spieltagen.
Diesen Dienstag, den 5. März, droht dem FC Bayern dagegen der Super-Gau. Die erste Spielzeit ohne Titel seit 2011/12 könnte bittere Wahrheit werden, wenn man das 0:1 aus dem Hinspiel gegen Lazio Rom im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League (21 Uhr/Prime Video) nicht umbiegt. Im DFB-Pokal war in der zweiten Runde Feierabend und in der Bundesliga hat Bayer Leverkusen den Serienmeister nach elf Titeln in Folge abgehängt. Die komplette Nullrunde erscheint vor dem Duell mit dem mittelklassigen Team aus der Serie A als Drohkulisse am Horizont.
Mit dem Lazio-Rückspiel steht die gesamte Saison auf dem Spiel – und der Job von Trainer Thomas Tuchel, dessen vorzeitiger Abschied zum Saisonende bereits beschlossen ist. Der Versuch, die Saison noch mit Anstand und der Chance auf einen Titel zu Ende zu bringen, würde nach nur zwei Wochen abgebrochen werden.
Nach dem mageren 2:2 in der – dem Rekordmeister nicht würdigen – Jubiläumspartie (2000 Bundesliga-Spiel) beim SC Freiburg präsentierte sich Tuchel erneut ratlos, frustriert, äußerte sich in Interviews teilweise zynisch bis sarkastisch – als hätte der 50-Jährige innerlich längst abgeschenkt. Tuchels harte Vorwürfe gegenüber seinen Spielern: „Undiszipliniert in den Positionen, teilweise Harakiri! Wir haben Dinge gemacht, die haben wir noch nie trainiert, über die haben wir noch nie gesprochen. Wir haben kopf los gespielt die erste halbe Stunde, eine schreckliche halbe Stunde.“Die Diskrepanz zwischen der Mannschaft und Tuchel in Sachen Anspruch und Wirklichkeit war wohl nie größer als dieser Tage. Es wirkt so, als haben sich die beiden Parteien kaum noch etwas zu sagen.
„Da ist gar nichts intakt“, sagte DFB-Rekordnationalspieler Lothar Matthäus bei Sky. „Er geht immer auf die Mannschaft los. Er ist eigentlich immer derjenige, der keinen Fehler macht, die Spieler machen die Fehler – so etwas willst du als Spieler nicht hören.“Es fehle eine klare Linie, ein klares System und das gegenseitige Vertrauen, die Empathie (als einziger auf der Bank jubelte Tuchel bei den Toren nicht). Dazu die taktischen Kniffe und (System-)Umstellungen, die nicht ziehen wie in der Schlussphase in Freiburg. Die Personalie Joshua Kimmich ist Sinnbild für das Kabinen-Dilemma. Es sei, so Matthäus, „die Höchststrafe für Kimmich, dass er jetzt rechter Verteidiger spielen muss“. Erst die Strafversetzung aus dem zentralen Mittelfeld, dann auch noch die
Auswechslung nach 64 Minuten. Der Vize-Kapitän dürfte bereits die Tage zählen…
Während Ex-Nationalspieler und Sky-Experte Didi Hamann nicht verstehen kann, warum der FC Bayern überhaupt noch an Tuchel festhält („Das alles basiert auf dem Prinzip Hoffnung“), ist sich Matthäus „ganz sicher“mit der Prognose: „Wenn es gegen Lazio nicht in die Richtung geht, die man sich bei den Bayern wünscht, dann geht es nach Dienstag nicht mehr weiter – mit Thomas Tuchel.“
Aber warum darf der angezählte Cheftrainer auch unter dem neuen Sportvorstand Max Eberl weiterwursteln? Tuchel ist alternativlos momentan, da sein gesamter Stab (bis auf Torwarttrainer Michael Rechner) aus seinen Gefolgsleuten besteht, die im Fall der Fälle ebenso gehen müssten. Es gibt keinen logischen Interimstrainer wie einst Hansi Flick 2019 bei Niko Kovac.
Und der Neue (Wunschkandidat bleibt Xabi Alonso) soll im Sommer einen kompletten Neuanfang samt dem notwendigen Kaderumbruch gestalten dürfen.
Tuchel bekommt noch dieses eine Spiel auf Bewährung. Ein Achtelfinal-Rückspiel als persönliches Endspiel. Tuchels Beziehungsstatus ist äußerst kompliziert: zu seiner Mannschaft, seinen Bossen (vor allem Vorstandschef Jan-Christian Dreesen) und Max Eberl, dessen Berufung und Einstand zum 1. März er kühl und distanziert kommentierte.
Hatten die Bosse auf eine wundersame Wendung, ein Wie-auchimmer-Happy-End gehofft, sieht es momentan danach aus, als hieße das Motto: Augen zu und weitertucheln bis zum (bitteren) Ende. Den Zeitpunkt für den Schlussstrich unter die Zweckehe bestimmen die Mannschaft und Tuchel selbst – am Dienstag gegen Lazio.