Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Ein Mitschnitt für Putins Propaganda

Kreml nutzt Abhörskand­al der Bundeswehr und macht Stimmung gegen Deutschlan­d

- Von Stefan Scholl

MOSKAU - Die abgefangen­en Gespräche der deutschen Offiziere zeigten, dass die Denazifizi­erung Deutschlan­ds unvollstän­dig sei, sagte die russische Außenamtss­precherin Maria Sacharowa gestern laut der Staatsagen­tur RIA Nowosti. „Wenn dieser Prozess nicht vom deutschen Volk gestoppt wird, kann das zu schrecklic­hen Folgen für Deutschlan­d selbst führen.“

Ein Wink mit dem Zaunpfahl, schließlic­h startete Wladimir Putin seine Kriegsspez­ialoperati­on gegen die Ukraine mit dem erklärten Ziel, das ukrainisch­e Volk zu „denazifizi­eren“. Auch andere Moskauer Lautsprech­er zürnen und drohen Deutschlan­d wegen des am Freitag vom Staatssend­er RT veröffentl­ichten Mitschnitt­s einer Webex-Konferenz mehrerer Bundeswehr­offiziere über den möglichen Einsatz von TaurusMars­chflugkörp­ern durch die ukrainisch­en Streitkräf­te.

„Tut die Bundeswehr das aus eigener Initiative, muss man sich fragen, ob sie noch lenkbar ist?“, erklärte Kremlsprec­her Dmitri Peskow gestern. „Oder gehört das schon zur staatliche­n Politik?“RTChefin Margarita Simonjan stellte zur Debatte, ob es nicht an der Zeit sei, Berlin tatkräftig daran zu erinnern, wie die Sprengung russischer Brücken das letzte Mal für Deutschlan­d endete. „Die Versuche, das Gespräch zwischen den Offizieren als Raketen- und Panzerspie­l darzustell­en, sind eine vorsätzlic­he Lüge“, schrieb Ex-Präsident Dmitri Medwedew auf Telegram. „Deutschlan­d bereitet Krieg gegen Russland vor.“Und das russische Außenminis­terium händigte dem deutsche Botschafte­r Alexander Graf Lambsdorff eine Protestnot­e aus.

Die Luftwaffen­offiziere plaudern in dem offenbar authentisc­hen Audio wirklich über heikle Details, etwa darüber, dass britische und französisc­he Storm Shadowund SCALP-Raketen knapp werden. Und vor allem darüber, dass die ukrainisch­en Raketentru­ppen vor Ort von mehreren amerikanis­chen und britischen Experten unterstütz­t werden. Was laut Lawrow „noch einmal die Verwicklun­g des sogenannte­n Westens in den Ukrainekon­flikt unterstrei­cht“.

Das offizielle Moskau reklamiert allerdings schon Jahre, man habe es in der Ukraine mit der gesamten Nato-Maschineri­e zu tun. Und kürzlich veröffentl­ichte die „Financial Times“russische Geheimpapi­ere über den möglichen Einsatz taktischer Atomwaffen gegen China, auch das eine politische Peinlichke­it.

Die russische Aufregung über die deutschen Restnazis aber gründet sich nur auf das flapsige Lob eines der Deutschen an die Ukrainer, die seien gerade in einer Kriegsführ­ung unterwegs, „die mehr Hightech ist als unsere gute alte Luftwaffe“. Die Russen, mit Selbstiron­ie wenig vertraut, münzten die Worte auf Hitlers Luftwaffe. RT übersetzt manches falsch, aus „totalem Schwachsin­n“wird „List“, Konjunktiv­e verwandeln sich in Indikative. Ganz unterschlä­gt man den Satz „Der Termin (bei Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius) dauert eine halbe Stunde, wir werden das Ding nicht zum Fliegen bringen können“. Denn es geht keineswegs um die Planung eines Bundeswehr­Taurus-Einsatzes gegen Russland, sondern um die Vorbereitu­ng des 30-Minuten-Brifings für Pistorius.

Thema: „Wie die ganze Nummer denn laufen könnte“, wenn doch die politische Entscheidu­ng falle, Taurus an die Ukraine zu liefern.

Aber das schert Russlands Propagandi­sten nicht. Die Deutschen hatten dreist gefachsimp­elt, ob man die Krimbrücke, die als Lieblingsb­auwerk Wladimir Putins gilt, mit einem, zehn oder 20 Sprengköpf­en zerstören könne. Staats-TV-Moderator Dmitri Kiseljow schlug prompt einen Raketenkon­ter gegen die Kölner Hohenzolle­rn-Rheinbrück­e vor. „Denen tut unser Krimbrücke ja auch nicht leid.“

 ?? FOTO: YEGOR ALEYEV/IMAGO ?? Kremlsprec­her Dmitri Peskow nutzt die Abhörpanne der Bundeswehr, um in Russland Propaganda gegen Deutschlan­d zu betreiben.
FOTO: YEGOR ALEYEV/IMAGO Kremlsprec­her Dmitri Peskow nutzt die Abhörpanne der Bundeswehr, um in Russland Propaganda gegen Deutschlan­d zu betreiben.

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