Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Auf Bahnkunden rollt eine massive Streikwelle zu
Lokführer streiken diese Woche 35 Stunden lang – Weitere Ausstände sollen folgen – Auch im Luftverkehr geht der Arbeitskampf weiter
BERLIN - Bahnfahrer müssen sich auf eine Welle von Ausständen einstellen. Das kündigte Claus Weselsky, Chef der Lokführergewerkschaft GDL an. Die Gewerkschaft will damit eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich durchsetzen. Verhandlungen darüber und über eine Entgelterhöhung waren in der vergangenen Woche trotz Vermittlungsversuchen durch Mediatoren gescheitert. Im Gegensatz zur letzten Zuspitzung des Konflikts kurz vor Weihnachten schließt die GDL Streiks zu den anstehenden Feiertagen diesmal nicht aus. Es könnte also auch der Osterreiseverkehr von Ausständen betroffen sein.
Der nächste Streik beginnt im Güterverkehr am Mittwochabend um 18.00 Uhr. Am Donnerstag, früh um 2.00 Uhr, bleiben dann auch die Züge im Personenverkehr bis Freitag, 13.00 Uhr, stehen. Sollte es keine Bewegung im Tarif konf likt geben, will die GDL die Deutsche Bahn mit Wellenstreiks in die Knie zwingen. Den Fahrgästen drohen böse überraschen. „Es gibt keine Ankündigungsfristen mehr“, betont Weselsky. Bisher wurden Ausstände 48 Stunden vor Beginn bekannt gegeben. Damit werde es der Bahn auch nicht mehr möglich sein, einen Notfahrplan zu fahren, sagt der Gewerkschaftschef:
„Damit ist die Bahn kein zuverlässiges Verkehrsmittel mehr.“
„Der Streik wird sich wieder massiv auf den gesamten deutschen Bahnbetrieb auswirken“, befürchtet die Bahn. Es werde erneut ein Grundangebot an Zugverbindungen erarbeitet, versichert das Unternehmen. Beim letzten Streik konnte etwa jeder fünfte Zug auf das Gleis gebracht werden. Fahrgäste, die bereits ein Ticket für die beiden Streiktage erworben haben, können es zu einem späteren Zeitpunkt nutzen. Die Zugbindung wird aufgehoben. Sitzplatzreservierungen können ohne Kosten storniert werden. Im Fernverkehr dürfen Fahrgäste Tickets auch schon vorzeitig nutzen.
Welselsky weist dem Bahnvorstand und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) die Schuld am neuerlichen Arbeitskampf zu. „Die GDL hat vier Wochen lang versucht, eine Einigung zu erreichen“, sagt er. Die Arbeitgeber hätten sich nicht bewegt. Dabei habe die GDL eine Reihe von Zugeständnissen gemacht. Doch bei der Arbeitszeit sei kein Kompromiss möglich. In den vergangenen vier Wochen hatten beide Seiten, teils mit Hilfe von Moderatoren, nach Lösungen gesucht. ExInnenminister Thomas de Maiziere und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther sollten den Streit schlichten. Es ist ihnen nicht gelungen.
Größter Knackpunkt des festgefahrenen Konfliktes ist die Arbeitszeit. Die Bahn hält eine 35Stunden-Woche für Schichtarbeiter für nicht machbar, allein schon aufgrund des dann fehlenden Personals. „Die Maximalforderungen sind nicht erfüllbar“, hebt Personalvorstand Martin Seiler hervor. Lokführer sind derzeit rar und gesucht. Um die Lücken bei einer Arbeitszeitverkürzung zu schließen, müsste das Unternehmen weitere 10.000 Lokführer einstellen. Neben einer Lohnerhöhung um 420 Euro in zwei Schritten und einer Inflationsausgleichspämie von 2850 Euro boten die Arbeitgeber nach eigenen Angaben die Absenkung der Wochenarbeitszeit um 1,5 Stunden an. Dies habe die GDL abgelehnt.
Die GDL wiederum verweist auf andere Tarifverträge in der Branche. Sie hat mit 28 privaten Bahnunternehmen diese Arbeitszeitverkürzung in mehreren Schritten ausgehandelt. Die Tarifverträge mit den kleineren Bahn stehen allerdings unter dem Vorbehalt, dass der Marktführer Deutsche Bahn sich ebenfalls darauf einlässt.
Die Bundesregierung hat angesichts der neuen Streikankündigungen der GDL an die Verantwortung beider Tarifparteien
appelliert. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) habe deutlich gemacht, dass man eine Lösung nur am Verhandlungstisch finden könne, sagte ein Ministeriumssprecher. Daher gebe es die klare Erwartungshaltung, dorthin zurückzukehren. Beide Parteien hätten „eine sehr erhebliche Verantwortung“auch gegenüber Millionen Fahrgästen, deren Alltag beeinträchtigt werde. Zudem befinde sich Deutschland in einer Wachtumsschwäche.
Der Bund als Eigentümer der Bahn will sich vorerst aber nicht selbst in den Konflikt einschalten. Es gebe in Deutschland Tarifautonomie, an die gelte es sich zu halten, sagte der Ministeriumssprecher. Der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner sagte, Kanzler Olaf Scholz (SPD) mische sich grundsätzlich nicht in Tarifauseinandersetzungen ein. „Wir appellieren an die Verantwortung beider Seiten und hoffen, dass das jetzt einen guten Ausgang nimmt bald.“
Auch Kunden der Lufthansa müssen sich noch in dieser Woche auf Flugausfälle einrichten. Die Gewerkschaft Verdi hat das Bodenpersonal des Unternehmen zu einer Arbeitsniederlegung von Donnerstag, 4.00 Uhr bis Samstag 7.10 Uhr aufgefordert. Davon dürften im Gegensatz zu bisherigen Warnstreiks vor allem die Passagiere betroffen sein. Möglichweise kommt es noch dicker. Denn auch bei den privaten Luftsicherheitsunternehmen ist der Tarifkonflikt noch nicht gelöst. Möglicherweise schließen sich die rund 25.000 Beschäftigten dort dem Warnstreik des Bodenpersonals an. Damit verbunden wäre eine komplette Einstellung des Luftverkehrs in Deutschland. Bei beiden Tarifkonflikten geht es ums Geld.