Schwäbische Zeitung (Tettnang)
418 gefährliche Ausländer weniger
Seit 2018 kümmert sich ein Sonderstab im Südwesten um die Ausreise von Straftätern
STUTTGART - Was tun mit kriminellen Ausländern? Abschieben, lautet das Ziel der Landesregierung. Die Umsetzung scheitert aber oft an praktischen Gründen. Um besonders krasse Fälle kümmert sich seit 2018 ein Sonderstab „Gefährliche Ausländer“– mit Erfolg? Eine Zwischenbilanz:
Worum geht es?
Sie begehen Straftaten und versetzen ganze Orte über Monate in Unruhe. Da ist etwa Mohamad J., der in einer Gemeinschaftsunterkunft in Seitingen-Oberflacht wohnte. Gegen den Tunesier gab es Anzeigen wegen Körperverletzung, Diebstahls und Hausfriedensbruchs, wie eine Sprecherin des Landratsamts Tuttlingen berichtete. Ein typisches Hindernis für eine Abschiebung: Mohamad J. hatte keinen Pass. Im Oktober saß Mohamad J. dann doch im Flugzeug Richtung Tunesien – und zwar freiwillig. Dass es dazu kam, sei auch der Unterstützung des Sonderstabs geschuldet, sagt die Landratsamtssprecherin. „Die waren hilfreich.“
Da ist der Fall eines Syrers, der einen Terroranschlag vorbereitet hatte und 2017 vom Landgericht Ravensburg zu einer Jugendstrafe verurteilt wurde. Ende April 2023 sollte er aus dem Gefängnis entlassen werden. Deutschland schiebt aber nicht nach Syrien ab. Dank vieler Gespräche sei es gelungen, den Mann zur freiwilligen Heimkehr direkt nach der Haftstrafe zu bewegen. „Wir haben ihm klar gemacht, dass er entweder zu Hause in Freiheit oder hier ohne Perspektive leben kann“, erklärt Fritsch.
Viel Aufmerksamkeit erregte ein Somalier, der 2018 in Offenburg seinen Hausarzt mit mehr als 30 Messerstichen tötete. Das Gericht erklärte ihn für schuldunfähig, statt ins Gefängnis kam rer in ein psychiatrisches Zentrum. Dennoch geriet er ins Visier des Sonderstabs. „Wir arbeiten ausländerrechtlich“, sagt dessen Leiter Falk Fritsch. „Wenn jemand reisefähig ist, ist eine psychische Erkrankung kein Hindernis.“Im November konnte der Mann schließlich in seine Heimat zurückgebracht werden – ebenfalls freiwillig, mit 500 Euro Rückkehrhilfe im Gepäck.
Was genau ist der Sonderstab „Gefährliche Ausländer“?
Eigentlich gibt es fünf Sonderstäbe. Einer ist mit neun Stellen beim Justizministerium in Stuttgart angesiedelt, das für den Bereich Migration zuständig ist. Zudem gibt es vier regionale Stäbe, je einen pro Regierungsbezirk, mit weiteren 35 Stellen. Deren Aufgabe ist es, Hürden für Abschiebungen zu beseitigen oder die betreffenden Menschen zur freiwilligen Ausreise zu bewegen. „Es gibt eine hohe Anforderung der Gesellschaft, Straftäter rückzuführen“, betont Migrationsstaatssekretär Siegfried Lorek (CDU). „Das sind genau die Leute, die objektiv die Sicherheit gefährden, aber auch das subjektive Sicherheitsempfinden.“
Sind die Stäbe erfolgreich?
Zur Hochphase der Flüchtlingskrise 2015 verzeichnete das Land mehr als 100.000 Asylanträge. In den Folgejahren sank die Anzahl und lag 2020, im ersten CoronaJahr, bei 7422. Danach stieg sie 2023 wieder auf rund 36.300. Laut Lorek hat nur jeder Zweite das Recht, im Land zu bleiben.
Menschen, die aus der Ukraine ins Land geflohen sind, haben einen anderen rechtlichen Status und sind nicht eingerechnet. Wie die Zugangszahlen schwanken auch die der Abschiebungen und freiwilligen Ausreisen. 2015 etwa wurden rund 2550 Menschen zurückgeführt, rund 6300 sind von selbst gegangen. 2020 verließen etwa 1360 unter Zwang und rund 840 freiwillig das Land. Nach dem Corona-Knick, wie Lorek die Jahre 2020 bis 2022 nennt, sind die Zahlen nun wieder gestiegen – auf 2099 Abschiebungen und 2333 freiwillige Ausreisen vergangenes Jahr. Gehen die Menschen aus freien Stücken, sei das die günstigere Lösung, betont Lorek. Eine Rückkehrhilfe zwischen 500 und 1000 Euro als Anreiz seien üblich und deutlich weniger als etwa 20.000 Euro, die es etwa koste, einen Gambier abzuschieben.
Straftäter will das Land bevorzugt abschieben. Hier kommen die Sonderstäbe ins Spiel, die sich um die „schweren Kaliber“kümmern, wie es Leiter Fritsch ausdrückt. Wer in diese Kategorie fällt, erfahren die Stäbe meist durch das Landeskriminalamt. Seit Gründung der Stäbe 2018 und bis Ende Januar haben diese 418 gefährliche Ausländer aus dem Land geschafft.
Was genau tun die Stäbe?
Eine der wichtigsten Aufgaben: Sie versuchen, die Identität der betreffenden Menschen zu klären. Gut die Hälfte derer, die im ersten Halbjahr 2023 in den Südwesten kamen, hatten laut Lorek keinen Ausweis. Ist die Identität unklar, duldet der Staat diese Menschen – und das wissen sie. Ein Drittel der rund 26.500 Menschen mit einem Duldungsstatus haben diesen laut Lorek, weil deren Identität nicht geklärt sei oder Reisedokumente fehlten.
„Die Leute wissen: Wenn die Identität bekannt ist, geht es an die Abschiebung“, sagt Polizeihauptkommissar Michael Rieker, Verbindungsbeamter des Innenministeriums im Sonderstab. Die Stäbe versuchen zudem, die Menschen zur freiwilligen Ausreise zu bewegen. Und, so Leiter Fritsch: „Wir haben die Leute im Blick und schauen, dass Sanktionsmaßnahmen getroffen werden“– etwa ein Beschäftigungsverbot und eine räumliche Beschränkung.
Wie viele Fälle haben die Sonderstäbe im Blick?
Leiter Fritsch spricht von einer „mittleren zweistellige Zahl“gefährlicher Ausländer. Zu diesen gehört auch der Afghane, der 2019 mit vier anderen Männern eine 14-Jährige in Illerkirchberg (Alb-Donau-Kreis) vergewaltigt hatte. Er hat seine Haftstrafe zwar abgesessen, dennoch soll er das Land verlassen. Aber: „Es gibt eine große Liste an schwierigen Herkunftsländern“, sagt Lorek und nennt etwa die MaghrebStaaten und Pakistan, aber auch die Türkei. „Da ist der Bund gefordert, Abkommen zu treffen.“
Gambia etwa habe eingelenkt, weil die EU Visa-Erleichterungen zu streichen drohte. Die Schweiz koppele Entwicklungshilfe daran, ob ein Land seine Bürger zurücknehme. Lorek wünscht sich zudem Möglichkeiten, Menschen nach Syrien und Afghanistan abschieben zu können. Davon sieht der Bund aktuell wegen der Lage in diesen Ländern generell ab. „Es wäre auch richtig, hier vonseiten des Bundes Rückführungen zu eröffnen“, betont Lorek.