Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Schmerz lass nach ...
Seit 125 Jahren vertreibt der Pharmakonzern Bayer erfolgreich Aspirin
LEVERKUSEN (KNA) - Für Kopfschmerzen kann es viele Gründe geben. Sie können im Zusammenhang einer Erkrankung auftreten, auch durch Schlafmangel oder Stress bedingt sind oder einfach die Auswirkungen des notorischen „letzten Glases“vom Vorabend. Warum auch immer sie auftreten, für die Betroffenen können Kopfschmerzen zur Qual werden und den Alltag einschränken.
Obwohl es viele altbewährte und natürliche Hausmittel gibt, greifen doch viele Menschen in Deutschland dann fast routinemäßig zu Schmerzmitteln. Fast 23 Millionen Deutsche nutzen laut einer Studie der Techniker Krankenkasse mindestens einmal pro Woche ein Schmerzmittel; für knapp zwei Millionen Menschen gehört es sogar zum täglichen Gebrauch. Oft heißt das Mittel der Wahl dabei Acetylsalicylsäure.
Der Wirkstoff, kurz ASS, hat auch blutverdünnende Eigenschaften und wird deshalb inzwischen von verschiedenen Herstellern genutzt. Die wohl bekannteste Verwendung findet sich aber in Pharmaprodukten der Marke Aspirin. Unter diesem Namen wurde ASS vor nunmehr 125 Jahren vom deutschen Chemiekonzern Bayer auf den Markt gebracht.
Ursprünglich hatte das Unternehmen geplant, sich den Wirkstoff Acetylsalicylsäure selbst als Markennamen patentieren zu lassen. Dieses Vorhaben scheiterte zwar. Doch das Patent auf Aspirin wurde akzeptiert: Dabei steht „A“für Acetyl, „spir“als Abkürzung für den lateinischen Namen des Gewächses Echtes Mädchensüß, Spiraea ulmaria, und die für Arzneimittel gängige Schlussformel „in“. Am 6. März 1899 wurde der Name beim kaiserlichen Patentamt in Berlin eingetragen.
Um die Urheberschaft des Wirkstoffes entspinnt sich indes eine tragische Kontroverse. Als Erfinder gilt offiziell der Pharmazeut Felix Hoffmann (1868-1946), der seit 1894 als Chemiker bei der „Farbenfabrik vorm. Friedr. Bayer & Co“– so der frühere Name des Unternehmens – im damals noch eigenständigen Wuppertaler Stadtteil Elberfeld eingestellt war. Als solchem gelang ihm erstmals die Synthese von ASS in Reinform.
Später wurde diese Urheberschaft jedoch bestritten von Arthur Eichengrün, zu dieser Zeit ebenfalls Chemiker im Unternehmen und Hoffmanns Kollege. In einem Brief, den der jüdischstämmige Eichengrün 1944 aus dem Konzentrationslager Theresienstadt an die I.G. Farben in Frankfurt schickte, gab er an, den Plan für die Synthese selbst erstellt zu haben. Hoffmann habe lediglich Anweisungen ausgeführt. Diesen Vorwurf erhob Eichengrün nach dem Krieg erneut, jedoch blieb der Bayer-Konzern seither bei seiner Version mit Hoffmann als Urheber. Der schottische Historiker Walter Sneader hingegen forschte in den 1990er-Jahren über den Ursprung von Aspirin. Er resümierte, dass die Urheberschaft Eichengrüns wahrscheinlicher sei; nur seine jüdische Herkunft habe seine Anerkennung verhindert.
Die Marke Aspirin wurde für Bayer in der Folgezeit jedenfalls zum Welterfolg. Auch in den USA und Großbritannien konnte der Name patentiert und das Mittel verkauft werden. Obwohl es inzwischen viele Hersteller gibt, die ASS nutzen, setzte sich Aspirin doch gleichsam vom Markenzum Gattungsnamen für eine ganze Reihe von schmerzhemmenden Medikamenten durch.
Trotz weltweiter Verbreitung befindet sich die größte Produktionsstätte für Aspirin auch heute noch in Deutschland, genauer in Bitterfeld-Wolfen in Sachsen-Anhalt. Rund drei Milliarden Tabletten werden dort jährlich produziert. Mit einem Umsatz von regelmäßig um eine Milliarde Euro ist Aspirin zudem die drittstärkste Marke des Konzerns im Pharmabereich. Es wundert daher nicht, dass die Verknüpfung von Bayer und Aspirin in der öffentlichen Wahrnehmung weiterhin sehr stark ist – nicht zuletzt auch durch das auf die Tabletten gestanzte Bayer-Kreuz. Für den Chemie-Riesen eine willkommene Abwechslung, taucht der Firmenname in der internationalen Berichterstattung zuletzt doch hauptsächlich in Gerichtsverfahren um den umstrittenen Unkrautvernichter Glyphosat auf.
Ein US-Berufungsgericht hat nun womöglich einen Weg für mögliche Schadensersatzklagen gegen das Unternehmen geöffnet. Es könnte um Zahlungen in Milliardenhöhe gehen – ein Vielfaches dessen, was Aspirin-Verkäufe dem Konzern einbringen.