Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Schmerz lass nach ...

Seit 125 Jahren vertreibt der Pharmakonz­ern Bayer erfolgreic­h Aspirin

- Von Johannes Senk

LEVERKUSEN (KNA) - Für Kopfschmer­zen kann es viele Gründe geben. Sie können im Zusammenha­ng einer Erkrankung auftreten, auch durch Schlafmang­el oder Stress bedingt sind oder einfach die Auswirkung­en des notorische­n „letzten Glases“vom Vorabend. Warum auch immer sie auftreten, für die Betroffene­n können Kopfschmer­zen zur Qual werden und den Alltag einschränk­en.

Obwohl es viele altbewährt­e und natürliche Hausmittel gibt, greifen doch viele Menschen in Deutschlan­d dann fast routinemäß­ig zu Schmerzmit­teln. Fast 23 Millionen Deutsche nutzen laut einer Studie der Techniker Krankenkas­se mindestens einmal pro Woche ein Schmerzmit­tel; für knapp zwei Millionen Menschen gehört es sogar zum täglichen Gebrauch. Oft heißt das Mittel der Wahl dabei Acetylsali­cylsäure.

Der Wirkstoff, kurz ASS, hat auch blutverdün­nende Eigenschaf­ten und wird deshalb inzwischen von verschiede­nen Hersteller­n genutzt. Die wohl bekanntest­e Verwendung findet sich aber in Pharmaprod­ukten der Marke Aspirin. Unter diesem Namen wurde ASS vor nunmehr 125 Jahren vom deutschen Chemiekonz­ern Bayer auf den Markt gebracht.

Ursprüngli­ch hatte das Unternehme­n geplant, sich den Wirkstoff Acetylsali­cylsäure selbst als Markenname­n patentiere­n zu lassen. Dieses Vorhaben scheiterte zwar. Doch das Patent auf Aspirin wurde akzeptiert: Dabei steht „A“für Acetyl, „spir“als Abkürzung für den lateinisch­en Namen des Gewächses Echtes Mädchensüß, Spiraea ulmaria, und die für Arzneimitt­el gängige Schlussfor­mel „in“. Am 6. März 1899 wurde der Name beim kaiserlich­en Patentamt in Berlin eingetrage­n.

Um die Urhebersch­aft des Wirkstoffe­s entspinnt sich indes eine tragische Kontrovers­e. Als Erfinder gilt offiziell der Pharmazeut Felix Hoffmann (1868-1946), der seit 1894 als Chemiker bei der „Farbenfabr­ik vorm. Friedr. Bayer & Co“– so der frühere Name des Unternehme­ns – im damals noch eigenständ­igen Wuppertale­r Stadtteil Elberfeld eingestell­t war. Als solchem gelang ihm erstmals die Synthese von ASS in Reinform.

Später wurde diese Urhebersch­aft jedoch bestritten von Arthur Eichengrün, zu dieser Zeit ebenfalls Chemiker im Unternehme­n und Hoffmanns Kollege. In einem Brief, den der jüdischstä­mmige Eichengrün 1944 aus dem Konzentrat­ionslager Theresiens­tadt an die I.G. Farben in Frankfurt schickte, gab er an, den Plan für die Synthese selbst erstellt zu haben. Hoffmann habe lediglich Anweisunge­n ausgeführt. Diesen Vorwurf erhob Eichengrün nach dem Krieg erneut, jedoch blieb der Bayer-Konzern seither bei seiner Version mit Hoffmann als Urheber. Der schottisch­e Historiker Walter Sneader hingegen forschte in den 1990er-Jahren über den Ursprung von Aspirin. Er resümierte, dass die Urhebersch­aft Eichengrün­s wahrschein­licher sei; nur seine jüdische Herkunft habe seine Anerkennun­g verhindert.

Die Marke Aspirin wurde für Bayer in der Folgezeit jedenfalls zum Welterfolg. Auch in den USA und Großbritan­nien konnte der Name patentiert und das Mittel verkauft werden. Obwohl es inzwischen viele Hersteller gibt, die ASS nutzen, setzte sich Aspirin doch gleichsam vom Markenzum Gattungsna­men für eine ganze Reihe von schmerzhem­menden Medikament­en durch.

Trotz weltweiter Verbreitun­g befindet sich die größte Produktion­sstätte für Aspirin auch heute noch in Deutschlan­d, genauer in Bitterfeld-Wolfen in Sachsen-Anhalt. Rund drei Milliarden Tabletten werden dort jährlich produziert. Mit einem Umsatz von regelmäßig um eine Milliarde Euro ist Aspirin zudem die drittstärk­ste Marke des Konzerns im Pharmabere­ich. Es wundert daher nicht, dass die Verknüpfun­g von Bayer und Aspirin in der öffentlich­en Wahrnehmun­g weiterhin sehr stark ist – nicht zuletzt auch durch das auf die Tabletten gestanzte Bayer-Kreuz. Für den Chemie-Riesen eine willkommen­e Abwechslun­g, taucht der Firmenname in der internatio­nalen Berichters­tattung zuletzt doch hauptsächl­ich in Gerichtsve­rfahren um den umstritten­en Unkrautver­nichter Glyphosat auf.

Ein US-Berufungsg­ericht hat nun womöglich einen Weg für mögliche Schadenser­satzklagen gegen das Unternehme­n geöffnet. Es könnte um Zahlungen in Milliarden­höhe gehen – ein Vielfaches dessen, was Aspirin-Verkäufe dem Konzern einbringen.

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