Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Mehr Studienplätze, weniger Bewerber
Das Interesse junger Menschen an einem Lehramtsstudium sinkt rapide
STUTTGART - Sehr attraktives Gehalt, krisensicherer Arbeitsplatz, private Krankenversicherung, weit überdurchschnittliche Ruhestandsvergütung: Mit diesen Lockmitteln hat Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) jüngst für den Lehrerberuf geworben. Damit kann sie aber immer weniger junge Menschen begeistern. Studienplätze bleiben unbesetzt.
Seit Jahren geht die Zahl der Studienanfänger für Lehramt zurück. So haben deutschlandweit im Studienjahr 2022 rund 68.000 Menschen ein Lehramtsstudium aufgenommen. 2021 waren es noch etwa 70.400, ein Jahr zuvor rund 77.300, wie die Bundesregierung auf eine Anfrage der inzwischen aufgelösten Linken-Bundestagsfraktion erklärt hatte.
Was für die Republik allgemein gilt, zeigt sich an Baden-Württembergs Pädagogischen Hochschulen (PH). Um den seit Jahren grassierenden Lehrkräftemangel abzufedern, hat das Land zwar die Anzahl der Studienplätze an diesen erhöht: für das Grundschullehramt auf 1672, für das Lehramt Sekundarstufe I, das Lehrkräfte auf alle weiterführenden Schulen außer aufs Gymnasium vorbereitet, auf 1400 sowie für Sonderpädagogik auf inzwischen 695.
Parallel dazu ist das Interesse an diesen Studienplätzen gesunken, wie das Wissenschaftsministerium auf Anfrage erklärt. Für das Lehramt Grundschule sind die Bewerberzahlen von rund 13.400 im Studienjahr 2020/21 auf etwa 6900 zwei Jahre später abgesackt. Für die Sekundarstufe I sanken die Zahlen im gleichen Zeitraum von rund 6600 auf etwa 3700 und bei der Sonderpädagogik von rund 2800 auf etwa 2000. Für Universitäten, die auf das Gymnasiallehramt vorbereiten, liegen laut einer Sprecherin von Wissenschaftsministerin Petra Olschowski (Grüne) keine Statistiken vor. „Relevant ist am Ende nicht die Anzahl der Bewerbungen, sondern, ob die vorhandenen Plätze besetzt werden“, betont sie.
Für die Lehrämter Grundschule und Sonderpädagogik seien zuletzt weiter alle Studienplätze besetzt worden. Anders sehe es beim Lehramt für die Sekundarstufe I aus, so Olschowskis Sprecherin. „Im Studienjahr 2022/23 gab es nur 1195 Studienanfängerinnen und Studienanfänger“– trotz der rund 3700 Bewerbungen. Das heißt: 232 Plätze blieben offen. Den Real-, Werkreal-, Haupt- und Gemeinschaftsschulen werden entsprechend Nachwuchskräfte in einigen Jahren fehlen.
Kein neues Phänomen, erklärt Claudia Vorst. Die Rektorin der PH Schwäbisch Gmünd ist auch Vizevorsitzende der Landesrektorenkonferenz der Pädagogischen Hochschulen. „Dass Studienplätze aktuell vor allem bei den Studiengängen zum Lehramt Sekundarstufe I, seit vielen Jahren bereits aber auch im Beruf lichen Lehramt unbesetzt bleiben, beschäftigt die Landesrektorenkonferenz natürlich sehr“, sagt sie. Als Gründe für das sinkende Interesse speziell am Lehramt für die Sekundarstufe 1 nennt sie dessen Namen und das „diffuse Berufsbild“. Denn junge Menschen wüssten nicht, ob sie später an einer Hauptschule, Werkrealschule, Realschule oder Gemeinschaftsschule unterrichten würden. Viele entschieden sich deshalb für ein Studium an einer Universität auf Gymnasiallehramt. Wenig förderlich seien auch die anhaltenden Diskussionen über Schularten. Und: „Obwohl das Lehramt einer der schönsten und sinnstiftendsten Berufe überhaupt ist, hat die Arbeitsbelastung, beziehungsweise die Belastung mit qualifikationsfremden und unterrichtsfernen Zusatzaufgaben fraglos zugenommen, worunter die Attraktivität des Lehrerberufs leidet.“
Ein Sprecher von Kultusministerin Schopper verweist auf den demografischen Wandel. „Die gute Nachricht: Die Lehramtsstudiengänge sind gut ausgelastet – obwohl die Abi-Jahrgänge kleiner werden.“Im Vergleich zu 2015 habe es zuletzt 18 Prozent weniger Abiturienten gegeben und damit weniger Studienanfänger. Das erlebt auch ein Mitglied des Vereins Kreidestaub, in dem sich Lehramtsstudenten für bessere Bedingungen in der Ausbildung und im Job einsetzen. Die Frau hat an der Universität Konstanz Deutsch und Gemeinschaftskunde studiert und absolviert gerade ihr Referendariat – deshalb möchte sie ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. „In allen Studiengängen sind die Bewerberzahlen eingebrochen“, berichtet sie von der
Uni Konstanz. Als positiv am späteren Lehrerberuf nennt sie die Freiheiten in der späteren Unterrichtsgestaltung sowie den Beamtenstatus. „In unserer schnelllebigen Zeit suchen die Menschen explizit eher nach Sicherheit“, sagt sie. Manche schrecke vielleicht ab, dass der Beruf im Vergleich zu früher nicht mehr so klar umrissen sei. „Ich könnte mir auch vorstellen, dass manche von dem recht verkrusteten System Schule abgeschreckt sind im Vergleich zur Wirtschaft.“Diese locke mit mehr Flexibilität, Homeoffice und Teilzeit, die für Lehrer jüngst eingeschränkt wurde.
Wie angespannt die Lage ist, zeigen neue Zahlen aus dem Kultusministerium. Für das kommende Schuljahr muss Schopper 5100 Lehrerstellen besetzen. Das sind zwar immerhin 400 weniger als im Vorjahr, der Lehrkräftemangel bleibt aber weiter das wohl drängendste Problem der Schulen. Deshalb sollen zum einen mehr Quereinsteiger aushelfen. Bisher gab es schon den Direkteinstieg an beruf lichen Schulen, Grundschulen, Sekundarstufe I und für manche Tätigkeiten an Sonderschulen. An letzteren wird ab April der Einsatz ausgeweitet, neu gesucht werden zudem Direkteinsteiger an Gymnasien für MINT-Fächer und Kunst. Für den Direkteinstieg seien 900 Stellen im Angebot, Quereinsteiger erhalten laut Ministerium zwei Jahre lang eine pädagogische Qualifizierung und können nach einem Jahr unbefristet angestellt oder verbeamtet werden.
Zum anderen wollen die beiden zuständigen Ministerien mit Werbekampagnen wieder mehr junge Menschen für ein Lehramtsstudium begeistern und Quereinsteiger anlocken. Mit Erfolg, wie Wissenschaftsund Kultusministerium betonen. Viel Kritik von Lehrkräften erntete Schopper vergangenes Jahr für ein Plakat am Stuttgarter Flughafen mit der Aufschrift: „Gelandet und gar keinen Bock auf Arbeit morgen? Hurra! Mach, was dir Spaß macht und werde Lehrer“. Das Plakat wurde später abgeändert. Nun ist Teil zwei der Kampagne gestartet.
„Kampagnen sind aus meiner Sicht eher der falsche Weg“, sagt die Referendarin aus Konstanz. Stattdessen sollte der Job attraktiver werden – etwa die Flexibilität bei der Teilzeit zu erhalten und mehr Unterstützung an die Schulen zu bringen, „damit Lehrer sich auf Kinder fokussieren können“. „Wir arbeiten daran, die Rahmenbedingungen für Lehrerinnen und Lehrer zu verbessern“, entgegnet Schoppers Sprecher.