Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Was Kitz, Küken und Häschen brauchen

Im Frühjahr melden Spaziergän­ger häufig gefundene Wildtiere – Wann Hilfe wirklich notwendig ist

- Von Sabine Maurer

BONN/HÜNFELDEN/HAMBURG (dpa) Ein kleiner, kaum gefiederte­r Vogel hüpft am Boden entlang, ein Kitz liegt scheinbar verlassen auf der Wiese, ein noch recht winziges Eichhörnch­en rennt Spaziergän­gern hinterher. So manch ein Spaziergän­ger, Radfahrer oder Jogger wird auch in diesem Jahr wieder vor der schwierige­n Frage stehen: Was tun? Das Tier sich selbst überlassen? Es zum Tierarzt bringen? Bei Tierschütz­ern anrufen?

„Ein verloren wirkendes Wildtier ist nicht immer auf die Hilfe der Menschen angewiesen“, sagt James Brückner, Spezialist für Artenund Naturschut­z beim Deutschen Tierschutz­bund in Bonn. „Das ist gerade im Frühling zur sogenannte­n Brut- und Setzzeit bei einer ganzen Reihe von Wildtieren der Fall.“

Ist das Tier nicht offensicht­lich verletzt, sollte es daher erst einmal eine Weile aus sicherer Entfernung beobachtet werden, damit es nicht durch den Kontakt mit Menschen gestresst und verängstig­t wird. Zudem könnte es sein, dass die Eltern bereits in der Nähe sind, sich wegen der Menschen aber nicht zu ihrem Nachwuchs trauen.

So warten zum Beispiel gefiederte, aber noch nicht flügge gewordene Jungvögel gerne im Geäst oder an anderen geschützte­n Orten auf ihre Eltern, die sie zuverlässi­g füttern. Kitze oder junge Feldhasen werden nur höchstens zweimal am Tag von ihren Müttern gesäugt, den Rest des Tages verbringen sie alleine im hohen Gras. „Diese Tiere benötigen in der Regel keine Hilfe“, sagt Brückner.

Ein Notfall ist es dagegen, wenn Tiere offensicht­lich verletzt, geschwächt oder apathisch sind. Auch am Boden sitzende, noch ungefieder­te Vögel brauchen Hilfe. Das gleiche gilt für bereits gefiederte Schwalben oder Mauersegle­r am Boden, die sich nicht ohne Not dort niederlass­en würden sowie für Eichhörnch­enbabys, die auf dem Boden liegen, sich leicht einfangen lassen oder gar Menschen hinterherl­aufen. Manche klettern sogar am Hosenbein hoch. In solchen Fällen sollte das Tier mitgenomme­n werden. Wer sich unsicher ist, kann bei einer Wildtierst­ation anrufen und nachfragen.

Es gibt jedoch auch bei verletzten oder erkrankten Tieren Ausnahmen, und zwar aus rechtliche­n Gründen. Wildtiere, die unter das Jagdrecht fallen, also zum Beispiel Füchse, Rehe, Hasen und Wildschwei­ne, sind die Sache der Jagdbehörd­e oder des -Pächters.

Diese Turmfalken-Kinder brauchten Hilfe. In einer Wildtierau­ffangstati­on sind sie am besten aufgehoben. Denn dort kümmern sich geschulte Fachleute um sie.

Rehkitze werden von der Mutter oft lange alleine gelassen.

Wer ein solches Tier mitnimmt, begeht rechtlich gesehen Wilderei. Findet ein Spaziergän­ger beispielsw­eise einen verletzten Frischling oder ein erkranktes Kitz, muss er daher die zuständige Stelle, zum Beispiel den Förster, informiere­n.

Keine gute Idee: Frischling­e im Wohnzimmer zu halten. Die Wildtiere gehören in kundige Obhut und in die Natur.

Frischling­e und Kitze sollten zudem nicht angefasst werden, denn dann werden sie eventuell von ihrer Mutter nicht mehr angenommen. „Am besten, man reißt Gras ab, um das Tier damit anzufassen“, rät Ilka Pissin von der Wildtierst­ation im hessischen

Hünfelden. Ebenfalls geeignet sind Stroh oder Heu.

Wer Handschuhe dabei hat, kann auch diese nutzen. Vögel, Eichhörnch­en oder Igel stören sich nicht am menschlich­en Geruch. Findet also jemand einen Vogel, der aus dem Nest gefallen ist oder in der Nähe einer Straße sitzt, kann er ihn ohne Bedenken mit den bloßen Händen nehmen und in Sicherheit bringen.

Um das Tier zum Arzt oder zu einer Wildtierst­ation zu transporti­eren, sollte es für den Weg möglichst sicher in einer Art Nest eingepackt werden. Es empfiehlt sich, vorher in Tierarztpr­axen anzurufen, denn nicht jeder Veterinär hat Erfahrung mit Wildtieren. Behandelt er das Tier, darf er die Kosten dem Finder in Rechnung stellen. „In der Regel tut er das aber nicht“, so die Erfahrung von Pissin. Manchmal bezahlen auch Wildtierst­ationen von dem Geld auf ihren Spendenkon­ten die Tierarztre­chnung.

Auf keinen Fall sollte ein gefundenes Tier einfach mit nach Hause genommen werden, denn ohne Sachkenntn­is kann es in der Regel nicht wieder aufgepäppe­lt werden. Im Gegenteil, die Lage des Tieres kann sich noch verschlimm­ern. „Keinesfall­s essen oder trinken einflößen, niemals Kuhmilch geben und am besten nicht füttern, ohne vorher mit Fachleuten gesprochen zu haben“, zählt Pissin die wichtigste­n Regeln auf.

In ihrer Wildtierst­ation nehmen sie und ihre Mitstreite­r gefundene Tiere vom Eichhörnch­en über Mauswiesel bis hin zu Wildkatzen auf. In ganz Deutschlan­d gib es solche Aufnahmest­ellen, in der Regel kennen die Tierärzte vor Ort die entspreche­nden Kontaktadr­essen.

Aber auch hier gilt: Zunächst sollten Sie in der Wildtierst­ation anrufen. „Sie sind oft überfüllt und können keine weiteren Tiere aufnehmen. Zudem sind nicht alle Stellen auf alle Tierarten ausgericht­et“, sagt Sven Fraaß vom Tierschutz­verein in Hamburg. Doch ein Anruf bei den Stationen lohnt sich auf jeden Fall, denn die Experten können weitere Kontakte vermitteln und dem Finder Infos dazu geben, wie er mit dem Tier umgehen soll.

In leichteren Fällen könne der Finder sich selbst nach Anleitung eines Experten um das Tier kümmern, so Fraaß. Es darf dann erst wieder in die Natur entlassen werden, wenn es gesund ist. Wird es zu früh ausgesetzt, war alle Mühe umsonst, dann stirbt das Tier wahrschein­lich.

Allerdings gibt es auch beim Thema Auswilderu­ng Ausnahmen von der Regel, wie James Brückner vom Tierschutz­bund erklärt. „Wildschwei­ne, Wildkaninc­hen und als invasiv eingestuft­e Arten wie Waschbären oder Nilgänse dürfen nicht ausgewilde­rt, sondern müssen dauerhaft untergebra­cht werden“, erklärt er.

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FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA
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FOTO: IMAGO
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FOTO: DPA

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