Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Frauen gründen ihr Geschäft anders
Weniger Umsatz, weniger Mitarbeiter: Deshalb sollten Selbstständige sich mehr zutrauen
TETTNANG/MECKENBEUREN - Dass sich Cindy Wolf und Alexandra Strauß selbstständig gemacht und ihr eigenes Geschäft gegründet haben, hatte in beiden Fällen ganz handfeste Gründe – von der Romantik einer bahnbrechenden Geschäftsidee, mit der sie viel Geld verdienen könnten, war die Entscheidung beider Frauen jedenfalls weit weg. Anlässlich des Internationalen Frauentags am 8. März schaut die SZ darauf, was es für Frauen bedeutet, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen und warum in diesem Bereich noch viel zu tun ist.
„Um Innovation zu zeigen, um die Wirtschaft voranzubringen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen und den demografischen Faktor auszugleichen: Dazu brauchen wir Frauen“, sagt Sabine Jung-Baß aus Meckenbeuren. Sie arbeitet als Coach- und Prozessberaterin und berät auch Frauen. „Es gibt ein großes Potenzial an gut ausgebildeten Frauen. Das gilt es zu heben“, stellt sie fest.
Denn die Zahlen sind eindeutig: Frauen machen 51 Prozent der Bevölkerung aus, in Deutschland legen sogar mehr Frauen als Männer das Abitur ab. Doch danach geht die Schere auseinander. Frauen studieren seltener Fächer, die für Unternehmensgründungen besonders relevant sind. Bei allen in Deutschland gegründeten Startups waren 2022 nur noch 20 Prozent Frauen am Start, die deutliche Mehrheit von ihnen sogar als Sologründerinnen. Das hat der „Female Founders Monitor“des Start-up-Verbands untersucht.
Es hat konkrete Folgen, dass die Gründerinnen allein in den Ring steigen. Sie beschäftigen weniger Mitarbeiter, erzeugen weniger Umsatz, haben schlechteren Zugang zu Investitionskapital und werden dann bei Investmententscheidungen kritischer hinterfragt als männliche Gründer. Die klassischen Herausforderungen sind zudem altbekannt. Da Frauen mehr und häufiger Familienund Carearbeit leisten, fehlt ihnen das Arbeitszeitvolumen. Sie machen sich oft in Branchen mit den Schwerpunkten Konsumgüter, Lebensmittel oder im sozialen Bereich selbstständig. Damit lassen sich meist keine Reichtümer verdienen.
Alexandra Strauß aus Tettnang arbeitet im Hauptberuf in einem Industriebetrieb als Teamassistenz. Möbelupcycling war zunächst ein Hobby, doch in der Corona-Zeit professionalisierte sie sich und baute einen Kundenstamm auf. „Es war reine Gefühlssache, meinen eigenen Betrieb zu gründen“, erzählt die 29-Jährige. Ihr Business soll als Ergänzung zum Haupterwerb weiterhin nebenherlaufen. Ihre Werkstatt betreibt sie in einer Garage. Kapital braucht sie nicht viel. Der Aspekt der Nachhaltigkeit steht bei Alexandra Strauß im Fokus. „Ich glaube, Frauen machen so etwas aus einer Intention heraus, eher jedenfalls als aus finanziellen Erwägungen“, sagt Strauß. Dennoch ergab sich auch die Notwendigkeit, dass sie ihr Hobby aus steuerlichen Gründen auf feste Füße stellen musste.
Bei Cindy Wolf aus Meckenbeuren lagen die Gründe anders. Als Fotografin arbeitete sie schon länger im Nebenerwerb. Die 41Jährige hat zwei sechs und zwei Jahre alte Söhne. Ihr Mann arbeitet im Sozialberuf und schichtet. „Als Selbstständige bekomme ich Beruf und Familie besser unter einen Hut“, erzählt sie. Also entschloss sie sich zur Gründung und damit zur vollen Selbstständigkeit. Das Paar arbeitet eng zusammen. Um die Kinderbetreuung gemeinsam zu stemmen, ist eine gute Planung wichtig. Wenn die Jungs größer seien, könne sie auch wieder mehr Arbeitszeit investieren. Im Moment bleibt es aber ein Balanceakt, Kosten und Ertrag in ein sinnvolles und rentables Verhältnis zu setzen.
Sabine Jung-Baß pflegt einen langfristigen Blick auf das komplexe Thema. „Wir brauchen einen Wandel, aber das wird uns noch zwei, drei Generationen beschäftigen“, prognostiziert sie. Alle Beteiligten, Frauen wie Männer, müssten den Blickwinkel verändern, die Wahrnehmung schärfen. „Wir brauchen mehr Frauen in den Gremien, mehr Frauen als Entscheiderinnen, damit Prozesse in Gang kommen“, stellt sie fest. Für Männer sei es oft gar nicht notwendig, umzudenken, ihre noch immer patriarchal strukturierte Welt funktioniere ja. Doch auch Frauen müssten dazulernen. Sie müssten sich trauen, ihren Hut in den Ring zu werfen, und selbst dafür sorgen, dass ihr Potenzial sichtbar wird. „Das müssen wir klug und zielfokussiert angehen, nicht im Kampfmodus. Und zwar gemeinsam, damit unsere Gesellschaft gerechter wird“, so das Fazit von Sabine Jung-Baß.