Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Wellenstreik der Lokführer schlägt hohe Wellen
Arbeitsgericht erlaubt Ausstand – Forderungen nach Einschränkung des Streikrechts nehmen aber zu
FRANKFURT/BERLIN - Die Lokführergewerkschaft GDL macht mit dem angekündigten Wellenstreik ernst. Am Montagabend stellte sie den Güterverkehr auf der Schiene ein, am Dienstag frühmorgens folgte auch der Personenverkehr. Erneut kommt es für 24 Stunden zu weitreichenden Einschränkungen im Fern- und Regionalverkehr. Mit derlei kurzfristigen Ausständen will die Gewerkschaft fortfahren, bis die Bahn ein für sie akzeptables Verhandlungsangebot vorlegt. Bahnreisende und Industrie können damit erst einmal keine verlässliche Planung mehr anstellen.
Auf den letzten Drücker wollten die Arbeitgeber den Streik noch verhindern. Die Bahn stellte beim Frankfurter Arbeitsgericht einen entsprechenden Eilantrag, der jedoch am späten Montagabend abgelehnt wurde. Der Ausstand sei rechtmäßig und nicht unverhältnismäßig, sagte Richterin Stephanie Lenze. Die Bahn kündigte an, gegen den Entscheid Berufung beim Hessischen Landesarbeitsgericht einzulegen. Darüber soll laut dem Unternehmen am Dienstag entschieden werden. Ein genauer Termin stand zunächst nicht fest.
„Eine blanke Zumutung“sieht Personalvorstand Martin Seiler in Wellenstreiks. Sie seien unverhältnismäßig. „Die Unplanbarkeit des Zugverkehrs ist nicht hinnehmbar“, sagte Seiler. Bisher hatte das Unternehmen vor den Gerichten in der Regel keinen Erfolg – so auch dieses Mal.
Für den heutigen Dienstag werden Einschränkungen für Millionen Fahrgäste erwartet. Innerhalb weniger Stunden nach der Streikankündigung hat die Bahn erneut ein eingeschränktes Grundangebot im Personenverkehr organisiert. Fahrgäste der Bahn müssen sich darauf einstellen, dass den ganzen Tag über erneut nur etwa jeder fünfte Fernzug unterwegs sein wird.
Hinter den Kulissen wird derweil an Lösungsmöglichkeiten gearbeitet. Es wachsen zugleich Zweifel, ob die beiden Verhandlungsführer
noch in der Lage sind, den Konflikt zu lösen. Das Vertrauen von GDL-Chef Claus Weselsky in Zusagen seines Widersachers Seiler ist geschwunden, unter anderem nachdem das Scheitern des letzten Einigungsversuchs vorzeitig öffentlich wurde. Umgekehrt überzieht Weselsky den Bahnvorstand mit immer neuen Schmähungen.
Eine formale Schlichtung könnte der Ausweg sein. Zwar hatten zwei Moderatoren zuletzt schon einen Einigungsvorschlag erarbeitet, der unter anderem eine Arbeitszeitverkürzung von 38 auf 36 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich vorsieht. Ein zentrales Ziel der GDL ist die 35Stunden-Woche. Die Gewerkschaft lehnte den Vorschlag ab, auch weil sie mit vielen anderen
Punkten des Vorschlags nicht einverstanden war. Bei einer formalen Schlichtung durch einen oder zwei Schlichter müssten beide Seiten am Ende den Spruch der Moderatoren akzeptieren. Eine solche Vereinbarung gibt es zwischen GDL und Deutscher Bahn bisher nicht. Eine Schlichtung fordert auch Bundesverkehrsminister Volker Wissing.
Wie festgefahren die Auseinandersetzung ist, zeigte die Entwicklung am Wochenende. Die Bahn hatte die GDL zunächst zu weiteren Verhandlungen zu Wochenbeginn eingeladen. Die Gewerkschaft wollte nur weiterreden, wenn die Arbeitgeber ein neues Angebot vorlegen. Statt den Vorschlag der Moderatoren als Angebot zu formulieren, blieb Seiler im Ungefähren und ließ das
Ultimatum verstreichen. Darauf folgte prompt die neuerliche Streikankündigung.
Derweil sorgt der Arbeitskampf für heftige Debatten um das Streikrecht. Als Vorbild werden Regelungen anderer Länder genannt, etwa Italien. Dort muss im Arbeitskampf 40 Prozent des Verkehrs aufrechterhalten werden. Dabei schlagen sich auch private Bahnen auf die Seite den Branchenprimus. „Für die Infrastruktur muss es Notdienstverordnungen geben“, verlangt Mofair, der Branchenverband der Nahverkehrsunternehmen. Der Gesetzgeber müsse ein Grundangebot absichern.
Der Verband hält die 35-Stunden-Woche in der Branche angesichts des Fachkräftemangels für den falschen Weg. Dabei haben 28
Bahnen mit Weselsky die Einführung vereinbart. Diese Verträge stehen allerdings unter dem Vorbehalt, dass die Deutsche Bahn sich auch darauf einlässt. Sollte dies der Fall sein, haben die ohnehin unter geringen Erträgen leidenden Privatbahnen ein weiteres Problem. Sie haben die Tarifverträge abgeschlossen, um Streiks zu vermeiden und in der Annahme, dass der Marktführer dies keinesfalls tun wird.
Ein Machtwort der Politik schloss Wissing bereits aus. Über den Aufsichtsrat nimmt die Bundesregierung als Eigentümerin der Bahn aber sehr wohl Einfluss auf den Fortgang. Ebenso aktiv ist auf Gewerkschaftsseite der Beamtenbund (dbb), dem die GDL angehört und der die Streikkosten der Gewerkschaft mitfinanziert.