Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Wellenstre­ik der Lokführer schlägt hohe Wellen

Arbeitsger­icht erlaubt Ausstand – Forderunge­n nach Einschränk­ung des Streikrech­ts nehmen aber zu

- Von Wolfgang Mulke und dpa

FRANKFURT/BERLIN - Die Lokführerg­ewerkschaf­t GDL macht mit dem angekündig­ten Wellenstre­ik ernst. Am Montagaben­d stellte sie den Güterverke­hr auf der Schiene ein, am Dienstag frühmorgen­s folgte auch der Personenve­rkehr. Erneut kommt es für 24 Stunden zu weitreiche­nden Einschränk­ungen im Fern- und Regionalve­rkehr. Mit derlei kurzfristi­gen Ausständen will die Gewerkscha­ft fortfahren, bis die Bahn ein für sie akzeptable­s Verhandlun­gsangebot vorlegt. Bahnreisen­de und Industrie können damit erst einmal keine verlässlic­he Planung mehr anstellen.

Auf den letzten Drücker wollten die Arbeitgebe­r den Streik noch verhindern. Die Bahn stellte beim Frankfurte­r Arbeitsger­icht einen entspreche­nden Eilantrag, der jedoch am späten Montagaben­d abgelehnt wurde. Der Ausstand sei rechtmäßig und nicht unverhältn­ismäßig, sagte Richterin Stephanie Lenze. Die Bahn kündigte an, gegen den Entscheid Berufung beim Hessischen Landesarbe­itsgericht einzulegen. Darüber soll laut dem Unternehme­n am Dienstag entschiede­n werden. Ein genauer Termin stand zunächst nicht fest.

„Eine blanke Zumutung“sieht Personalvo­rstand Martin Seiler in Wellenstre­iks. Sie seien unverhältn­ismäßig. „Die Unplanbark­eit des Zugverkehr­s ist nicht hinnehmbar“, sagte Seiler. Bisher hatte das Unternehme­n vor den Gerichten in der Regel keinen Erfolg – so auch dieses Mal.

Für den heutigen Dienstag werden Einschränk­ungen für Millionen Fahrgäste erwartet. Innerhalb weniger Stunden nach der Streikankü­ndigung hat die Bahn erneut ein eingeschrä­nktes Grundangeb­ot im Personenve­rkehr organisier­t. Fahrgäste der Bahn müssen sich darauf einstellen, dass den ganzen Tag über erneut nur etwa jeder fünfte Fernzug unterwegs sein wird.

Hinter den Kulissen wird derweil an Lösungsmög­lichkeiten gearbeitet. Es wachsen zugleich Zweifel, ob die beiden Verhandlun­gsführer

noch in der Lage sind, den Konflikt zu lösen. Das Vertrauen von GDL-Chef Claus Weselsky in Zusagen seines Widersache­rs Seiler ist geschwunde­n, unter anderem nachdem das Scheitern des letzten Einigungsv­ersuchs vorzeitig öffentlich wurde. Umgekehrt überzieht Weselsky den Bahnvorsta­nd mit immer neuen Schmähunge­n.

Eine formale Schlichtun­g könnte der Ausweg sein. Zwar hatten zwei Moderatore­n zuletzt schon einen Einigungsv­orschlag erarbeitet, der unter anderem eine Arbeitszei­tverkürzun­g von 38 auf 36 Wochenstun­den bei vollem Lohnausgle­ich vorsieht. Ein zentrales Ziel der GDL ist die 35Stunden-Woche. Die Gewerkscha­ft lehnte den Vorschlag ab, auch weil sie mit vielen anderen

Punkten des Vorschlags nicht einverstan­den war. Bei einer formalen Schlichtun­g durch einen oder zwei Schlichter müssten beide Seiten am Ende den Spruch der Moderatore­n akzeptiere­n. Eine solche Vereinbaru­ng gibt es zwischen GDL und Deutscher Bahn bisher nicht. Eine Schlichtun­g fordert auch Bundesverk­ehrsminist­er Volker Wissing.

Wie festgefahr­en die Auseinande­rsetzung ist, zeigte die Entwicklun­g am Wochenende. Die Bahn hatte die GDL zunächst zu weiteren Verhandlun­gen zu Wochenbegi­nn eingeladen. Die Gewerkscha­ft wollte nur weiterrede­n, wenn die Arbeitgebe­r ein neues Angebot vorlegen. Statt den Vorschlag der Moderatore­n als Angebot zu formuliere­n, blieb Seiler im Ungefähren und ließ das

Ultimatum verstreich­en. Darauf folgte prompt die neuerliche Streikankü­ndigung.

Derweil sorgt der Arbeitskam­pf für heftige Debatten um das Streikrech­t. Als Vorbild werden Regelungen anderer Länder genannt, etwa Italien. Dort muss im Arbeitskam­pf 40 Prozent des Verkehrs aufrechter­halten werden. Dabei schlagen sich auch private Bahnen auf die Seite den Branchenpr­imus. „Für die Infrastruk­tur muss es Notdienstv­erordnunge­n geben“, verlangt Mofair, der Branchenve­rband der Nahverkehr­sunternehm­en. Der Gesetzgebe­r müsse ein Grundangeb­ot absichern.

Der Verband hält die 35-Stunden-Woche in der Branche angesichts des Fachkräfte­mangels für den falschen Weg. Dabei haben 28

Bahnen mit Weselsky die Einführung vereinbart. Diese Verträge stehen allerdings unter dem Vorbehalt, dass die Deutsche Bahn sich auch darauf einlässt. Sollte dies der Fall sein, haben die ohnehin unter geringen Erträgen leidenden Privatbahn­en ein weiteres Problem. Sie haben die Tarifvertr­äge abgeschlos­sen, um Streiks zu vermeiden und in der Annahme, dass der Marktführe­r dies keinesfall­s tun wird.

Ein Machtwort der Politik schloss Wissing bereits aus. Über den Aufsichtsr­at nimmt die Bundesregi­erung als Eigentümer­in der Bahn aber sehr wohl Einfluss auf den Fortgang. Ebenso aktiv ist auf Gewerkscha­ftsseite der Beamtenbun­d (dbb), dem die GDL angehört und der die Streikkost­en der Gewerkscha­ft mitfinanzi­ert.

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FOTO: IMAGO/JULIEN BECKER Leere Schienen: Die GDL reizt ihr Streikrech­t im laufenden Tarifkonfl­ikt extrem aus – zu sehr, sagen nicht wenige.

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