Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Taurus dominiert Scholz’ Befragung
Wortgefecht im Bundestag – Kanzler wirft Union Verbreitung von „Halbwahrheiten vor“
BERLIN - Es war nichts anderes zu erwarten: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bleibt bei seinem Nein zur Lieferung von TaurusMarschflugkörpern an die Ukraine. Warum genau? In dieser Frage brachte auch die Befragung des Kanzlers im Bundestag keine wesentlich neuen Erkenntnisse. Scholz betonte: Für ihn sei es ausgeschlossen, „bei weitreichenden Waffensystemen solche zu liefern, die nur sinnvoll geliefert werden können, wenn sie auch mit dem Einsatz deutscher Soldaten auch außerhalb der Ukraine verbunden wären“. Das sei eine Grenze, „die ich als Kanzler nicht überschreiten will“, sagte er. Der Taurus hat eine Reichweite von 500 Kilometern – und könnte von der Ukraine aus auch die russische Hauptstadt Moskau erreichen.
Regierungsbefragungen im Bundestag können mitunter dröge sein. Nicht so am Mittwoch, als sich Scholz zum ersten Mal in diesem Jahr den Fragen der Abgeordneten stellte. Von vornherein war klar, dass die Unionsfraktion diese Gelegenheit nutzen würde, den Kanzler ganz genau zu fragen, wie er sein Nein zur Lieferung von Taurus an die Ukraine erklärt. Scholz selbst hatte dazu in den vergangenen Tagen, Wochen und Monaten die Vorlage geliefert. Zunächst hatte er seine Absage damit begründet, dass deutsche Soldaten notwendig seien, um die Marschf lugkörper in der Ukraine einsetzen zu können. Dass dies nicht der Fall ist, war unter anderem durch das abgehörte Gespräch von vier Bundeswehr-Offizieren publik geworden.
Inzwischen sagt Scholz: Es bräuchte Bundeswehrsoldaten – in Deutschland oder in der Ukraine –, um die Kontrolle bei der Zielsteuerung zu behalten. Das kommt allerdings für ihn nicht infrage, weil das aus seiner Sicht eine Verwicklung in den Krieg bedeuten könnte. An die Fraktionen im Bundestag gerichtet sagte er: „Besonnenheit ist nicht etwas, was man als Schwäche qualifizieren kann, wie einige das tun, sondern Besonnenheit ist das, worauf die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land einen Anspruch haben.“Er habe als Kanzler einen Eid darauf geleistet, die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu garantieren.
Für die Union sind all diese Argumente nicht überzeugend. CDU und CSU werten die Absage des Kanzlers vielmehr als „Misstrauensbeweis“
an die Ukraine. „Was bewegt Sie eigentlich, diesem tapferen Volk, dieser Armee so zu misstrauen“, fragte der CDU-Verteidigungspolitiker Johann Wadephul den Kanzler. Der Außenexperte Norbert Röttgen (CDU) ging noch einen Schritt weiter: „Sie spielen nicht mit klaren Karten. Und Sie zielen darauf ab, die Öffentlichkeit in dieser Frage zu täuschen – in einer Frage der europäischen und nationalen Sicherheit“, warf er Scholz in einem direkten Wortgefecht vor. Der Kanzler hatte ihm seinerseits zuvor unterstellt „mit Halbwahrheiten“öffentliche Kommunikation zu betreiben.
Diesen Vorwurf müsste Scholz allerdings auch gegen Mitglieder seiner eigenen Regierungskoalition erheben – insbesondere in den Reihen der Grünen und der FDP. Anton Hofreiter, Vorsitzender des Europa-Ausschusses im Bundestag, hatte in einem gemeinsamen Gastbeitrag mit Röttgen für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“dem Kanzler in der TaurusFrage eine „dramatisch schlechte Kommunikation“vorgeworfen.
Zudem unterzeichneten mehr als ein Dutzend Grünen-Bundestagsabgeordnete laut einem Bericht des Portals „The Pioneer“eine gemeinsame Erklärung mit der Forderung „die Ukraine in jenen Fähigkeiten zu stärken, die Angriffe auf militärische Ziele wie Munitionsdepots, Versorgungsrouten und Kommandoposten weiter hinter den Frontlinien ermöglichen“. Auch der Name von Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt findet sich demnach unter der Erklärung.
Die Union wiederum will am Donnerstag mit einem weiteren Antrag im Bundestag, in dem die Lieferung von Taurus an die Ukraine gefordert wird, den Druck auf den Kanzler erhöhen. Zuletzt hatte die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann für einen entsprechenden Vorstoß der Opposition gestimmt. Die Grünen rechnen allerdings nicht mit Abweichlern in den eigenen Reihen. Allen sei bewusst, dass der Antrag der Unionsfraktion „rein innenpolitisch motiviert“sei“, sagte Irene Mihalic, Erste Parlamentarische
Geschäftsführerin der Fraktion, am Mittwoch in Berlin. „Wir haben allen unseren Abgeordneten dazu geraten, dieser Finte nicht auf den Leim zu gehen.“
Auch das Verhältnis zu Frankreich kam bei der Befragung des Bundeskanzlers im Bundestag zur Sprache. Scholz machte klar, dass für ihn alles in bester Ordnung ist. Die Zusammenarbeit mit Frankreich sei, anders als von der Union unterstellt, „sehr intensiv“. „Emmanuel und ich werden uns am Freitag wieder in Berlin treffen“, betonte er. Und selbst wenn es unterschiedliche Meinungen in einzelnen Fragen geben sollte, könnte daraus „etwas Gemeinsames als Vorschlag auch für die Zukunft Europas“entwickelt werden. Frankreich liefert wie Großbritannien und die USA bereits dem Taurus vergleichbare Marschflugkörper an die Ukraine, allerdings unterscheiden sich die Waffensysteme in ihrer Reichweite. Die ukrainische Regierung bemüht sich seit Monaten um eine Zusage für die Marschf lugkörper aus Deutschland.