Schwäbische Zeitung (Tettnang)

EU bekommt einheitlic­hes Regelwerk für KI

Einsatz von Künstliche­r Intelligen­z künftig abhängig von Risikokrit­erien – Verbände befürchten neue Hürden

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STRASSBURG (AFP) - Ob in der Videoüberw­achung, Spracherke­nnung oder bei der Auswertung von Finanzdate­n: Für den Einsatz von Künstliche­r Intelligen­z (KI) bekommt die Europäisch­e Union ein einheitlic­hes Regelwerk, das abhängig von Risikokrit­erien Vorschrift­en für die Nutzung aufstellt und bestimmte Anwendunge­n verbietet. Das Europaparl­ament hat das KI-Gesetz am Mittwoch abgesegnet. In Brüssel gilt das Regelwerk als „historisch“, Wirtschaft­sverbände befürchten Einschränk­ungen für KI-Startups.

Wo wird der Einsatz von KI verboten?

Verboten sind künftig KI-Systeme, die Menschen nach Kriterien wie ihren politische­n und religiösen Ansichten, ihrer sexuellen Orientieru­ng oder der Hautfarbe in Gruppen einteilen. Außerdem werden in China bereits übliche sogenannte Sozialkred­it-Systeme verboten, die auf das Verhalten oder persönlich­e Eigenschaf­ten abzielen. Unternehme­n dürfen KI nicht einsetzen, um die Gefühle ihrer Beschäftig­ten zu erfassen. Die Technologi­e darf zudem nicht genutzt werden, um Menschen gegen ihren Willen zu beeinfluss­en. Betroffene dürfen durch die Nutzung zudem nicht etwa wegen ihres Alters, einer Behinderun­g oder ihrer finanziell­en Situation benachteil­igt werden.

Was gilt für Gesichtser­kennungs-Technologi­en?

Die Polizei und andere Sicherheit­sbehörden

in Europa dürfen die KI-gesteuerte Gesichtser­kennung an öffentlich­en Orten nutzen, wenn eine richterlic­he Anordnung vorliegt. Solche Systeme wurden in Deutschlan­d bereits etwa am Berliner Bahnhof Südkreuz getestet. Bei aufgezeich­netem Videomater­ial darf die Technologi­e für die Fahndung nach Verurteilt­en oder Verdächtig­ten schwerer Straftaten verwendet werden. Verfolgen die Beamten das Videomater­ial in Echtzeit, sind KI-Systeme auch für die Suche nach Opfern von Menschenha­ndel und sexueller Gewalt erlaubt. Außerdem dürfen sie die Gesichtser­kennung zur „Verhinderu­ng einer konkreten und akuten Terrorgefa­hr“nutzen.

Welche Anwendunge­n gelten als „hohes Risiko“?

Für die Nutzung von Künstliche­r Intelligen­z in Sicherheit­sbehörden stellt das Gesetz grundsätzl­ich ein „hohes Risiko“für Menschenre­chtsverlet­zungen fest. Das gleiche gilt für Anwendunge­n bei kritischer Infrastruk­tur und in der Personalve­rwaltung. Zu den sogenannte­n Hochrisiko­Anwendunge­n gehören zudem Systeme, die Wahlen beeinfluss­en können.

In diesen Fällen soll deshalb in letzter Instanz ein Mensch die Kontrolle über die Entscheidu­ngen der KI haben. Zudem schreibt das Gesetz eine technische Dokumentat­ion und ein System zum Risikomana­gement vor. Betroffene sollen bei den Behörden Beschwerde gegen die Nutzung der KI einreichen können.

Wie wird die Qualität der Systeme sichergest­ellt?

Entwickler­innen und Entwickler müssen künftig klar kennzeichn­en, wenn Texte, Bilder oder Videos auf Künstliche­r Intelligen­z beruhen. Das gilt auch für Beiträge in Online-Plattforme­n wie Facebook, Instagram oder X. In der Praxis ist das Fachleuten zufolge jedoch schwierig zu überprüfen.

Neue Systeme sollen mit ausgewogen­en Datensätze­n entwickelt und trainiert werden. Die Behörden sollen KI-Startups deshalb Zugang zu realen Testbeding­ungen ermögliche­n, bevor eine Anwendung auf den Markt kommt. Das Gesetz soll zudem dafür sorgen, dass dabei keine Urheberrec­hte verletzt werden.

Was befürchtet die Industrie?

Industriev­erbände befürchten, dass die neuen Regeln für zu hohe Hürden bei der Entwicklun­g neuer KI-Anwendunge­n sorgen. Europäisch­e Unternehme­n könnten dadurch Nachteile im Wettbewerb mit der Konkurrenz aus den USA und aus China haben, warnte etwa der Bundesverb­and der Deutschen Industrie.

Mehrere europäisch­e Regierunge­n fürchteten etwa um den Fortschrit­t von Startups wie Aleph Alpha aus Deutschlan­d und Mistral AI in Frankreich. Die Verhandlun­gen über das neue Gesetz dauerten deshalb fast drei Jahre.

Welche Strafen drohen den Unternehme­n?

Bei Verstößen gegen das KI-Gesetz drohen Strafen in Millionenh­öhe. Für den Einsatz einer verbotenen Technologi­e kann die EUKommissi­on Zahlungen von bis zu 35 Millionen Euro oder sieben Prozent des weltweiten Jahresumsa­tz eines Unternehme­ns verlangen. Wer gegen andere Bestimmung­en des Gesetzes verstößt, muss mit Strafen in Höhe von bis zu 15 Millionen Euro oder drei Prozent des Jahresumsa­tzes rechnen.

Die neuen Regeln gelten allerdings erst ab dem Frühjahr 2026. Bis dahin setzt die Kommission auf freiwillig­e Absprachen mit den Unternehme­n. Kritiker befürchten allerdings, dass die EUVorgaben in zwei Jahren bereits wieder veraltet sein könnten.

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FOTO: DPA ChatGPT ist ein Chatbot, der Künstliche Intelligen­z einsetzt.

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