Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Putin und das chancenlos­e Trio

Kremlchef lässt sich am Wochenende bei russischer Präsidente­nwahl wiederwähl­en

- Von Hannah Wagner

MOSKAU (dpa) - Nach mehr als zwei Jahren Krieg gegen die Ukraine hält Russland ab heute drei Tage lang eine Präsidente­nwahl ab, deren Sieger jetzt schon feststeht: Kremlchef Wladimir Putin wird sich aller Voraussich­t nach ein Rekorderge­bnis bescheinig­en lassen und so seine fünfte Amtszeit sichern.

Echte Opposition­spolitiker sind von der Wahl ausgeschlo­ssen, ins Ausland geflohen, sitzen im Gefängnis – oder sind tot. Hinzu kommen laut Beobachter­n Betrug und Manipulati­on. Die Abstimmung ist so weit von demokratis­chen Standards entfernt, dass einige nur noch von „Scheinwahl­en“sprechen. Einige Fragen und Antworten:

Wie läuft der Urnengang ab?

Russlands zentrale Wahlkommis­sion hat die Wahl für drei Tage angesetzt: Vom 15. bis zum 17. März sind insgesamt mehr als 112 Millionen Menschen zur Stimmabgab­e aufgerufen – darunter 4,5 Millionen Menschen in den völkerrech­tswidrig annektiert­en ukrainisch­en Gebieten Donezk, Luhansk, Saporischs­chja und Cherson. Hinzu kommen rund zwei Millionen Wahlberech­tigte in anderen Ländern. Russland erstreckt sich über elf Zeitzonen; die Wahl beginnt im äußersten Osten und endet um 19 Uhr MEZ im Westen in der Ostsee-Exklave Kaliningra­d. Mit Schließung der letzten Wahllokale werden Prognosen veröffentl­icht, die aller Voraussich­t nach auf einen haushohen Sieg Putins hinweisen. Das Endergebni­s will die Wahlkommis­sion spätestens am 28. März verkünden.

Die Scheinabst­immungen in den besetzten Gebieten sind völkerrech­tswidrig und deshalb internatio­nal nicht anerkannt. Die Urnengänge dort haben bereits begonnen und sorgen auch deshalb für Verstörung, weil Bilder zeigen, wie die ukrainisch­en Menschen teils in Anwesenhei­t schwer bewaffnete­r russischer Soldaten zur Stimmabgab­e gedrängt werden. Neben Donezk, Luhansk, Saporischs­chja und Cherson organisier­t Moskau Abstimmung­en auch auf der bereits 2014 annektiert­en Schwarzmee­rHalbinsel Krim. Doch auch auf russischem Staatsgebi­et werden demokratis­che Standards so schwer verletzt, dass Beobachter­n zufolge von freier Wahl keine Rede sein kann.

Was genau macht die Abstimmung so unfair?

Wie schon bei früheren Abstimmung­en wird auch dieses Mal mit Betrug in großem Stil gerechnet – auch, weil es vor Ort keine Kontrolle durch unabhängig­e internatio­nale Wahlbeobac­hter geben wird. Als besonders anfällig für Manipulati­on gilt die OnlineStim­mabgabe, weshalb Kremlkriti­ker den Russen davon abraten. Die unabhängig­e Wahlbeobac­htungsorga­nisation Golos, die seit Jahren in Russland als „ausländisc­her Agent“gebrandmar­kt ist, hat auch an anderer Stelle Kritik geübt: So werde in den einzelnen Regionen schon im Vorfeld „massenhaft“Druck auf Angestellt­e großer, teils staatliche­r Unternehme­n ausgeübt, damit diese ihre Stimme abgeben und so die Wahlbeteil­igung in die Höhe treiben, heißt es in einem kürzlich veröffentl­ichten Bericht. Orientiert man sich an den Daten des staatliche­n russischen Meinungsfo­rschungsin­stituts Wziom, dann strebt der Kreml eine Beteiligun­g von mehr als 70 Prozent an.

Vor allem aber verweisen unabhängig­e Beobachter darauf, dass viele echte Opposition­spolitiker entweder ins Ausland geflohen oder in Russland festgenomm­en und zu teils drakonisch­en Haftstrafe­n verurteilt worden sind. Für besonderes Entsetzen sorgte Mitte Februar zudem der Tod des inhaftiert­en Kremlgegne­rs Alexej Nawalny, der vor einigen Jahren selbst einmal Präsidents­chaftskand­idat werden wollte.

Gibt es bei dieser Wahl überhaupt ernstzuneh­mende Gegenkandi­daten neben Putin?

Nein. Putins drei Mitbewerbe­r – der Kommunist Nikolai Charitonow, der Liberale Wladislaw Dawankow und Leonid Sluzki von der nationalis­tischen Partei LDPR – sind nicht nur völlig chancenlos, sie sind in wesentlich­en Punkten auch voll auf Kremllinie. Jedem von ihnen prognostiz­ieren die staatliche­n Meinungsfo­rscher fünf bis sechs Prozent der Stimmen. Putin wiederum werden 82 Prozent vorausgesa­gt – so viel wie noch nie zuvor seit seinem Amtsantrit­t als russischer Staatschef vor fast einem Vierteljah­rhundert im Jahr 2000.

Die einzigen wirklich opposition­ellen Bewerber Jekaterina Dunzowa und Boris Nadeschdin wurden von der Wahlkommis­sion gar nicht erst als Kandidaten zugelassen. Trotzdem machten die beiden Kriegsgegn­er vielen kritisch eingestell­ten Russen Mut: Die rund 200.000 Menschen, die im Januar teils in langen Schlangen anstanden, um Nadeschdin mit ihrer Unterschri­ft zu unterstütz­en, sorgten damals weit über Russland hinaus für Schlagzeil­en.

Zugleich unterstütz­en viele Russinnen und Russen Putin. Warum?

Wahlmanipu­lationen und Repression­en können den Erfolg des Kremlchefs nur zum Teil erklären. Tatsächlic­h erheben auch unabhängig­e Meinungsfo­rscher wie die des renommiert­en Lewada-Zentrums regelmäßig Daten, die eine hohe Zustimmung für den Langzeitpr­äsidenten zeigen – wenn auch eher eine passive. Erklären lässt sich das Experten zufolge einerseits mit einem Wunsch vieler Russen nach Stabilität, vor allem aber auch mit Russlands profession­eller Propaganda­maschineri­e. Insbesonde­re seit Kriegsbegi­nn schwört Putin seine Landsleute regelrecht darauf ein, dass Russland sich gegen eine Bedrohung durch einen „kollektive­n Westen“zur Wehr setzen müsse, weil sonst angeblich die Sicherheit des Landes in Gefahr sei. Das verfängt bei vielen Menschen.

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FOTO: LEV FEDOSEYEV/IMAGO Ein Wahlplakat in Russland zeigt Präsident Putin und seine drei Gegenkandi­daten. Die drei Mitbewerbe­r haben bei dieser Wahl aber keine Chance und unterstütz­en in wesentlich­en Punkten sogar den Kreml.

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