Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Auf der Suche nach schädlichen Substanzen
Immer wieder gelangen organische Stoffe in die Donau, die dort nicht hingehören. In einem Forschungsprojekt versucht der Zweckverband Landeswasserversorgung in Langenau, mithilfe von Künstlicher Intelligenz das Wasser sauber zu halten.
LEIPHEIM/LANGENAU - Das Wasser ist nicht klar. Es ist leicht bräunlich, einige Müllreste treiben darin. Auf den ersten Blick ist es nur schwer vorstellbar, dass die Donau im bayerischen Leipheim das Trinkwasser für rund 1,5 Millionen Menschen im Südwesten liefert. Manches in diesem Wasser ist unsichtbar, aber potenziell gefährlich. Die Künstliche Intelligenz hilft seit ein paar Jahren, auch die unsichtbaren Stoffe in der Donau zu finden.
Dafür wird hier, in Leipheim, das Flusswasser entnommen, dann auf die württembergische Seite ins Wasserwerk nach Langenau im Alb-Donau-Kreis geleitet und dort in einem mehrstufigen Verfahren vom Zweckverband Landeswasserversorgung (LW) zu Trinkwasser aufbereitet. „Ein Teil des Trinkwassers stammt aus dem Grundwasservorkommen der Schwäbischen Alb in der Region zwischen Ulm und Heidenheim. Der andere Teil wird der Donau entnommen“, erklärt LWSprecher Bernhard Röhrle. Er öffnet das Gittertor der Entnahmestelle in Leipheim, geht Richtung Fluss und zeigt auf ein paar kleine Strudel an der Oberf läche der Donau. „Hier ziehen wir das Wasser ein.“
In der Donau landen auch Stoffe, die man nicht sehen kann und dort nicht hineingehören – denn viele Industriefirmen oder kommunale Kläranlagen leiten ihre Abwässer direkt in den Fluss. Die LW führt regelmäßig Proben durch, die im Labor in Langenau genauestens überprüft werden.
Seit ein paar Jahren unterstützt dabei ein ganz neuer Partner das Team der LW auf der Suche nach ungewollten Stoffen in der Donau: die Künstliche Intelligenz
(KI). Dafür startete bereits im April 2021 ein Projekt des Bundesforschungsministeriums, das mit knapp einer Millionen Euro gefördert wird und an dem auch die LW in Langenau teilnimmt.
Die KI hilft vor allem organische Spurenstoffe ausfindig zu machen. Das sind künstlich hergestellte chemische Verbindungen. Davon befinden sich rund 100.000 in unseren Gewässern, erklärt Röhrle. In Farben, Haushaltsreinigern, in jedem Spülmittel und Shampoo tummeln sich Tausende dieser Stoffe – viele sind unbedenklich, die meisten aber weder entdeckt noch erforscht. „Die KI hilft uns, diese Substanzen ausfindig zu machen“, sagt Röhrle. Mit einem neuen Analyseverfahren können demnach nicht nur bekannte, sondern auch bislang unbekannte Spurenstoffe in Gewässern aufgespürt werden.
Und das Projekt kann schon einen ersten Erfolg für die Donau vorweisen. „Wir haben 2021 bei Proben der Entnahmestelle in Leipheim das Antibiotikum Sulfamethoxazol entdeckt“, sagt Röhrle. „Dann haben wir uns wie Sherlock Holmes herangetastet, sind flussaufwärts gegangen und haben immer weiter nach dem Antibiotikum gesucht“, erzählt er. Am Ende war den Wasser-Detektiven klar, dass das Antibiotikum von einem Zufluss der Donau kommen muss, der Blau. Und auch der Verursacher war gefunden: Das Antibiotikum stammte von der Firma TEVA, einem Arzneimittelhersteller in Blaubeuren bei Ulm.
Nachdem die Beweislage eindeutig gewesen sei, „haben wir das Landratsamt Alb-Donau-Kreis als zuständige Aufsichtsbehörde darauf aufmerksam gemacht“, erklärt Röhrle. Bis dahin wusste TEVA nichts von dem unerwünschten Stoff in der nachgewiesenen Konzentration, den die Firma in den Fluss einleitete. Das Unternehmen reduzierte durch eine Reihe von Sofortmaßnahmen die Menge des Antibiotikums, das in die Donau gelangt ist. „Alle Beteiligten haben da einen Lösungsweg gefunden. Das war alles hochprofessionell“, sagt Röhrle. Ein „Auslaufen“des Antibiotikums in die Blau habe es sowieso nie gegeben, betont eine Sprecherin von TEVA. „Zu keinem Zeitpunkt sind Arzneimittel oder sonstige Produktionsstoffe von Teva unkontrolliert in die Blau gelangt.“
Die wasserrechtlichen Grenzwerte seien immer gesichert eingehalten worden – dies sei auch durch regelmäßige Proben des Landratsamtes bestätigt worden. Dem Unternehmen sei es aber ein Anliegen gewesen, dem Hinweis des Landratsamts nachzugehen und ein Projekt zu starten, um Spurenstoffe noch besser zu erkennen und zu minimieren.
Derzeit laufen bei TEVA Planungen zum Bau einer erweiterten Abwasserbehandlung direkt am Standort. Die Abwässer der Firma werden grundsätzlich zunächst intern aufbereitet, bevor sie durch eine kommunale Kläranlage nochmals gereinigt werden. An dem Projekt ist unter anderem die Universität Stuttgart beteiligt. „Wir werden in den nächsten Monaten Pilotanlagen zur Auswahl der finalen Reinigungstechnologie betreiben“, so die Sprecherin. Erste Versuche im Labor stellen fest, dass die Reinigungsleistung
bei 99 Prozent liegt. Diese Pilotanlagen laufen jetzt noch ungefähr ein halbes Jahr, dann wird aller Voraussicht die Anlage bei TEVA entsprechend ausgebaut und soll 2025 in Betrieb gehen.
Standortwechsel: Von der Entnahmestelle an der Donau in Leipheim geht es nach Langenau ins Labor des rund zehn Kilometer entfernten Wasserwerks. Hier untersucht Thomas Lucke als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsbereich der LW die Wasserproben der Donau – mithilfe der Künstlichen Intelligenz. „KI hat eine ganz wichtige Rolle eingenommen“, sagt der LaborExperte, „weil sich die Menschen schwer tun, die irren Datenmengen an organischen Spurenstoffen zu verarbeiten.“
Lucke zeigt zwei Graphen: Eine Wasserprobe aus der Donau, wie sie im Normalfall aussehen sollte, und eine auffällige Messung. „Hier wurde jetzt mithilfe der KI ein sogenanntes Non-TargetScreening angewandt“, erklärt Lucke. Bei diesem analytischen Verfahren werden – vereinfacht gesagt – nicht nur bekannte, sondern auch bislang unbekannte Spurenstoffe in Gewässern aufgespürt. Die Folge: Eine immense Menge an Daten, die ein Mensch allein nicht mehr auswerten kann, sondern für die man die KI braucht. Außerdem können die Messdaten so deutschlandweit verglichen werden. „Möglicherweise würde man die Auffälligkeiten auch ohne KI finden, aber man bräuchte ein Vielfaches an
Zeit“, betont Lucke. Das sei personell nicht machbar, „die Kapazitäten haben wir nicht.“
Vor allem, weil die Messgeräte heutzutage so sensitiv seien, dass auch in Bereichen Auffälligkeiten erkannt werden, die eigentlich nicht relevant sind. „Wir haben hier Befunde, die hätte man vor fünf Jahren noch gar nicht finden können“, sagt Lucke. Doch diese Messungen, bis in den Nanogrammbereich genau, haben aus Sicht Luckes eine große Wirkung für die ansässigen Unternehmen. „Ich glaube, es zeigt nach außen, dass wir unser Wasser in Langenau permanent im Griff haben.“
Doch dadurch wird das Flusswasser nicht unbedingt sauberer. Es wird nur immer deutlicher, wie viele Substanzen sich in welcher Konzentration in der Donau befinden. „Wir müssen in der Aufbereitung wirklich viele Stoffe rausbekommen, bevor unser Wasser zu Trinkwasser werden kann“, erklärt Lucke. Gerade Industrieund Haushaltschemikalien, Arznei- oder Pf lanzenschutzmittel finden sich zuhauf in der Donau.
Aber wie gefährlich sind die Stoffe? „Es ist immer etwas schwierig zu sagen, wie gesundheitsschädlich einzelne Stoffe wirken“, sagt LW-Sprecher Röhrle. Genaue Untersuchungen fehlen bei den meisten Stoffen noch. „Abgesehen vom Menschen, können die organischen Stoffe aber vor allem auf alle Flusslebewesen in der Blau und in der Donau eine Wirkung haben – und zwar keine gute, denn die Stoffe gehören einfach nicht in die Natur“, so Röhrle. Tiere und Pf lanzen seien nicht darauf abgestimmt. Vor allem für Kleinstlebewesen wie Larven oder Wasserflöhe, die den Beginn der Nahrungskette darstellen, seien Reste von Arzneimitteln oder Pestiziden
besonders problematisch. „Das kann sie schädigen oder abtöten. Wir haben schon einen massiven Artenschwund in unseren Flüssen und Bächen – das kommt auch von Stoffen, die nicht ins Wasser gehören.“Deswegen müsse die LW genau hinschauen, damit dort, wo eine Substanz erhöhte Werte aufweist, auch Gegenmaßnahmen ergriffen werden können.
Während das deutsche Forschungsministerium die KI-Analyse bundesweit mit einer Millionen Euro fördert, liegen dem Land „derzeit noch nicht genügend Erkenntnisse vor, um den Einsatz von KI-Systemen zu bewerten“, wie eine Sprecherin des baden-württembergischen Umweltministeriums auf Anfrage mitteilt. Eine Grundsatzentscheidung über eine Förderung solcher Systeme könne derzeit noch nicht getroffen werden. Dass durch die KI mehr Stoffe in der Donau nachgewiesen werden können, ist aus Sicht der LW aber eine positive Entwicklung. „Wir wollen den Menschen ja sauberes Trinkwasser anbieten“, betont Röhrle.
Bevor das Wasser von Langenau aus in 250 Städte und Gemeinden wie Aalen, Ellwangen, Stuttgart oder Ulm geleitet wird, hat es ein mehrstufiges Aufbereitungsverfahren hinter sich gebracht – und wartet zuletzt im großen Trinkwasserbecken darauf, in die Häuser der Menschen geleitet zu werden. Millionen Liter Trinkwasser lagern hier. Ein wenig erinnert das Becken an ein riesiges Schwimmbad, nur der Chlorgeruch fehlt. So also sieht das Wasser aus, das eben noch bräunlich und bestückt mit Abfall in der Donau war: kristallklar, geruchslos – und dank der KI frei von immer mehr organischen Stoffen.