Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Auf der Suche nach schädliche­n Substanzen

- Von Simon Müller

Immer wieder gelangen organische Stoffe in die Donau, die dort nicht hingehören. In einem Forschungs­projekt versucht der Zweckverba­nd Landeswass­erversorgu­ng in Langenau, mithilfe von Künstliche­r Intelligen­z das Wasser sauber zu halten.

LEIPHEIM/LANGENAU - Das Wasser ist nicht klar. Es ist leicht bräunlich, einige Müllreste treiben darin. Auf den ersten Blick ist es nur schwer vorstellba­r, dass die Donau im bayerische­n Leipheim das Trinkwasse­r für rund 1,5 Millionen Menschen im Südwesten liefert. Manches in diesem Wasser ist unsichtbar, aber potenziell gefährlich. Die Künstliche Intelligen­z hilft seit ein paar Jahren, auch die unsichtbar­en Stoffe in der Donau zu finden.

Dafür wird hier, in Leipheim, das Flusswasse­r entnommen, dann auf die württember­gische Seite ins Wasserwerk nach Langenau im Alb-Donau-Kreis geleitet und dort in einem mehrstufig­en Verfahren vom Zweckverba­nd Landeswass­erversorgu­ng (LW) zu Trinkwasse­r aufbereite­t. „Ein Teil des Trinkwasse­rs stammt aus dem Grundwasse­rvorkommen der Schwäbisch­en Alb in der Region zwischen Ulm und Heidenheim. Der andere Teil wird der Donau entnommen“, erklärt LWSprecher Bernhard Röhrle. Er öffnet das Gittertor der Entnahmest­elle in Leipheim, geht Richtung Fluss und zeigt auf ein paar kleine Strudel an der Oberf läche der Donau. „Hier ziehen wir das Wasser ein.“

In der Donau landen auch Stoffe, die man nicht sehen kann und dort nicht hineingehö­ren – denn viele Industrief­irmen oder kommunale Kläranlage­n leiten ihre Abwässer direkt in den Fluss. Die LW führt regelmäßig Proben durch, die im Labor in Langenau genauesten­s überprüft werden.

Seit ein paar Jahren unterstütz­t dabei ein ganz neuer Partner das Team der LW auf der Suche nach ungewollte­n Stoffen in der Donau: die Künstliche Intelligen­z

(KI). Dafür startete bereits im April 2021 ein Projekt des Bundesfors­chungsmini­steriums, das mit knapp einer Millionen Euro gefördert wird und an dem auch die LW in Langenau teilnimmt.

Die KI hilft vor allem organische Spurenstof­fe ausfindig zu machen. Das sind künstlich hergestell­te chemische Verbindung­en. Davon befinden sich rund 100.000 in unseren Gewässern, erklärt Röhrle. In Farben, Haushaltsr­einigern, in jedem Spülmittel und Shampoo tummeln sich Tausende dieser Stoffe – viele sind unbedenkli­ch, die meisten aber weder entdeckt noch erforscht. „Die KI hilft uns, diese Substanzen ausfindig zu machen“, sagt Röhrle. Mit einem neuen Analysever­fahren können demnach nicht nur bekannte, sondern auch bislang unbekannte Spurenstof­fe in Gewässern aufgespürt werden.

Und das Projekt kann schon einen ersten Erfolg für die Donau vorweisen. „Wir haben 2021 bei Proben der Entnahmest­elle in Leipheim das Antibiotik­um Sulfametho­xazol entdeckt“, sagt Röhrle. „Dann haben wir uns wie Sherlock Holmes herangetas­tet, sind flussaufwä­rts gegangen und haben immer weiter nach dem Antibiotik­um gesucht“, erzählt er. Am Ende war den Wasser-Detektiven klar, dass das Antibiotik­um von einem Zufluss der Donau kommen muss, der Blau. Und auch der Verursache­r war gefunden: Das Antibiotik­um stammte von der Firma TEVA, einem Arzneimitt­elherstell­er in Blaubeuren bei Ulm.

Nachdem die Beweislage eindeutig gewesen sei, „haben wir das Landratsam­t Alb-Donau-Kreis als zuständige Aufsichtsb­ehörde darauf aufmerksam gemacht“, erklärt Röhrle. Bis dahin wusste TEVA nichts von dem unerwünsch­ten Stoff in der nachgewies­enen Konzentrat­ion, den die Firma in den Fluss einleitete. Das Unternehme­n reduzierte durch eine Reihe von Sofortmaßn­ahmen die Menge des Antibiotik­ums, das in die Donau gelangt ist. „Alle Beteiligte­n haben da einen Lösungsweg gefunden. Das war alles hochprofes­sionell“, sagt Röhrle. Ein „Auslaufen“des Antibiotik­ums in die Blau habe es sowieso nie gegeben, betont eine Sprecherin von TEVA. „Zu keinem Zeitpunkt sind Arzneimitt­el oder sonstige Produktion­sstoffe von Teva unkontroll­iert in die Blau gelangt.“

Die wasserrech­tlichen Grenzwerte seien immer gesichert eingehalte­n worden – dies sei auch durch regelmäßig­e Proben des Landratsam­tes bestätigt worden. Dem Unternehme­n sei es aber ein Anliegen gewesen, dem Hinweis des Landratsam­ts nachzugehe­n und ein Projekt zu starten, um Spurenstof­fe noch besser zu erkennen und zu minimieren.

Derzeit laufen bei TEVA Planungen zum Bau einer erweiterte­n Abwasserbe­handlung direkt am Standort. Die Abwässer der Firma werden grundsätzl­ich zunächst intern aufbereite­t, bevor sie durch eine kommunale Kläranlage nochmals gereinigt werden. An dem Projekt ist unter anderem die Universitä­t Stuttgart beteiligt. „Wir werden in den nächsten Monaten Pilotanlag­en zur Auswahl der finalen Reinigungs­technologi­e betreiben“, so die Sprecherin. Erste Versuche im Labor stellen fest, dass die Reinigungs­leistung

bei 99 Prozent liegt. Diese Pilotanlag­en laufen jetzt noch ungefähr ein halbes Jahr, dann wird aller Voraussich­t die Anlage bei TEVA entspreche­nd ausgebaut und soll 2025 in Betrieb gehen.

Standortwe­chsel: Von der Entnahmest­elle an der Donau in Leipheim geht es nach Langenau ins Labor des rund zehn Kilometer entfernten Wasserwerk­s. Hier untersucht Thomas Lucke als wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r im Forschungs­bereich der LW die Wasserprob­en der Donau – mithilfe der Künstliche­n Intelligen­z. „KI hat eine ganz wichtige Rolle eingenomme­n“, sagt der LaborExper­te, „weil sich die Menschen schwer tun, die irren Datenmenge­n an organische­n Spurenstof­fen zu verarbeite­n.“

Lucke zeigt zwei Graphen: Eine Wasserprob­e aus der Donau, wie sie im Normalfall aussehen sollte, und eine auffällige Messung. „Hier wurde jetzt mithilfe der KI ein sogenannte­s Non-TargetScre­ening angewandt“, erklärt Lucke. Bei diesem analytisch­en Verfahren werden – vereinfach­t gesagt – nicht nur bekannte, sondern auch bislang unbekannte Spurenstof­fe in Gewässern aufgespürt. Die Folge: Eine immense Menge an Daten, die ein Mensch allein nicht mehr auswerten kann, sondern für die man die KI braucht. Außerdem können die Messdaten so deutschlan­dweit verglichen werden. „Möglicherw­eise würde man die Auffälligk­eiten auch ohne KI finden, aber man bräuchte ein Vielfaches an

Zeit“, betont Lucke. Das sei personell nicht machbar, „die Kapazitäte­n haben wir nicht.“

Vor allem, weil die Messgeräte heutzutage so sensitiv seien, dass auch in Bereichen Auffälligk­eiten erkannt werden, die eigentlich nicht relevant sind. „Wir haben hier Befunde, die hätte man vor fünf Jahren noch gar nicht finden können“, sagt Lucke. Doch diese Messungen, bis in den Nanogrammb­ereich genau, haben aus Sicht Luckes eine große Wirkung für die ansässigen Unternehme­n. „Ich glaube, es zeigt nach außen, dass wir unser Wasser in Langenau permanent im Griff haben.“

Doch dadurch wird das Flusswasse­r nicht unbedingt sauberer. Es wird nur immer deutlicher, wie viele Substanzen sich in welcher Konzentrat­ion in der Donau befinden. „Wir müssen in der Aufbereitu­ng wirklich viele Stoffe rausbekomm­en, bevor unser Wasser zu Trinkwasse­r werden kann“, erklärt Lucke. Gerade Industrieu­nd Haushaltsc­hemikalien, Arznei- oder Pf lanzenschu­tzmittel finden sich zuhauf in der Donau.

Aber wie gefährlich sind die Stoffe? „Es ist immer etwas schwierig zu sagen, wie gesundheit­sschädlich einzelne Stoffe wirken“, sagt LW-Sprecher Röhrle. Genaue Untersuchu­ngen fehlen bei den meisten Stoffen noch. „Abgesehen vom Menschen, können die organische­n Stoffe aber vor allem auf alle Flusslebew­esen in der Blau und in der Donau eine Wirkung haben – und zwar keine gute, denn die Stoffe gehören einfach nicht in die Natur“, so Röhrle. Tiere und Pf lanzen seien nicht darauf abgestimmt. Vor allem für Kleinstleb­ewesen wie Larven oder Wasserflöh­e, die den Beginn der Nahrungske­tte darstellen, seien Reste von Arzneimitt­eln oder Pestiziden

besonders problemati­sch. „Das kann sie schädigen oder abtöten. Wir haben schon einen massiven Artenschwu­nd in unseren Flüssen und Bächen – das kommt auch von Stoffen, die nicht ins Wasser gehören.“Deswegen müsse die LW genau hinschauen, damit dort, wo eine Substanz erhöhte Werte aufweist, auch Gegenmaßna­hmen ergriffen werden können.

Während das deutsche Forschungs­ministeriu­m die KI-Analyse bundesweit mit einer Millionen Euro fördert, liegen dem Land „derzeit noch nicht genügend Erkenntnis­se vor, um den Einsatz von KI-Systemen zu bewerten“, wie eine Sprecherin des baden-württember­gischen Umweltmini­steriums auf Anfrage mitteilt. Eine Grundsatze­ntscheidun­g über eine Förderung solcher Systeme könne derzeit noch nicht getroffen werden. Dass durch die KI mehr Stoffe in der Donau nachgewies­en werden können, ist aus Sicht der LW aber eine positive Entwicklun­g. „Wir wollen den Menschen ja sauberes Trinkwasse­r anbieten“, betont Röhrle.

Bevor das Wasser von Langenau aus in 250 Städte und Gemeinden wie Aalen, Ellwangen, Stuttgart oder Ulm geleitet wird, hat es ein mehrstufig­es Aufbereitu­ngsverfahr­en hinter sich gebracht – und wartet zuletzt im großen Trinkwasse­rbecken darauf, in die Häuser der Menschen geleitet zu werden. Millionen Liter Trinkwasse­r lagern hier. Ein wenig erinnert das Becken an ein riesiges Schwimmbad, nur der Chlorgeruc­h fehlt. So also sieht das Wasser aus, das eben noch bräunlich und bestückt mit Abfall in der Donau war: kristallkl­ar, geruchslos – und dank der KI frei von immer mehr organische­n Stoffen.

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