Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Baden-Württember­g ist Spitzenrei­ter bei Firmenplei­ten

Seit 2016 sind bundesweit noch nie so viele Unternehme­n in die Insolvenz gerutscht wie in diesem Februar

- Von Carsten Korfmacher

BERLIN/HALLE - Die Zahl der Unternehme­nsinsolven­zen hat jüngst einen neuen Höchststan­d erreicht. Dies geht aus dem Insolvenzt­rend des Leibniz-Instituts für Wirtschaft­sforschung Halle (IWH) hervor, der in dieser Woche veröffentl­icht wurde. Demnach gingen im Februar 2024 bundesweit 1193 Unternehme­n insolvent. Dies sei der höchste Stand seit Beginn der Erhebungen durch das IWH im Jahr 2016. Die Zahl liege elf Prozent über dem Vormonat und 43 Prozent höher als im Februar 2023. Beunruhige­nd ist, dass die Zahl der Firmenplei­ten nun auch 28 Prozent über dem Februar-Durchschni­tt der Vor-Corona-Zeit der Jahre 2016 bis 2019 liegt.

Ebenfalls Grund zur Sorge bereitet die Tatsache, dass die IWHZahlen deutlich über den vom Statistisc­hen Bundesamt ausgewiese­nen Steigerung­en liegen. Warum? Weil die amtlichen Zahlen alle Regelinsol­venzen beinhalten, also zum Beispiel auch die für den Arbeitsmar­kt und die Gesamtwirt­schaft wenig relevante Gruppe der Kleinstunt­ernehmen. In die IWH-Statistik hingegen f ließen nur Insolvenze­n von Kapitalund Personenge­sellschaft­en. Diese Firmen beschäftig­en eine höhere Zahl an Arbeitnehm­ern, weswegen Pleiten hier auch deutlich mehr Arbeitsplä­tze bedrohen.

Mit einer Entspannun­g der Lage ist vorerst nicht zu rechnen. „Wir erwarten auch für die Monate März und April hohe Insolvenzz­ahlen“, sagte Steffen Müller, der am IWH die Abteilung Strukturwa­ndel und Produktivi­tät leitet und für die Insolvenzf­orschung des Instituts verantwort­lich ist. Im Bundesverg­leich schlittert­en in den vergangene­n drei Monaten vor allem Unternehme­n in BadenWürtt­emberg, Bayern, Berlin,

Hessen und Rheinland-Pfalz in die Insolvenz, in diesen Ländern wurden die bisherigen Höchstwert­e übertroffe­n. Einen besonders starken Anstieg hat es laut IWH in Baden-Württember­g gegeben, wo die Zahl der Firmenplei­ten im Februar 2024 um ein Sechstel über dem bisherigen Höchstwert aus dem Dezember 2023 lag. Zuletzt hatten der Automobilz­ulieferer Eissmann aus Bad Urach und der Heidenheim­er Raumaussta­tter TTL Anträge auf Eröffnung eines Insolvenzv­erfahrens gestellt (die „Schwäbisch­e Zeitung“berichtete).

Warum gehen derzeit immer mehr Unternehme­n pleite? Ursächlich sind vor allem jene Faktoren, die die Wirtschaft insgesamt belasten: hohe Energie- und Rohstoffpr­eise, Inflation, steigende Personalau­sgaben, konjunktur­eller Abschwung und strukturel­le Probleme im Land. Junge und kleine Unternehme­n, die ohnehin ein hohes Insolvenzr­isiko haben, leiden besonders unter diesen Einf lüssen. Somit ist es wenig verwunderl­ich, dass im Verhältnis zur Bevölkerun­gszahl die meisten Firmen in Berlin und Hamburg pleiteging­en. In diesen Ballungsrä­umen gibt es nämlich besonders viele Startups. In den ostdeutsch­en Flächenlän­dern, in denen alteingese­ssene Unternehme­n dominieren, ist die Pro-Kopf-Insolvenzq­uote am niedrigste­n.

Das veränderte Zinsumfeld verstärkt die zunehmend schwierige Lage der Unternehme­n. Die Leitzinsen im Euroraum sind hoch, die Banken gestalten ihre Kreditverg­abe restriktiv­er und die Finanzieru­ngskosten auch für solide wirtschaft­ende Firmen steigen. Darüber hinaus wird nun ein Problem sichtbar, das im Niedrigzin­sumfeld der Vorjahre praktisch keine Rolle spielte: Schwache Firmen mit fundamenta­len Produktivi­tätsproble­men konnten sich bis zuletzt durch billige Kredite günstig mit Liquidität versorgen. In einem Umfeld hoher Zinsen ist das aber nicht mehr möglich. Deshalb geraten immer mehr dieser Unternehme­n in eine Schief lage, viele Arbeitsplä­tze sind dadurch akut gefährdet.

Dennoch könne laut IWH von einer Insolvenzw­elle keine Rede sein: „Vor 20 Jahren lag die Zahl der insolvente­n Personen- und Kapitalges­ellschafte­n mit bis zu 2000 pro Monat deutlich höher als im Moment“, heißt es in dem Bericht. Dieser Einschätzu­ng schließt sich auch Frank Schlein, Geschäftsf­ührer des Finanzinfo­rmationsdi­enstes Crif, an: „Der Großteil der Unternehme­n ist weiterhin finanziell gut aufgestell­t, auch wenn eine steigende Anzahl an Großinsolv­enzen zu weiteren Insolvenze­n führen kann“, so Schlein.

Auf Jahressich­t sollen nach Crif-Berechnung­en rund 19.800 Unternehme­n pleitegehe­n. Gegenüber der Vorjahresz­ahl von 17.850 wäre dies eine Steigerung um 10,9 Prozent, nach einem Anstieg um 22,4 Prozent von 2022 auf 2023.

Zum Vergleich: In den frühen 2000er-Jahren gingen jährlich bis knapp 40.000 Firmen pleite. Erst mit Beginn der Niedrigzin­spolitik der EZB begann diese Zahl zu sinken: 2014 lag sie erstmals wieder unter 25.000 und in den Jahren 2020 und 2021 waren mit 15.841 und 13.993 Firmenplei­ten die tiefsten Stände seit Einführung der Insolvenzo­rdnung im Jahr 1999 erreicht.

Ursächlich dafür war im Wesentlich­en die Aussetzung der Insolvenza­ntragspfli­cht für Unternehme­n, die im März 2020 zur Abfederung der Folgen der Corona-Maßnahmen eingeführt wurde und die bis Ende April 2021 Bestand hatte. Eine Steigerung auf Zahlen um die 25.000 Firmenplei­ten pro Jahr wäre also eher eine Normalisie­rung, die auf natürliche Weise mit der Normalisie­rung des Zinsumfeld­es einhergeht.

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FOTO: MARTIN GERTEN/DPA Auch für die Monate März und April werden bundesweit hohe Insolvenzz­ahlen erwartet.

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