Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Wenn Reifenprof­iltiefe vor Gericht landet

Manchmal geht’s im Gerichtssa­al um Mord und Totschlag, manchmal um 74 Euro

- Von Jens Lindenmüll­er

TETTNANG - Wenn die „Schwäbisch­e Zeitung“aus Gerichtssä­len berichtet, geht es zum Beispiel um Betrug, Raub, Erpressung oder Körperverl­etzung, manchmal sogar um Totschlag oder Mord. In Saal vier des Amtsgerich­ts Tettnang ging es am Freitag kurz vor Mittag um abgefahren­e Reifen und ein Bußgeld in Höhe von 74 Euro. Und um die Frage, wer eigentlich der Halter der Autos aus dem Fuhrpark des Bodensee-Airports ist.

In einem Gerichtssa­al öffentlich verhandelt werden Bußgeldbes­cheide über 74 Euro normalerwe­ise nicht. Es sei denn, der Adressat dieses Bescheids hat Einspruch eingelegt. In diesem Fall hat genau das der Geschäftsf­ührer des Häfler Flughafens getan. Denn das Auto, an dessen Reifen am 4. Mai 2023 die gesetzlich vorgeschri­ebene Mindestpro­filtiefe von 1,6 Millimeter­n um 1,3 Millimeter unterschri­tten war, gehört nicht ihm, sondern der Flughafeng­esellschaf­t. Selber genutzt hat er das Fahrzeug auch nicht. Das war ein

Mitarbeite­r. Der hat einen eigenen Bußgeldbes­cheid erhalten und die Summe längst beglichen.

Wieso also noch ein Bußgeldbes­cheid? Weil neben dem Fahrer auch der Halter belangt werden kann, wenn ein Fahrzeug sich nicht in ordnungsge­mäßem Zustand befindet, es aber trotzdem im Straßenver­kehr gefahren wird und der Halter das mindestens duldet. Aber ist der Geschäftsf­ührer eines Unternehme­ns in diesem Sinne tatsächlic­h als Halter der Unternehme­nsflotte zu betrachten? Muss Claus-Dieter Wehr persönlich an jedem Auto aus dem Fuhrpark des Flughafens regelmäßig die Profiltief­e der Reifen nachmessen?

Weil Polizei und Landratsam­t niemanden sonst ermitteln konnten, der am Flughafen als Fuhrparkle­iter zusätzlich zum jeweiligen Fahrer für den ordnungsge­mäßen Zustand der Flughafenf­ahrzeuge verantwort­lich gemacht werden könnte, ging der Bußgeldbes­cheid direkt an den Chef. Bezahlen muss er die 74 Euro letztlich aber nicht. Das Verfahren wurde eingestell­t.

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