Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Verzweifelte Suche nach einem Kinderarzt
Ulrike Laternser schließt krankheitsbedingt ihre Praxis – Aktuell kein Nachfolger in Sicht
FRIEDRICHSHAFEN - Markdorfs einzige Kinderärztin schließt aus gesundheitlichen Gründen ihre Praxis zum 31. März. Eltern telefonieren sich die Finger wund, um in einer anderen Praxis unterzukommen. Aktuell ist kein Nachfolger in Sicht, obwohl bereits eine zweite Ausschreibungsrunde läuft. Damit könnte Markdorf dauerhaft den Arztsitz für einen Kinderarzt verlieren.
Das Kind ist krank, doch zu welchem Arzt kann ich fahren? Seit Monaten werden die kleinen Patienten von Dr. Ulrike Laternser nicht mehr von der Praxisinhaberin behandelt. Seit Juli 2023 unterstützen ihre Kollegen Christoph Metzler, Gertrud BehrHeinz, Patricia Sommergruber und Anita Renz die erkrankte Ärztin und haben die Praxis in den vergangenen Monaten am Laufen gehalten.
Mitte März war dann endgültig Schluss. Eine letzte Mitarbeiterin kümmert sich bis Ende des Monats noch um die Formalitäten, die bei der Aufgabe einer Praxis anfallen, berichtet Christoph Metzler und erzählt, dass die umliegenden Praxen sich bemühen, die Versorgung aufrechtzuerhalten.
Allerdings ist für viele eine dauerhafte Aufnahme neuer Patienten kaum mehr möglich. Das zeigt zum einen der Austausch in Elterngruppen sozialer Medien als auch eine Recherche der „Schwäbischen Zeitung“(siehe Kasten).
Die nächstliegenden Praxen in Bermatingen und Kluftern sind so gut wie voll. So nimmt die Familienpraxis in Kluftern beispielsweise nur noch Familien auf, die aus dem Ort kommen, also Lipbach, Kluftern und Efrizweiler, heißt es am Telefon (Stand 11. März).
Die Stadt Markdorf und viele Familien hoffen, dass sich innerhalb der Übergabefrist, eine Arzt findet, der die Nachfolge von Ulrike Laternser antreten will. Ansonsten droht der Wegfall des Kinderarztsitzes in Markdorf. Das würde bedeuten, dass der Zulassungsausschuss, das ist ein Gremium aus Ärzten und Krankenkassenvertretern, vor Ort keine neue Kinderarztpraxis zulassen darf.
Denn „der Bodenseekreis ist aktuell für die kinderärztliche Versorgung gesperrt“, erklärt Kai Sonntag, Pressesprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW). Rein rechnerisch gibt es im Bodenseekreis also ein Überangebot an Kinderärzten – theoretisch betrachtet ist die Region drei Sitze über dem Soll.
Wie aber kann es dann sein, dass Familien aktuell so große Probleme haben, in einer Kinderarztpraxis aufgenommen zu werden? Gibt es tatsächlich ein Überangebot wie von der Kassenärztliche Vereinigung zu erfahren ist?
Christoph Metzler, der auch Sprecher der Kinderärzte im Bodenseekreis ist, beantwortet das mit einem klaren Nein. Denn die Zahl wie viele Kinderarztsitze pro 100.000 Bewohner als ausreichend angesehen werden, entstamme einer Festlegung am grünen Tisch von vor 40 Jahren.
„Das hat mit dem heutigen tatsächlichen Bedarf schon lange nichts mehr zu tun“, unterstreicht Metzler. Denn Kinderärzte von heute seien mit deutlich mehr Aufgaben als in den 80erJahren konfrontiert: mehr Vorsorgeuntersuchungen, mehr Impfungen, mehr Behördenauflagen.
„Trotzdem gilt diese Zahl nach wie vor als politische Grundlage für die Beurteilung einer ausreichenden Versorgung“, moniert Metzler. Und weiter: „Die Zahlen der KV gehen stark an der Realität vorbei.“Denn durch die höheren Anforderungen, könne ein Kinderarzt gar nicht mehr so viele Patienten aufnehmen wie noch vor 20 Jahren.
Weil aber die Politik die Zahl der Studienplätze deutlich gekappt habe, kämen auch deutlich weniger junge Kollegen nach, erklärt Metzler. Auch das erschwere die Suche nach einem Praxisnachfolger. Zudem waren die Kinderärzte laut Metzler früher überwiegend männlich, heute seien es meist Frauen. „Diese arbeiten im Schnitt nur zu 50 Prozent“, sagt Metzler.
Für die junge Generation sei es nicht mehr attraktiv in einer Einzelpraxis zu arbeiten, sagt Metzler. „Im Vordergrund steht die Work-Life-Balance, das heißt: mehr Zeit für die Familie und sich selbst.“Und eine „normale“Einzelpraxis in eine „für Frauen attraktivere Zweier- oder Dreierpraxis umzuwandeln, sei – auch aus finanzieller Sicht – nicht einfach.
Das erschwert auch die Suche nach einem Nachfolger für die Praxis von Ulrike Laternser. Die Mitarbeiter im Rathaus setzen ebenfalls alles daran, den Kinderarztsitz in der Stadt am Fuße des Gehrenbergs zu halten. Schließlich reicht das Einzugsgebiet bis ins Deggenhausertal und nach Oberteuringen.
„Wir sind seit letztem Sommer, als wir von der drohenden Praxisschließung erfahren haben, im Gespräch mit der KV“, erzählt Markdorfs Bürgermeister Georg Riedmann. „Wir konnten erreichen, dass die Nachbesetzung der Praxis ausgeschrieben wurde und der Sitz nicht aufgrund einer theoretisch recht guten Versorgung im Bodenseekreis ersatzlos gestrichen wurde.“
Zudem habe das Rathaus mit der Praxisinhaberin und dem Eigentümer der Immobilie „einen Konsens über einen möglichen Übergang von Raum und Ausstattung auf die Nachfolge“erreicht, berichtet Riedmann: „Hier sind alle sehr kooperationsbereit.“Das heißt, die Räume der Praxis werden erst einmal nicht weitervermietet. Sie bleiben laut Hauptamtsleiterin Regina Holzhofer eine gewisse Zeit lang für eine Praxis reserviert.
Gleichzeitig lässt Metzler seine Kontakte unter den Kollegen spielen, um möglicherweise doch eine Nachfolge für die Praxis zu finden. Ob diese Bemühungen von Erfolg gekrönt sind, lässt sich allerdings erst Anfang April abschätzen. Denn so lange läuft die zweite Ausschreibung noch.
Die Kassenärztliche Vereinigung empfiehlt den Familien die aktuell ohne kinderärztliche Versorgung dastehen, den Suchradius zu vergrößern. Oder aber die Terminservicestelle unter der Nummer 116117 anzurufen. „Ebenso können Eltern das Telemedizinangebot docdirekt der KVBW nutzen. Das hilft nicht für die langfristige Versorgung, aber schon für akute Fragen“, schlägt Sprecher Kai Sonntag vor.