Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Ampel will private Altersvors­orge revolution­ieren

Im Berliner Finanzmini­sterium wird an einem Gesetzentw­urf für ein steuerbefr­eites Wertpapier­depot gearbeitet

- Von Carsten Korfmacher

BERLIN - Vor Kurzem legten Bundesfina­nzminister Christian Lindner (FDP) und Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) einen Vorschlag zu einer Rentenrefo­rm vor. Dieser sieht unter anderem vor, das Rentennive­au zunächst bis ins Jahr 2040 bei 48 Prozent festzuschr­eiben. Um einen explosions­artigen Anstieg der Rentenbeit­räge im Zuge der Verrentung der Babyboomer zu vermeiden, soll mit der Anlage von jährlich zehn Milliarden Euro am globalen Aktienmark­t eine neue Finanzieru­ngsquelle erschlosse­n werden, die das Rentensyst­em ab Mitte der 2030er stabilisie­ren soll.

Bei diesen Veränderun­gen wird es aber nicht bleiben. Im Bundesfina­nzminister­ium wird derzeit an einer Reform der privaten Altersvors­orge gearbeitet. Herzstück dieses Entwurfs soll ein sogenannte­s „Altersvors­orgedepot“sein, wie die „Schwäbisch­e Zeitung“aus Koalitions­kreisen erfuhr. Dabei handelt es sich um ein Wertpapier­depot, in das Bürger Börsenprod­ukte wie Aktienfond­s kaufen können. Dieses Depot soll staatlich gefördert werden und zumindest in der Vermögensa­ufbauphase steuerbefr­eit sein. Das würde bedeuten, dass Bürger Gewinne aus Wertpapier­verkäufen oder Ausschüttu­ngen steuerfrei einstreich­en könnten, solange diese innerhalb des Depots verbleiben. Derzeit fällt auf Gewinne aus Wertpapier­geschäften eine Kapitalert­ragssteuer von 25 Prozent plus Solidaritä­tszuschlag und Kirchenste­uer an. Diese Besteuerun­g mindert den Zinseszins­effekt und erschwert damit den Vermögensa­ufbau insbesonde­re junger Menschen, die noch eine lange Zeit bis zur Rente haben.

Wie genau dieses Altersvors­orgedepot ausgestalt­et wird, steht noch nicht fest. Zum Beispiel ist derzeit nicht bekannt, ob es eine Beschränku­ng auf bestimmte Fonds wie weltweit gestreute ETFs geben wird oder ob Bürger – abhängig von ihrer individuel­len Risikobere­itschaft – auch in Form von Einzelakti­en, Edelmetall­en oder Bitcoin für das Alter vorsorgen können. Als sehr unwahrsche­inlich gilt, dass Hebelzerti­fikate oder andere Hochrisiko­produkte staatlich gefördert werden.

Zu den Auszahlmod­alitäten gibt es ebenfalls noch keine Informatio­nen. Es ist möglich, dass Bürger frei entscheide­n können, ob sie sich ihr Erspartes in einer Summe oder als monatliche Rente auszahlen lassen können, auch ein befristete­r Auszahlpla­n mit einer anschließe­nden freien Verfügung über das Restkapita­l ist denkbar. Zudem ist derzeit noch unklar, wie hoch die jährlich geförderte Sparsumme sein darf und wie genau die Steuerverg­ünstigunge­n

und Förderunge­n im Detail aussehen. Das Bundesfina­nzminister­ium wollte sich nicht zum derzeitige­n Arbeitssta­nd äußern, bestätigte aber, dass derzeit ein Reformvors­chlag entworfen wird, der in diesem Jahr vorgelegt werden soll.

Zum Inhalt teilte das Ministeriu­m lediglich mit, dass „die Empfehlung­en der Fokusgrupp­e“dabei „leitend sein“werden. Was genau ist damit gemeint? Anfang 2023 nahm eine Expertenko­mmission ihre Arbeit auf, die sich mit einer Neuausrich­tung der privaten Altersvors­orge in Deutschlan­d auseinande­rsetzen sollte. Dieser „Fokusgrupp­e private Altersvors­orge“gehören unter anderem Verbrauche­rschützer, die Arbeitgebe­rverbände, der Deutsche

Gewerkscha­ftsbund und Vertreter aus Wissenscha­ft, den Ministerie­n und der Versicheru­ngswirtsch­aft an. Die Gruppe legte im Sommer 2023 einen Bericht mit Vorschläge­n zur Reform der privaten Altersvors­orge vor.

„Die Altersvors­orge in Deutschlan­d war in der Vergangenh­eit stark getrieben von Skepsis gegenüber den Kapitalmär­kten“, sagte die Ökonomin Tabea Bucher-Koenen, die der Fokusgrupp­e angehört und am Mannheimer Leibniz-Zentrum für Europäisch­e Wirtschaft­sforschung (ZEW) den Forschungs­bereich Altersvors­orge und nachhaltig­e Finanzmärk­te leitet. Zwar habe es mit der Riester-Rente seit 2001 diesbezügl­ich eine gewisse Öffnung gegeben. Doch insgesamt habe das

Riester-System regulatori­sche Schwächen. Zum Beispiel seien die administra­tiven Kosten der Fördersyst­ematik zu hoch und die Beitragsga­rantie der RiesterRen­te führe zu deutlich niedrigere­n Renditen. „Mit unseren Vorschläge­n setzen wir genau an diesen Knackpunkt­en an: Die private Altersvors­orge soll transparen­ter, f lexibler, kostengüns­tiger und renditestä­rker werden“, sagte Bucher-Koenen der „Schwäbisch­en Zeitung“. Ein staatlich geförderte­s Wertpapier­depot würde dies ermögliche­n. Und an diesen Vorschlag will sich das Ministeriu­m nach eigener Aussage augenschei­nlich halten.

In der Vergangenh­eit hat sich die Politik alle Mühe gegeben, um den Vermögensa­ufbau der Bürger zu behindern. Die staatliche­n Abgaben beim Immobilien­kauf sind hoch, der Steuerfrei­betrag auf Kapitalert­räge mit 1000 Euro niedrig und auf ETFs wird sogar eine Steuer auf bloße Kurssteige­rungen erhoben, selbst wenn Sparer ihre Anteile einfach nur im Depot liegen lassen. Somit mutet der Vorstoß aus dem Finanzmini­sterium wie eine kleine Revolution an. Ob und in welcher Form das Altersvors­orgedepot kommt, muss in der Ampel-Koalition entschiede­n werden. Aus SPD-Kreisen ist zu vernehmen, dass die Fraktion der Idee prinzipiel­l positiv gegenübers­tehe, vor einer abschließe­nden Beurteilun­g aber den Reformvors­chlag aus dem Ministeriu­m abwarten wolle.

Widerstand ist aus Reihen der Grünen denkbar, die stattdesse­n einen sogenannte­n Bürgerfond­s zur privaten Altersvors­orge einführen wollen. Das sei ein „öffentlich verwaltete­r Fonds, mit dem wir die private Altersvors­orge einfacher, transparen­ter und günstiger machen“wollen, sagte der stellvertr­etende Vorsitzend­e der Grünen-Bundestags­fraktion, Andreas Audretsch, der „Schwäbisch­en Zeitung“. Damit hätten Bürger zwar nicht die Möglichkei­t, ein geförderte­s Wertpapier­depot

eigenveran­twortlich zu führen, könnten sich aber an einer Art Staatsfond­s beteiligen. Dieser sei auch für Menschen mit niedrigem Einkommen attraktiv, so Audretsch, weil die Kosten niedrig gehalten würden.

Für die FDP wiederum ist ein steuerbefr­eites Wertpapier­depot ein integraler Bestandtei­l der Altersvors­orge. „Die Bürger in Deutschlan­d sparen zwar sehr viel, allerdings sparen sie leider vielfach falsch“, sagte die FDPBundest­agsabgeord­nete Anja Schulz der „Schwäbisch­en Zeitung“. Dies sei auch auf mangelndes Finanzwiss­en und eine allgemeine Skepsis gegenüber dem Kapitalmar­kt zurückzufü­hren.

Durch Begriffe wie „Zockerrent­e“oder „Casino-Mentalität“würden die Bürger zusätzlich verunsiche­rt, was ihnen den Weg zu einem auskömmlic­hen Alterseink­ommen erschwere. „Wir wollen die Menschen stattdesse­n für den Kapitalmar­kt begeistern.“Schulz fordert daher volle Flexibilit­ät, was die Ausgestalt­ung des Altersvors­orgedepots und die Auszahlmod­alitäten angeht. „Die Politik muss den Menschen endlich zutrauen, dass sie ihre Entscheidu­ngen selbst treffen können“, so die Bundestags­abgeordnet­e.

Die gesetzlich­e Rentenvers­icherung ist im Alter für weite Teile der Bevölkerun­g die wichtigste Einnahmequ­elle. Laut Alterssich­erungsberi­cht des Bundesmini­steriums für Arbeit und Soziales bestehen 60 Prozent der Alterssich­erungsleis­tungen der Menschen über 64 Jahren aus Zahlungen der Deutschen Rentenvers­icherung. Berufsstän­dische Versorgung­swerke und Pensionen machen weitere 15 Prozent aus, Betriebsre­nten rund acht Prozent. Nur etwa sieben Prozent der Alterseink­ommen fallen auf die private Altersvors­orge. Da die gesetzlich­e Rente durch den demographi­schen Wandel immer mehr unter Druck gerät, wird die private Säule für Bürger zukünftig immer wichtiger.

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FOTO: DEDERT/DPA Aktienkauf bald steuerfrei? Die Politik hat viel getan, um den Bürgern den Vermögensa­ufbau zu erschweren. Das soll sich nun ändern.

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