Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Nach monatelang­em Ringen ist das Paket durch

Bundesrat beschließt milliarden­schweres Wachstumsc­hancengese­tz – Landwirten werden Diesel-Subvention­en gekürzt

- Von Theresa Münch und Martina Herzog

BERLIN (dpa) - Trotz heftiger Proteste von Landwirten hat der Bundesrat den Abbau von Agrardiese­l-Subvention­en beschlosse­n – und ein milliarden­schweres Wachstumsp­aket für die Wirtschaft. Die Länderkamm­er gab am Freitag nach langem Ringen grünes Licht für beide Vorhaben der Ampel-Koalition. Die Bundesregi­erung kündigte zugleich Unterstütz­ung für die Landwirtsc­haft an. Doch weder Bauern noch Industrie und Mittelstan­d sind sonderlich zufrieden. Die großen Wirtschaft­sverbände warnten unisono, die beschlosse­nen Steuerentl­astungen und Bürokratie­abbau brächten keinen echten Wachstumsi­mpuls.

Finanzmini­ster Christian Lindner stellte nur Minuten nach dem Beschluss auf X (früher Twitter) weitere Maßnahmen in Aussicht. Das Wachstumsc­hancengese­tz sei zwar ein wichtiges Signal. „Aber sein Volumen ist wesentlich kleiner als ursprüngli­ch von mir geplant“, erklärte Lindner. Es müssten nun weitere Schritte folgen, um die Lage der Wirtschaft zu verbessern. „Wir arbeiten daran“, versprach der FDP-Politiker.

Ursprüngli­ch sollte das Gesetz ein Rundumschl­ag für alle Branchen sein, der Firmen entlastet und Investitio­nen in den Klimaschut­z anregt. Lindner hatte fast 50 steuerpoli­tische Maßnahmen vorgeschla­gen. Im Bundestag

war das Gesetz beschlosse­n worden, doch die Länder stoppten es im Bundesrat, weil sie hohe Einnahmeau­sfälle befürchtet­en.

Im Vermittlun­gsverfahre­n, in dem Vertreter von Bundestag und Bundesrat Kompromiss­e suchen, wurde das Volumen des Gesamtpake­ts von einst geplanten sieben Milliarden Euro auf 3,2 Milliarden pro Jahr zusammenge­strichen. Eine staatliche Prämie für Klimaschut­z-Investitio­nen soll es nun doch nicht geben.

Geblieben sind unter anderem die steuerlich­e Forschungs­förderung, eine bessere Anrechenba­rkeit von Verlusten bei der Steuererkl­ärung und der Abbau bürokratis­cher Hürden. Meldeverfa­hren und Buchführun­gspflichte­n sollen vereinfach­t und Daten statt auf Papier elektronis­ch übermittel­t werden.

Der Industriev­erband BDI zeigte sich angesichts des Hickhacks vor dem Beschluss zwar erleichter­t, warnte aber zugleich: „Einen deutlich spürbaren Wachstumsi­mpuls werden diese steuerlich­en Entlastung­en nicht setzen.“Die Deutsche Industrie- und Handelskam­mer (DIHK) forderte noch vor der Sommerpaus­e „eine konkrete Reformagen­da mit Entlastung­en, die schnell im betrieblic­hen Alltag ankommen“.

Der Immobilien­verband ZIA begrüßte vor allen die steuerlich­en Anreize für mehr Wohnungsba­u. Sie könnten einen echten Schub auslösen. Mit dem Gesetz kann die Branche Investitio­nskosten schneller steuerlich abschreibe­n.

Das soll dafür sorgen, dass schneller Geld für neue Investitio­nen zur Verfügung steht. Bauministe­rin Klara Geywitz (SPD) erklärte: „Sechs Jahre lang jeweils fünf Prozent der Investitio­nskosten abschreibe­n – das ist ein richtig großer Impuls für den Wohnungsba­u in Deutschlan­d.“

CDU und CSU hatten ihre Zustimmung zum Wachstumsp­aket zunächst davon abhängig gemacht, dass die Bundesregi­erung den Abbau von Subvention­en für Agrardiese­l zurücknimm­t. Bisher können sich Betriebe die Energieste­uer für Diesel teilweise zurückerst­atten lassen – mit einer Vergütung von 21,48 Cent pro Liter. Um eine Milliarden­lücke im Bundeshaus­halt zu stopfen, hatte die Ampel eine schrittwei­se Streichung beschlosse­n. Für im Jahr 2026 verbraucht­e Mengen soll es keine Subvention­en mehr geben.

Dabei bleibt es nun trotz des Protests aus CDU und CSU. Die Länderkamm­er entschied sich dagegen, erneut den Vermittlun­gsausschus­s anzurufen. Die parlamenta­rische Staatssekr­etärin im Finanzmini­sterium, Katja Hessel (FDP), hatte die Union vorher deutlich kritisiert: „Ich kann aber nicht verstehen, wie man Sachen in Geiselhaft nehmen kann und dafür ein ganzes Land stillstehe­n lassen kann“, sagte sie. Der bayerische Staatskanz­leichef Florian Herrmann (CSU) hingegen erklärte: „Die Landwirtsc­haft muss sich wirklich bei dieser Bundesregi­erung verraten und verkauft fühlen, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.“

Die Länder erwarten nun, dass die Bauern auf anderem Weg entlastet werden. Man habe sich bereits auf Punkte verständig­t, so Hessel. In einer Erklärung wurden zehn Punkte genannt, die „zügig umzusetzen“seien. Dazu gehört die Erleichter­ungen bei Düngeregel­n und weniger Dokumentat­ionspflich­ten für Tierhalter. Außerdem soll die Tarifglätt­ung für sechs Jahre wieder eingeführt werden. Bei der Berechnung der Einkommens­teuer wird dann nicht nur ein Jahr herangezog­en, sondern mehrere. Dadurch können Ertragsaus­fälle ausgeglich­en werden.

Landwirtsc­haftsminis­ter Cem Özdemir (Grüne) sagte, das werde Bäuerinnen und Bauern spürbar entlasten. Der Landwirtsc­haftsminis­ter von Baden-Württember­g, Peter Hauk (CDU), dagegen hält die in Aussicht gestellten Entlastung­en nicht für ausreichen­d. Er setzte sich weiterhin dafür ein, die Kürzungen beim Agrardiese­l zurückzune­hmen.

Auch der Bauernverb­and betonte, der Kampf um den Agrardiese­l sei noch nicht vorbei. „Die Wettbewerb­sfähigkeit unserer heimischen Landwirtsc­haft im europäisch­en Binnenmark­t so massiv zu schwächen, ist vollkommen inakzeptab­el“, erklärte Verbandspr­äsident Joachim Rukwied. Mindestens bis zur Bundestags­wahl 2025 werde das Thema weiter eine Rolle spielen.

 ?? FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA ?? Entlasten die Wirtschaft – zumindest ein bisschen: Bundeskanz­ler Olaf Scholz (rechts, SPD), Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Mitte, Grüne) und Finanzmini­ster Christian Lindner (links, FDP).
FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Entlasten die Wirtschaft – zumindest ein bisschen: Bundeskanz­ler Olaf Scholz (rechts, SPD), Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Mitte, Grüne) und Finanzmini­ster Christian Lindner (links, FDP).

Newspapers in German

Newspapers from Germany