Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Hier werden Probleme geschaffen, wo eigentlich keine sind“
Psychologin Esther Bockwyt rechnet mit der woken Bewegung im Land ab und fürchtet die Spaltung der Gesellschaft
BERLIN - Esther Bockwyt ist Psychologin, arbeitet auch als Gerichtsgutachterin. Ihn ihrem neuen Buch rechnet sie mit der woken Bewegung ab und landet damit auf der Spiegel-Bestsellerliste. Bekannt ist der Begriff woke vor allem aus den sozialen Netzwerken. Gemeint ist eine „Wachsamkeit“für Diskriminierungen und Missstände. Im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“spricht die Psychologin über Gleichheit und Sensibilitäten in unserer modernen Gesellschaft.
Frau Bockwyt, in Ihrem neuen Buch lassen sie kein gutes Haar an der Wokeness. Was haben Sie gegen eine Bewegung, die sich gegen Diskriminierung und für Gleichheit in der Gesellschaft einsetzt?
Doch, es gab schon das ein oder andere gute Haar. Aber das ist eine falsche Wahrnehmung von der woken Bewegung. Wokeness ist nicht mehr nur auf Gleichheit ausgerichtet, sondern auf eine Umkehr von Machtverhältnissen und damit letztlich auf Unterdrückung von sogenannten weiß und hetoronormativ positionierten Menschen.
Wie meinen Sie das?
Laut Duden bedeutet woke in hohem Maße wachsam sein gegenüber rassistischen und sexistischen Diskriminierungen. Und das ist für sich genommen auch erst mal gut und richtig, denn diese Diskriminierungen gibt es ja. Aber die woke Bewegung geht ja davon aus, dass die westliche Gesellschaft rassistisch und diskriminierend konstituiert ist und dass Diskriminierung permanent über allem schwebt. Und das ist eine Vorstellung, die nicht mit der Realität korrespondiert. Es ist nicht rassistisch, wenn man einen Menschen mit Migrationshintergrund nach seiner Herkunft fragt oder einen Schüler mit Migrationshintergrund dafür lobt, dass er gutes Deutsch spricht. Hier werden Probleme geschaffen, wo eigentlich keine sind.
Wieso schafft eine erhöhte Sensibilität, die vielleicht mal ein wenig über ihr gut gemeintes Ziel hinausschießt, Probleme?
Wenn man von diesem woken Glauben überzeugt ist, hat man seinen Wahrnehmungsfokus darauf ausgerichtet, an jeder Ecke Diskriminierungen zu entdecken, die eigene Theorie damit zu bestätigen und auch möglichst viele Menschen davon zu überzeugen. Und so verbreitet sich diese in meinen Augen falsche Theorie und zugleich sehr negativ und depressiv geprägte Weltanschauung immer weiter. Und das halte ich für ungesund, sowohl für die Gesellschaft als auch für das Inviduum.
Warum?
Weil so bei den vermeintlich Privilegierten beispielsweise Schuldgefühle erzeugt werden. Wenn man immer wieder damit konfrontiert wird und man sich den Vorwurf anhören muss, man sei ein Rassist oder auch ein Sexist, dann erzeugt das irgendwann Schuldgefühle. Und diese Schuldgefühle gehen dann ihn den Überich-Modus weiter und erzeugen ein permanent schlechtes Gewissen. Das führt aber nicht zu einer echten und gesunden Empathie mit tatsächlich von Diskriminierung Betroffenen. Es ist etwas Zwanghaftes, etwas Aufgezwungenes, Rigides, Moralisierendes. Zudem schafft diese zwanghafte Wokeness auch den Boden dafür, dass viele Menschen auf ihre Theist men zunehmend ablehnend reagieren. Die woke Bewegung sorgt also für eine Spaltung der Gesellschaft.
Sie sind Gerichtspsychologin. Was denken Sie, was treibt einen woken Menschen aus psychologischer Sicht an?
Wer so aggressiv kämpft, der hat in der Regel andere Probleme, die er einfach nur in den politischen, ideologischen Bereich verschiebt. Es hat zwar jeder Mensch gewisse narzisstische, depressive und zwanghafte Tendenzen, aber es kommt eben darauf an, wie ausgeprägt diese Tendenzen sind. Die Dosis macht das Gift. Und bei manchen woken Menschen ist diese Dosis so hoch, dass sie toxisch wirkt. Nach innen und außen. Für diese Menschen ist ihr woker Kampf ein guter Vorwand, ihre Aggression und ihren Narzissmus auf einer politischen Ebene ausleben zu können. Man möchte sich narzisstisch erhöhen dadurch, dass man zur Gruppe der Erwachten gehört und zu den modernen Fortschrittlichen, die für das vermeintlich Gute kämpfen. Und sobald man einen Teilerfolg erzielt hat, sucht man sich immer wieder neue vermeintliche Ungerechtigkeiten, die es zu bekämpfen gibt. Man braucht das Problematisieren, sonst entstünde ein Vakuum, in dem man sich dann nicht mehr aktivistisch betätigen kann. Eine depressive und negative Endlosspirale, durch die man immer extremer wird. Wir sind mittlerweile ja schon an dem Punkt, dass Realitäten verleugnet werden, etwa beim Thema Geschlecht.
Inwiefern?
Die Aussage etwa, dass es zwei Geschlechter gibt, kann mittlerweile bestraft werden. Ich erinnere an die Vorfälle in den Fanblocks bei Bundesliga-Spielen im Fußball. Das ist doch Wahnsinn! Und immer mehr Menschen glauben, dass die Aussage, es gebe nur, zwei Geschlechter, tatsächlich diskriminierend ist, einfach nur weil dieser Vorwurf immer und immer wiederholt wird. In der Politik, in öffentlichen Debatten, in den Medien. De facto
es aber keine diskriminierende Aussage. Wenn ich Kinder hätte, hätte ich das Gefühl, sie beschützen zu müssen vor dem, was da zum Teil in Grundschulen oder auch schon früher an Ideologie an sie herangetragen wird. Wenn Kindern gesagt wird, sie seien geschlechtsneutral, verunsichern Sie die kleinen Menschen damit massiv in ihrem Identitätsgefühl, und zwar aus rein ideologischen Gründen. Um es klar zu sagen: So etwas ist nachhaltig schädlich für Kinder.
Was glauben Sie, wo stehen wir hier in zehn Jahren?
Ich bin kein Freund von Alarmismus und von Hysterie, um zu sagen die Demokratie steht kurz vorm Untergang. Aber wenn sich Identitätspolitik immer weiter durchsetzt, bedeutet das, dass der Fokus politisch stärker auf bestimmten Gruppen und Identitäten liegt und das auch zwangsläufig mit einer Einschränkung der Meinungsfreiheit einhergeht. Wir sehen diese Ansätze ja bereits an der Ausweitung dessen, was als Hass oder als Diskriminierung verstanden wird. In Kombination mit möglicherweise noch schärferen Hassgesetzen und dem Demokratiefördergesetz könnte es dann auch zur Einschränkung von Meinungsfreiheit kommen. Doch, ich sehe die derzeitige Entwicklung mit einer gewissen Sorge.
Nun gibt es in der Politik aber auch erste gegenläufige Tendenzen, Stichwort Genderverbot. Wie stehen Sie dazu?
Ich finde das richtig. Es gibt Umfragen dazu, dass 70 bis 80 Prozent nicht gendern wollen, trotzdem wird gendern vielerorts eingefordert und teils auch mit Zwang umgesetzt, etwa an Universitäten. Das hat etwas sehr Aggressives und Übergriffiges. Und dass nun gesagt wird: Moment mal, hier wird einfach etwas gemacht, was unseren gängigen und gewohnten Sprachregelungen nicht entspricht und von einer großen Mehrheit abgelehnt wird, das unterbinden wir in öffentlichen Einrichtungen – ja, das finde ich richtig.