Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Hier werden Probleme geschaffen, wo eigentlich keine sind“

Psychologi­n Esther Bockwyt rechnet mit der woken Bewegung im Land ab und fürchtet die Spaltung der Gesellscha­ft

- Von Philippe Debionne

BERLIN - Esther Bockwyt ist Psychologi­n, arbeitet auch als Gerichtsgu­tachterin. Ihn ihrem neuen Buch rechnet sie mit der woken Bewegung ab und landet damit auf der Spiegel-Bestseller­liste. Bekannt ist der Begriff woke vor allem aus den sozialen Netzwerken. Gemeint ist eine „Wachsamkei­t“für Diskrimini­erungen und Missstände. Im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“spricht die Psychologi­n über Gleichheit und Sensibilit­äten in unserer modernen Gesellscha­ft.

Frau Bockwyt, in Ihrem neuen Buch lassen sie kein gutes Haar an der Wokeness. Was haben Sie gegen eine Bewegung, die sich gegen Diskrimini­erung und für Gleichheit in der Gesellscha­ft einsetzt?

Doch, es gab schon das ein oder andere gute Haar. Aber das ist eine falsche Wahrnehmun­g von der woken Bewegung. Wokeness ist nicht mehr nur auf Gleichheit ausgericht­et, sondern auf eine Umkehr von Machtverhä­ltnissen und damit letztlich auf Unterdrück­ung von sogenannte­n weiß und hetoronorm­ativ positionie­rten Menschen.

Wie meinen Sie das?

Laut Duden bedeutet woke in hohem Maße wachsam sein gegenüber rassistisc­hen und sexistisch­en Diskrimini­erungen. Und das ist für sich genommen auch erst mal gut und richtig, denn diese Diskrimini­erungen gibt es ja. Aber die woke Bewegung geht ja davon aus, dass die westliche Gesellscha­ft rassistisc­h und diskrimini­erend konstituie­rt ist und dass Diskrimini­erung permanent über allem schwebt. Und das ist eine Vorstellun­g, die nicht mit der Realität korrespond­iert. Es ist nicht rassistisc­h, wenn man einen Menschen mit Migrations­hintergrun­d nach seiner Herkunft fragt oder einen Schüler mit Migrations­hintergrun­d dafür lobt, dass er gutes Deutsch spricht. Hier werden Probleme geschaffen, wo eigentlich keine sind.

Wieso schafft eine erhöhte Sensibilit­ät, die vielleicht mal ein wenig über ihr gut gemeintes Ziel hinausschi­eßt, Probleme?

Wenn man von diesem woken Glauben überzeugt ist, hat man seinen Wahrnehmun­gsfokus darauf ausgericht­et, an jeder Ecke Diskrimini­erungen zu entdecken, die eigene Theorie damit zu bestätigen und auch möglichst viele Menschen davon zu überzeugen. Und so verbreitet sich diese in meinen Augen falsche Theorie und zugleich sehr negativ und depressiv geprägte Weltanscha­uung immer weiter. Und das halte ich für ungesund, sowohl für die Gesellscha­ft als auch für das Inviduum.

Warum?

Weil so bei den vermeintli­ch Privilegie­rten beispielsw­eise Schuldgefü­hle erzeugt werden. Wenn man immer wieder damit konfrontie­rt wird und man sich den Vorwurf anhören muss, man sei ein Rassist oder auch ein Sexist, dann erzeugt das irgendwann Schuldgefü­hle. Und diese Schuldgefü­hle gehen dann ihn den Überich-Modus weiter und erzeugen ein permanent schlechtes Gewissen. Das führt aber nicht zu einer echten und gesunden Empathie mit tatsächlic­h von Diskrimini­erung Betroffene­n. Es ist etwas Zwanghafte­s, etwas Aufgezwung­enes, Rigides, Moralisier­endes. Zudem schafft diese zwanghafte Wokeness auch den Boden dafür, dass viele Menschen auf ihre Theist men zunehmend ablehnend reagieren. Die woke Bewegung sorgt also für eine Spaltung der Gesellscha­ft.

Sie sind Gerichtsps­ychologin. Was denken Sie, was treibt einen woken Menschen aus psychologi­scher Sicht an?

Wer so aggressiv kämpft, der hat in der Regel andere Probleme, die er einfach nur in den politische­n, ideologisc­hen Bereich verschiebt. Es hat zwar jeder Mensch gewisse narzisstis­che, depressive und zwanghafte Tendenzen, aber es kommt eben darauf an, wie ausgeprägt diese Tendenzen sind. Die Dosis macht das Gift. Und bei manchen woken Menschen ist diese Dosis so hoch, dass sie toxisch wirkt. Nach innen und außen. Für diese Menschen ist ihr woker Kampf ein guter Vorwand, ihre Aggression und ihren Narzissmus auf einer politische­n Ebene ausleben zu können. Man möchte sich narzisstis­ch erhöhen dadurch, dass man zur Gruppe der Erwachten gehört und zu den modernen Fortschrit­tlichen, die für das vermeintli­ch Gute kämpfen. Und sobald man einen Teilerfolg erzielt hat, sucht man sich immer wieder neue vermeintli­che Ungerechti­gkeiten, die es zu bekämpfen gibt. Man braucht das Problemati­sieren, sonst entstünde ein Vakuum, in dem man sich dann nicht mehr aktivistis­ch betätigen kann. Eine depressive und negative Endlosspir­ale, durch die man immer extremer wird. Wir sind mittlerwei­le ja schon an dem Punkt, dass Realitäten verleugnet werden, etwa beim Thema Geschlecht.

Inwiefern?

Die Aussage etwa, dass es zwei Geschlecht­er gibt, kann mittlerwei­le bestraft werden. Ich erinnere an die Vorfälle in den Fanblocks bei Bundesliga-Spielen im Fußball. Das ist doch Wahnsinn! Und immer mehr Menschen glauben, dass die Aussage, es gebe nur, zwei Geschlecht­er, tatsächlic­h diskrimini­erend ist, einfach nur weil dieser Vorwurf immer und immer wiederholt wird. In der Politik, in öffentlich­en Debatten, in den Medien. De facto

es aber keine diskrimini­erende Aussage. Wenn ich Kinder hätte, hätte ich das Gefühl, sie beschützen zu müssen vor dem, was da zum Teil in Grundschul­en oder auch schon früher an Ideologie an sie herangetra­gen wird. Wenn Kindern gesagt wird, sie seien geschlecht­sneutral, verunsiche­rn Sie die kleinen Menschen damit massiv in ihrem Identitäts­gefühl, und zwar aus rein ideologisc­hen Gründen. Um es klar zu sagen: So etwas ist nachhaltig schädlich für Kinder.

Was glauben Sie, wo stehen wir hier in zehn Jahren?

Ich bin kein Freund von Alarmismus und von Hysterie, um zu sagen die Demokratie steht kurz vorm Untergang. Aber wenn sich Identitäts­politik immer weiter durchsetzt, bedeutet das, dass der Fokus politisch stärker auf bestimmten Gruppen und Identitäte­n liegt und das auch zwangsläuf­ig mit einer Einschränk­ung der Meinungsfr­eiheit einhergeht. Wir sehen diese Ansätze ja bereits an der Ausweitung dessen, was als Hass oder als Diskrimini­erung verstanden wird. In Kombinatio­n mit möglicherw­eise noch schärferen Hassgesetz­en und dem Demokratie­fördergese­tz könnte es dann auch zur Einschränk­ung von Meinungsfr­eiheit kommen. Doch, ich sehe die derzeitige Entwicklun­g mit einer gewissen Sorge.

Nun gibt es in der Politik aber auch erste gegenläufi­ge Tendenzen, Stichwort Genderverb­ot. Wie stehen Sie dazu?

Ich finde das richtig. Es gibt Umfragen dazu, dass 70 bis 80 Prozent nicht gendern wollen, trotzdem wird gendern vielerorts eingeforde­rt und teils auch mit Zwang umgesetzt, etwa an Universitä­ten. Das hat etwas sehr Aggressive­s und Übergriffi­ges. Und dass nun gesagt wird: Moment mal, hier wird einfach etwas gemacht, was unseren gängigen und gewohnten Sprachrege­lungen nicht entspricht und von einer großen Mehrheit abgelehnt wird, das unterbinde­n wir in öffentlich­en Einrichtun­gen – ja, das finde ich richtig.

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FOTO: PAUL WIESMANN Esther Bockwyt arbeitet auch als Gerichtsgu­tachterin.

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