Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Siegeszug einer Bilderbuchfigur
25 Jahre „Der Grüffelo“– Aus den Kinderzimmern ist das Buch inzwischen nicht mehr wegzudenken
RAVENSBURG - Für gewöhnlich gelten Ausstellungen zu Alberto Giacometti (1901-1966) den berühmten, grotesk gelängten, ausgemergelten Figuren dieses Künstlergenies aus dem Bergell. Oder aber den Arbeiten aus seinen Anfängen, um zu zeigen, mit welcher Begabung man es hier zu tun hat. Selten aber liegt der Schwerpunkt auf Zeichnungen und Grafiken aus seinen letzten beiden Lebensjahrzehnten wie jetzt in Ravensburg. Die neue Einzelausstellung „Vis-à-Vis“(Gegenüber) im Kunstmuseum umfasst rund 120 Exponate. Sämtliche Arbeiten, darunter auch Skulpturen, Gemälde und Fotografien, stammen aus der Sammlung des ehemaligen Münchner Galeristen Helmut Klewan (81). Ein Glücksfall für alle Kunstfreunde in der Region.
Alberto Giacometti war ein Sonderling. Sein Atelier in der Pariser Rue Hippolyte Maindron 46 war nicht mehr als ein heruntergekommener Schuppen. Knapp 25 Quadratmeter reichten ihm aus. Sein Bruder Diego, der ihm als Gehilfe diente, schlief eine Treppe höher unterm Dach. Selbst als der Künstler auch international zu Ruhm und Ansehen gekommen war, blieb er an diesem Ort. Seine Nächte verbrachte Giacometti in den Cafés und Nachtlokalen von Montparnasse. Dort traf er seine Freunde, seine Bekannten aus der avantgardistischen Literatur- und Kunstszene.
Alberto Giacomettis Talent war früh gefördert worden. Er kam 1901 als ältester Sohn des Malers Giovanni Giacometti im kleinen Dorf Stampa im Gebirgstal Bergell auf die Welt. Bereits als Junge zeichnete er im Atelier seines Vaters, der auch sein größter Förderer war. 1919 brach er die Schule ab, um in Genf Kunst zu studieren. 1922 wechselte er dann an die berühmte Académie de la Grande Chaumière in Paris. Wenige Jahre später geriet der junge Künstler in den Kreis der Surrealisten. Allerdings fühlte sich Giacometti dort nicht wirklich aufgehoben – doch erst 1935 kam es zum radikalen Bruch mit der Gruppe.
Zehn lange Jahre dauerte anschließend seine Schaffenskrise auf der Suche nach einer neuen, revolutionären f igurativen Kunst, in deren Zentrum der fragile, beschädigte Mensch steht. Giacometti traf damit nach dem Zweiten Weltkrieg den Nerv der Zeit und wurde als existenzialistischer Künstler schlechthin gefeiert.
Die Ravensburger Ausstellung setzt in den 1950er- und 1960erJahren ein, als Giacometti immer bekannter wurde. In dieser Zeit entstanden unzählige Fotografien, die das Bild des Künstlers bis heute prägen: ein schlanker Typ mit ernstem Blick und dunklem, lockigem Haar. Im Kabinett im Erdgeschoss sind einige dieser atmosphärischen Aufnahmen zu sehen. Darunter die berühmte Szene, wie der Künstler bei Regen mit hochgezogenem Mantel eine Straße in Paris überquert – festgehalten von Henri Cartier-Bresson.
Auch Arbeiten aus der Mappe „Paris ohne Ende“werden im Erdgeschoss in einer kleinen Auswahl gezeigt. „In diesem Zykus greift er noch einmal die für sein Werk prägenden Themen auf: Café-, Passanten- oder Aktszenen sowie das Zusammenspiel von Figur und Raum“, sagt Kuratorin und Volontärin Leo Daro, die gemeinsam mit Museumsdirektorin
Ute Stuffer die Schau stimmig konzipiert hat.
Im ersten Stock können die Besucherinnen und Besucher dann tief eintauchen in die Welt Giacomettis. Der thematisch gruppierte Rundgang startet mit Zeichnungen und Lithografien seiner engsten Vertrauten: sein Bruder Diego, seine Frau Annette, seine Mutter, die er jährlich in Stampa besuchte. Modellsitzen war bei Giacometti kein Vergnügen. Stundenlang mussten die Personen in ihrer Körperhaltung verharren und dem Künstler in die Augen blicken. Denn, so der Maler und Bildhauer: „Beherrscht einer das Zeichnen, dann gelingt ihm alles andere auch.“
Dass er viel gezeichnet hat, belegen auch die zahlreichen Skizzen und druckgrafischen Arbeiten,
die einen Einblick in sein Pariser Atelier geben. Beim genauen Hinschauen entdeckt man auf diesen Blättern sogar berühmte Skulpturen, wie der „Schreitende Mann“von 1947/48.
Auf die Atelierszenen folgen Porträts seiner Freunde und Weggefährten. Dazu gesellen sich Gemälde, aus denen ein Mann auf der Straße wie aus einem Nebel tritt, plus eine Reihe schnell hingeworfener Zeichnungen auf Programmheften und Zeitschriften. Blickfang mitten im Saal sind jedoch die von ägyptischen Statuen beeinflussten kleinen Bronzefiguren. Sie sind extrem dünn, während ihre Beine in riesigen Füßen enden, die mit dem Sockel verschmelzen. Mal stehen sie einfach nur starr da, mal breiten sie die Arme spinnengleich in einem Käfig aus.
Zu spüren ist in der Ausstellung immer wieder, wie sehr der Künstler um die Form ringt. In der Zeichnung sind es die lockeren, sich überlagernden Striche; in der Malerei die vielen Farbschichten. In der Skulptur wiederum macht sich das in der bewegten Oberf läche bemerkbar, auf der teilweise noch die Fingerabdrücke zu entdecken sind. Gleichzeitig erkundet Giacometti in allen Gattungen stets aufs Neue die Verortung der menschlichen Figur im Raum. „Der Raum existiert nicht, man muss ihn schaffen“, schrieb Giacometti um 1949 einmal. Leicht nachzuvollziehen ist das in Ravensburg bei seinen Zeichnungen aus dem Spätwerk, wo nur noch Köpfe aus der Leere blicken.
Der Wahl-Pariser war übrigens nie zufrieden mit seinen Kunstwerken. Seine Figuren zum Beispiel überarbeitete er trotz ihres meist überschaubaren Formats bis zu 200-mal, um die ständige Veränderung, in der sich alles Lebendige befindet, festzuhalten. Dieses Scheitern empfand der Künstler aber nicht als Niederlage, sondern es war ein wichtiger Bestandteil seines Werks. „Je mehr man scheitert, desto mehr erreicht man“, soll er gesagt haben. Alberto Giacometti ging in seinem Leben nicht nur künstlerisch, sondern auch körperlich an seine Grenzen. Er war Kettenraucher, aß wenig, trank viel Kaffee und Alkohol. Das zehrte an seiner Gesundheit. 1966 starb er an Herzversagen im Spital in Chur.
Dauer: bis 23. Juni, Öffnungszeiten: Di. 14-18 Uhr, Mi.-So. 11-18 Uhr, Do. 11-19 Uhr, Mo. geschlossen, außer feiertags. Am Donnerstag, 16. Mai, um 18 Uhr spricht Helmut Klewan über seine Sammelleidenschaft und Giacometti.
LONDON (dpa) - „Er hat schreckliche Hauer und schreckliche Klauen und schreckliche Zähne, um Tiere zu kauen“, so beschreibt eine listige Maus ihren vermeintlich imaginären Freund, den Grüffelo, um lästige Fressfeinde loszuwerden. Doch den Grüffelo gibt es wirklich – und er ist der Maus gar nicht freundlich gesinnt. Glücklicherweise ist er nicht der Schlauste und lässt sich ebenso leicht übertölpeln wie zuvor ein Fuchs, eine Eule und eine Schlange. Das – in aller Kürze – ist die Geschichte des Grüffelos. Das gleichnamige Bilderbuch wurde am 23. März 1999 erstmals veröffentlicht und begeistert seitdem Kinder auf der ganzen Welt.
Geschrieben wurde die Geschichte von der Britin Julia Donaldson. Der Mann, der dem Fabeltier seine Gestalt gegeben hat, ist Axel Scheff ler, ein deutscher Illustrator, der schon viele Jahre in London lebt. 18 Millionen Exemplare des Grüffelos und des Folgebuchs „Das Grüffelo-Kind“wurden laut dem britischen Branchenblatt „The Bookseller“inzwischen weltweit verkauft. Das Buch wurde demzufolge in mehr als 107 Sprachen und Dialekte übersetzt. Scheffler freut sich noch immer sehr über den Erfolg. Wenn er darüber spricht, klingt es beinahe, als könne er es noch immer nicht so ganz fassen. „Andererseits“, sagt er, „ist man dann halt für immer der Grüffelo-Illustrator.“
Und das, obwohl der 66-Jährige und die äußerst umtriebige Donaldson (75) in den vergangenen 25 Jahren noch viele andere erfolgreiche Bilderbücher gemeinsam geschaffen haben. „Stickman“etwa, die Geschichte eines lebenden Stöckchens, das eine abenteuerliche Reise zurücklegt und sich doch nichts sehnlicher wünscht, als wieder zu seiner Familie zurückzukehren. Oder „Room on the Broom“über eine Hexe, die gerne neue Freunde findet. Doch so ganz ohne eigenes Zutun ist es nicht, dass der Grüffelo allgegenwärtig scheint: In fast jedem der Bücher hat Scheffler wie im Wimmelbuch irgendwo einen versteckt.
Schefflers Zeichenstil ist nicht von Realismus geprägt, wie er selbst anmerkt. Dafür gelingt es ihm aber, seinen Figuren den Ausdruck eines authentischen Seelenlebens zu verleihen. Authentisch wirkt auch der Mann selbst. Scheff ler ist in Großbritannien eine Berühmtheit, er hat inzwischen schon beinahe Routine bei Begegnungen mit der literaturbegeisterten Königin Camilla. Aber der gebürtige Hamburger macht darum nicht viel Aufhebens. Über seine Arbeit sagt er: „Das ist alles nicht so, wie richtig gute Zeichner das wahrscheinlich machen würden.“Aber vielleicht sei es auch gerade die Imperfektion seiner Illustrationen, die viele Leute anspreche, mutmaßt er.
Die Mittel, die er einsetzt, sind jedenfalls denkbar einfach: Wasserfarben, Buntstifte, Zeichenfeder und Papier. Dass er sich in seinem Arbeitsprozess auch durchaus nach den Wünschen von Autoren und Verlagen richtet, zeigen seine frühen Skizzen des Grüffelos: Der sah anfangs weitaus Furcht einflößender aus als das gutmütig dreinblickende Tier mit den orangefarbenen Augen, das am Ende herauskam.