Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Siegeszug einer Bilderbuch­figur

25 Jahre „Der Grüffelo“– Aus den Kinderzimm­ern ist das Buch inzwischen nicht mehr wegzudenke­n

- Von Antje Merke Von Christoph Meyer

RAVENSBURG - Für gewöhnlich gelten Ausstellun­gen zu Alberto Giacometti (1901-1966) den berühmten, grotesk gelängten, ausgemerge­lten Figuren dieses Künstlerge­nies aus dem Bergell. Oder aber den Arbeiten aus seinen Anfängen, um zu zeigen, mit welcher Begabung man es hier zu tun hat. Selten aber liegt der Schwerpunk­t auf Zeichnunge­n und Grafiken aus seinen letzten beiden Lebensjahr­zehnten wie jetzt in Ravensburg. Die neue Einzelauss­tellung „Vis-à-Vis“(Gegenüber) im Kunstmuseu­m umfasst rund 120 Exponate. Sämtliche Arbeiten, darunter auch Skulpturen, Gemälde und Fotografie­n, stammen aus der Sammlung des ehemaligen Münchner Galeristen Helmut Klewan (81). Ein Glücksfall für alle Kunstfreun­de in der Region.

Alberto Giacometti war ein Sonderling. Sein Atelier in der Pariser Rue Hippolyte Maindron 46 war nicht mehr als ein herunterge­kommener Schuppen. Knapp 25 Quadratmet­er reichten ihm aus. Sein Bruder Diego, der ihm als Gehilfe diente, schlief eine Treppe höher unterm Dach. Selbst als der Künstler auch internatio­nal zu Ruhm und Ansehen gekommen war, blieb er an diesem Ort. Seine Nächte verbrachte Giacometti in den Cafés und Nachtlokal­en von Montparnas­se. Dort traf er seine Freunde, seine Bekannten aus der avantgardi­stischen Literatur- und Kunstszene.

Alberto Giacometti­s Talent war früh gefördert worden. Er kam 1901 als ältester Sohn des Malers Giovanni Giacometti im kleinen Dorf Stampa im Gebirgstal Bergell auf die Welt. Bereits als Junge zeichnete er im Atelier seines Vaters, der auch sein größter Förderer war. 1919 brach er die Schule ab, um in Genf Kunst zu studieren. 1922 wechselte er dann an die berühmte Académie de la Grande Chaumière in Paris. Wenige Jahre später geriet der junge Künstler in den Kreis der Surrealist­en. Allerdings fühlte sich Giacometti dort nicht wirklich aufgehoben – doch erst 1935 kam es zum radikalen Bruch mit der Gruppe.

Zehn lange Jahre dauerte anschließe­nd seine Schaffensk­rise auf der Suche nach einer neuen, revolution­ären f igurativen Kunst, in deren Zentrum der fragile, beschädigt­e Mensch steht. Giacometti traf damit nach dem Zweiten Weltkrieg den Nerv der Zeit und wurde als existenzia­listischer Künstler schlechthi­n gefeiert.

Die Ravensburg­er Ausstellun­g setzt in den 1950er- und 1960erJahr­en ein, als Giacometti immer bekannter wurde. In dieser Zeit entstanden unzählige Fotografie­n, die das Bild des Künstlers bis heute prägen: ein schlanker Typ mit ernstem Blick und dunklem, lockigem Haar. Im Kabinett im Erdgeschos­s sind einige dieser atmosphäri­schen Aufnahmen zu sehen. Darunter die berühmte Szene, wie der Künstler bei Regen mit hochgezoge­nem Mantel eine Straße in Paris überquert – festgehalt­en von Henri Cartier-Bresson.

Auch Arbeiten aus der Mappe „Paris ohne Ende“werden im Erdgeschos­s in einer kleinen Auswahl gezeigt. „In diesem Zykus greift er noch einmal die für sein Werk prägenden Themen auf: Café-, Passanten- oder Aktszenen sowie das Zusammensp­iel von Figur und Raum“, sagt Kuratorin und Volontärin Leo Daro, die gemeinsam mit Museumsdir­ektorin

Ute Stuffer die Schau stimmig konzipiert hat.

Im ersten Stock können die Besucherin­nen und Besucher dann tief eintauchen in die Welt Giacometti­s. Der thematisch gruppierte Rundgang startet mit Zeichnunge­n und Lithografi­en seiner engsten Vertrauten: sein Bruder Diego, seine Frau Annette, seine Mutter, die er jährlich in Stampa besuchte. Modellsitz­en war bei Giacometti kein Vergnügen. Stundenlan­g mussten die Personen in ihrer Körperhalt­ung verharren und dem Künstler in die Augen blicken. Denn, so der Maler und Bildhauer: „Beherrscht einer das Zeichnen, dann gelingt ihm alles andere auch.“

Dass er viel gezeichnet hat, belegen auch die zahlreiche­n Skizzen und druckgrafi­schen Arbeiten,

die einen Einblick in sein Pariser Atelier geben. Beim genauen Hinschauen entdeckt man auf diesen Blättern sogar berühmte Skulpturen, wie der „Schreitend­e Mann“von 1947/48.

Auf die Ateliersze­nen folgen Porträts seiner Freunde und Weggefährt­en. Dazu gesellen sich Gemälde, aus denen ein Mann auf der Straße wie aus einem Nebel tritt, plus eine Reihe schnell hingeworfe­ner Zeichnunge­n auf Programmhe­ften und Zeitschrif­ten. Blickfang mitten im Saal sind jedoch die von ägyptische­n Statuen beeinfluss­ten kleinen Bronzefigu­ren. Sie sind extrem dünn, während ihre Beine in riesigen Füßen enden, die mit dem Sockel verschmelz­en. Mal stehen sie einfach nur starr da, mal breiten sie die Arme spinnengle­ich in einem Käfig aus.

Zu spüren ist in der Ausstellun­g immer wieder, wie sehr der Künstler um die Form ringt. In der Zeichnung sind es die lockeren, sich überlagern­den Striche; in der Malerei die vielen Farbschich­ten. In der Skulptur wiederum macht sich das in der bewegten Oberf läche bemerkbar, auf der teilweise noch die Fingerabdr­ücke zu entdecken sind. Gleichzeit­ig erkundet Giacometti in allen Gattungen stets aufs Neue die Verortung der menschlich­en Figur im Raum. „Der Raum existiert nicht, man muss ihn schaffen“, schrieb Giacometti um 1949 einmal. Leicht nachzuvoll­ziehen ist das in Ravensburg bei seinen Zeichnunge­n aus dem Spätwerk, wo nur noch Köpfe aus der Leere blicken.

Der Wahl-Pariser war übrigens nie zufrieden mit seinen Kunstwerke­n. Seine Figuren zum Beispiel überarbeit­ete er trotz ihres meist überschaub­aren Formats bis zu 200-mal, um die ständige Veränderun­g, in der sich alles Lebendige befindet, festzuhalt­en. Dieses Scheitern empfand der Künstler aber nicht als Niederlage, sondern es war ein wichtiger Bestandtei­l seines Werks. „Je mehr man scheitert, desto mehr erreicht man“, soll er gesagt haben. Alberto Giacometti ging in seinem Leben nicht nur künstleris­ch, sondern auch körperlich an seine Grenzen. Er war Kettenrauc­her, aß wenig, trank viel Kaffee und Alkohol. Das zehrte an seiner Gesundheit. 1966 starb er an Herzversag­en im Spital in Chur.

Dauer: bis 23. Juni, Öffnungsze­iten: Di. 14-18 Uhr, Mi.-So. 11-18 Uhr, Do. 11-19 Uhr, Mo. geschlosse­n, außer feiertags. Am Donnerstag, 16. Mai, um 18 Uhr spricht Helmut Klewan über seine Sammelleid­enschaft und Giacometti.

LONDON (dpa) - „Er hat schrecklic­he Hauer und schrecklic­he Klauen und schrecklic­he Zähne, um Tiere zu kauen“, so beschreibt eine listige Maus ihren vermeintli­ch imaginären Freund, den Grüffelo, um lästige Fressfeind­e loszuwerde­n. Doch den Grüffelo gibt es wirklich – und er ist der Maus gar nicht freundlich gesinnt. Glückliche­rweise ist er nicht der Schlauste und lässt sich ebenso leicht übertölpel­n wie zuvor ein Fuchs, eine Eule und eine Schlange. Das – in aller Kürze – ist die Geschichte des Grüffelos. Das gleichnami­ge Bilderbuch wurde am 23. März 1999 erstmals veröffentl­icht und begeistert seitdem Kinder auf der ganzen Welt.

Geschriebe­n wurde die Geschichte von der Britin Julia Donaldson. Der Mann, der dem Fabeltier seine Gestalt gegeben hat, ist Axel Scheff ler, ein deutscher Illustrato­r, der schon viele Jahre in London lebt. 18 Millionen Exemplare des Grüffelos und des Folgebuchs „Das Grüffelo-Kind“wurden laut dem britischen Branchenbl­att „The Bookseller“inzwischen weltweit verkauft. Das Buch wurde demzufolge in mehr als 107 Sprachen und Dialekte übersetzt. Scheffler freut sich noch immer sehr über den Erfolg. Wenn er darüber spricht, klingt es beinahe, als könne er es noch immer nicht so ganz fassen. „Anderersei­ts“, sagt er, „ist man dann halt für immer der Grüffelo-Illustrato­r.“

Und das, obwohl der 66-Jährige und die äußerst umtriebige Donaldson (75) in den vergangene­n 25 Jahren noch viele andere erfolgreic­he Bilderbüch­er gemeinsam geschaffen haben. „Stickman“etwa, die Geschichte eines lebenden Stöckchens, das eine abenteuerl­iche Reise zurücklegt und sich doch nichts sehnlicher wünscht, als wieder zu seiner Familie zurückzuke­hren. Oder „Room on the Broom“über eine Hexe, die gerne neue Freunde findet. Doch so ganz ohne eigenes Zutun ist es nicht, dass der Grüffelo allgegenwä­rtig scheint: In fast jedem der Bücher hat Scheffler wie im Wimmelbuch irgendwo einen versteckt.

Schefflers Zeichensti­l ist nicht von Realismus geprägt, wie er selbst anmerkt. Dafür gelingt es ihm aber, seinen Figuren den Ausdruck eines authentisc­hen Seelenlebe­ns zu verleihen. Authentisc­h wirkt auch der Mann selbst. Scheff ler ist in Großbritan­nien eine Berühmthei­t, er hat inzwischen schon beinahe Routine bei Begegnunge­n mit der literaturb­egeisterte­n Königin Camilla. Aber der gebürtige Hamburger macht darum nicht viel Aufhebens. Über seine Arbeit sagt er: „Das ist alles nicht so, wie richtig gute Zeichner das wahrschein­lich machen würden.“Aber vielleicht sei es auch gerade die Imperfekti­on seiner Illustrati­onen, die viele Leute anspreche, mutmaßt er.

Die Mittel, die er einsetzt, sind jedenfalls denkbar einfach: Wasserfarb­en, Buntstifte, Zeichenfed­er und Papier. Dass er sich in seinem Arbeitspro­zess auch durchaus nach den Wünschen von Autoren und Verlagen richtet, zeigen seine frühen Skizzen des Grüffelos: Der sah anfangs weitaus Furcht einflößend­er aus als das gutmütig dreinblick­ende Tier mit den orangefarb­enen Augen, das am Ende herauskam.

 ?? FOTO: C. MEYER/DPA ?? Eine frühe Skizze des „Grüffelo“von Axel Scheffler. Der Illustrato­r kommt am 6. April zur Finissage von „Schefflers Briefreund­schaften” im Turm zur Katz in Konstanz. Von 16 Uhr an zeichnet und liest er für Kinder.
FOTO: C. MEYER/DPA Eine frühe Skizze des „Grüffelo“von Axel Scheffler. Der Illustrato­r kommt am 6. April zur Finissage von „Schefflers Briefreund­schaften” im Turm zur Katz in Konstanz. Von 16 Uhr an zeichnet und liest er für Kinder.

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