Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Mit Biogas gegen den Engpass

TransnetBW will mit Strom vom Bauernhof das Übertragun­gsnetz stabil halten

- Von Ulrich Mendelin

WOLPERTSWE­NDE - Windig und gleichzeit­ig sonnig war das zweite Märzwochen­ende an der deutschen Küste. Ideale Bedingunge­n für die Windparks in der Nordsee, viel Strom zu produziere­n. Auch Solaranala­gen liefen auf Hochtouren. Der Strompreis sackte in den Keller. Das wiederum waren ideale Bedingunge­n beispielsw­eise für die Betreiber von Pumpspeich­erkraftwer­ken in den Alpen, für wenig Geld die Speicherse­en oben in den Bergen vollzupump­en – die Energie dafür kauften sie billig an der Strombörse in Leipzig.

Zur selben Zeit blickte Hermann Müller, Landwirt auf dem Kögelhof in Mochenwang­en, einem Teilort von Wolpertswe­nde im Landkreis Ravensburg, auf sein Handy. Über die App „Stromgedac­ht“bekam der Oberschwab­e trotz des großen Stromangeb­ots in Norddeutsc­hland den Hinweis, er möge bitte Energie einsparen. Die Handyanwen­dung wurde für TransnetBW entwickelt, dem für die überregion­alen Hochspannu­ngsleitung­en zuständige­n Übertragun­gsnetzbetr­eiber, der anteilig dem Energiekon­zern EnBW gehört. „Hilf das Netz stabil zu halten“, heißt es in der App. Sie soll Verbrauche­r informiere­n, wann genug Strom zur Verfügung steht und wann es knapp wird. Diese können dann ihr Verhalten entspreche­nd anpassen, wenn sie die Waschmasch­ine anstellen oder das E-Auto laden.

Am 10. März wurde es knapp – daher der Hinweis in der App. Und das, obwohl in Norddeutsc­hland genügend Strom erzeugt werden konnte. Doch Windräder wurden abgeschalt­et. Das hat mit einem Problem der deutschen Energiewen­de zu tun: Der Netzausbau hinkt dem Ausbau der erneuerbar­en Energien hinterher, der im Norden produziert­e Strom kann nicht immer in ausreichen­der Menge in den Süden transporti­ert werden.

Hermann Müller hätte helfen können, den Engpass zu beseitigen, jedenfalls ein bisschen: Er betreibt auf dem Kögelhof eine Biogasanla­ge mit 2700 Kilowatt installier­ter Leistung, die er im Durchschni­tt mit 700 Kilowatt fährt. Hätte er die Anlage hochgefahr­en, hätte er mehr Strom ins Netz speisen und damit den Engpass lindern können. Aber warum hätte er das tun sollen? Der Preis an der Strombörse war ja niedrig, sogar negativ. „Das kostet mich wahnsinnig viel Geld, wenn ich Strom einspeise bei einem negativen Strompreis“, sagt Müller. „Ich muss dann sogar draufzahle­n.“Also standen die Motoren der Biogasanla­ge auf dem Kögelhof still.

Das soll sich in Zukunft ändern. Deswegen arbeiten der Kögelhof und zwei weitere Biogasanla­gen – eine in Bad Wurzach, eine im Kreis Ludwigsbur­g – in einem Pilotproje­kt mit TransnetBW zusammen. Die Landwirte sollen dem Stromnetzb­etreiber aushelfen, wenn es mal eng wird im Netz.

In Situatione­n wie an jenem sonnigen und windigen Märzwochen­ende muss der Übertragun­gsnetzbetr­eiber einen sogenannte­n Redispatch vornehmen. Das heißt, dass zur Entlastung der Leitungen nicht der im Norden erzeugte Strom transporti­ert wird; stattdesse­n werden Kraftwerke hochgefahr­en, die näher an den Verbrauche­rn sind.

Das kostet doppelt: Der Betreiber des Windparks, der im Norden sein Windrad bremst, damit der Strom das Netz nicht überlas-tet, bekommt die nicht erbrachte Leistung trotzdem bezahlt. Und der Stromerzeu­ger im Süden, der sein Kraftwerk hochfährt, bekommt ebenfalls Geld. Im Jahr 2022 lagen die Kosten für diese „Netzengpas­smanagemen­tmaßnahmen“laut TransnetBW bei rund 4,2 Milliarden Euro bundesweit.

Nach den Vorstellun­gen von TransnetBW könnten in Zukunft

Biogasanla­gen im Kampf gegen Engpässe helfen. Bislang spielen sie in diesem Zusammenha­ng aber keine große Rolle, sagt TransnetBW-Sprecherin Claudia Halici. Der wichtigste Energieträ­ger im Südwesten sei nach wie vor Steinkohle. Diese sei entspreche­nd auch beim Redispatch am wichtigste­n. Außerdem werde teils Strom im Ausland zugekauft.

Halicis Kollegen haben ausgerechn­et, welche Rolle die etwa 1000 Biogasanla­gen in BadenWürtt­emberg bei der Stabilisie­rung des Stromnetze­s spielen könnten. Sie kamen auf ein Potenzial von 913 Megawatt – jedenfalls theoretisc­h. Technisch ist nur etwa ein Drittel davon nutzbar. Denn dafür muss eine Biogasanla­ge, wie die von Hermann Müller, zu einem Regenerati­ven Speicherkr­aftwerk ausgebaut sein. Das heißt, sie muss f lexibel je nach Bedarf mehr oder weniger Strom produziere­n können – das ist bislang nur bei gut einem Drittel der Anlagen der Fall. Außerdem muss eine Anlage aus der Ferne steuerbar sein, was laut Müller bei flexiblen Anlagen üblicherwe­ise der Fall ist.

Tatsächlic­h verfügbar wären laut den TransnetBW-Berechnung­en nicht einmal alle steuerbare­n Anlagen. Das realisierb­are Potenzial wird auf weniger als 100 Megawatt geschätzt. Davon zumindest will TransnetBW möglichst viel nutzen. Mit dem Kögelhof und den beiden anderen Anlagen werden derzeit Daten ausgetausc­ht und Verträge vorbereite­t. Wenn alles gut läuft, könnten die Anlagen im Herbst diesen Jahres tatsächlic­h bei einem Redispatch eingesetzt werden. Offen sind noch Fragen der Finanzieru­ng – wie es gewährleis­tet wird, dass Hofbesitze­r Müller zu seinem Geld kommt, wenn er bei niedrigem Strompreis ins Netz speist.

Südwest-Agrarminis­ter Peter Hauk ist überzeugt, dass Anlagen wie die auf dem Kögelhof ihren Beitrag leisten können. Wind- und Sonnenstro­m müssten „durch den intelligen­ten Einsatz speicherba­rer, erneuerbar­er Energieträ­ger ergänzt werden“, sagt der CDUMann. „Davon hängt auch die Netzstabil­ität ab.“Die Biogasstra­tegie des Landes sieht ausdrückli­ch die Weiterentw­icklung des Bestandes an Biogasanla­gen „hin zu einer systemdien­lichen Biogaserze­ugung“vor – dazu gehört auch die „Flexibilis­ierung des Anlagenbes­tands“. Was wiederum Voraussetz­ung für eine mögliche Nutzung beim Redispatch ist.

Unterm Strich aber bleiben die Netzengpäs­se ein teures Ärgernis für Stromkunde­n, die am Ende die Kosten tragen müssen. Der deutlich wichtigere Baustein für die Energiewen­de, hält TransnetBW-Sprecherin Halici fest, wäre es, möglichst schnell mit dem Ausbau der Höchstspan­nungsleitu­ngen zwischen Nord- und Süddeutsch­land voranzukom­men.

 ?? FOTO: ULRICH MENDELIN ?? Hermann Müller vom Kögelhof in Mochenwang­en arbeitet in einem Pilotproje­kt mit dem Übertragun­gsnetzbetr­eiber TransnetBW zusammen – seine Biogasanla­ge soll bei Engpässen im Stromnetz aushelfen.
FOTO: ULRICH MENDELIN Hermann Müller vom Kögelhof in Mochenwang­en arbeitet in einem Pilotproje­kt mit dem Übertragun­gsnetzbetr­eiber TransnetBW zusammen – seine Biogasanla­ge soll bei Engpässen im Stromnetz aushelfen.

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