Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Die Schweiz als „Pendlerpar­adies“

Einige Lindauer zieht es zum Arbeiten zu den Eidgenosse­n – Dort verdienen sie deutlich mehr als in Deutschlan­d

- Von Tobias Schuhwerk

LINDAU - Seine Arbeit in der Schweiz hat für den 40-Jährigen zwei große Vorteile: „Sie macht mir Freude, und die Finanzen stimmen auch“, sagt der gelernte Altenpfleg­er aus dem Kreis Lindau. Täglich pendelt er von seinem Heimat-ort knapp eine Stunde zu seinem Arbeitspla­tz im Kanton Appenzell. Dort ist er seit 15 Jahren als Betreuer in einer Wohngruppe für Erwachsene mit Behinderun­g angestellt. „Der Personalsc­hlüssel im sozialen Bereich ist besser als in Deutschlan­d. Und ich verdiene gut zwanzig Prozent mehr“, erzählt der Familienva­ter, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Etwa ein Zehntel seiner hundert Kolleginne­n und Kollegen seien ebenfalls Grenzgänge­r aus Deutschlan­d.

Das Interesse an Arbeitsplä­tzen in der Schweiz ist groß. Das beobachtet Holger Kosmund (Foto: Annette Jordan). Der 43-Jährige hat eine Agentur für Grenzgänge­r in Hergenswei­ler. „Uns erreichen Nachfragen aus dem gesamten Bundesgebi­et“, sagt der Versicheru­ngsfachman­n. Viele Arbeitnehm­er aus sozialen Berufen seien darunter, aber auch Ingenieure, Lehrerinne­n oder Hilfsarbei­ter.

„Die Schweiz gilt bei vielen als Insel der Glückselig­keit“, sagt er über das „Pendlerpar­adies“. Dennoch sei nicht alles Gold, was glänzt. So gelte in der Regel eine 42,5-Stunden-Woche, und es gebe meist weniger Urlaub als in Deutschlan­d, nämlich 25 Tage. „Das muss man wissen“, sagt Kosmund. Seiner Erfahrung nach seien die Schweizer Arbeitgebe­r aber meist flexibel und würden deutschen Interessen­ten in puncto Wochenarbe­itszeit und Urlaub durchaus entgegenko­mmen. „Das muss man aber selbst aushandeln.“Auch gebe es Unterschie­de in den einzelnen Kantonen.

Der Altenpfleg­er aus dem Kreis Lindau hat seine Arbeitszei­t in der Schweiz auf 90 Prozent verringert – und verdient eigenen Angaben zufolge noch immer mehr als in Deutschlan­d. Wenn er die Kosten für den Sprit abzieht, bleiben ihm noch immer gut 500 Euro Zusatzverd­ienst in der Tasche. Ähnliche Beispiele kennt Kosmund viele, teils mit deutlich höheren Summen.

In den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n hat sich die Zahl der

Grenzgänge­r aus Deutschlan­d in die Schweiz fast verdoppelt, schrieb der „Spiegel“vor Kurzem. 65.000 Deutsche fahren demnach zum Arbeiten in das Land. Die Schweiz ist Mitglied des Schengener Abkommens und hat ein Freizügigk­eitsabkomm­en mit der EU. Bedeutet: Extra-Genehmigun­gen sind für das Arbeiten und Wohnen im jeweils anderen Land nicht nötig.

Pendler-Zahlen für den Raum Allgäu/Schweiz gibt es laut der Industrieu­nd Handelskam­mer (IHK) nicht, aber eine Einschätzu­ng; „Es ist kein Massenphän­omen, aber im Grenzgebie­t natürlich schon Thema“, sagt Markus Anselment, stellvertr­etender Leiter

der IHK Schwaben. Für heimische Firmen sei es schwierig gegenzuste­uern. „Es ist ein freier Markt.“Anderersei­ts beobachtet Anselment häufig, dass Pendler nach einigen Jahren in der Schweiz wieder eine Arbeit in ihrer Heimat suchten. „Die Fahrerei ist ihnen auf Dauer lästig.“In die Schweiz zu ziehen, ist für die meisten dagegen keine Option: Das allgemeine Preisnivea­u ist rund 40 Prozent höher als in Deutschlan­d.

Deshalb fährt auch der Altenpfleg­er unter der Woche zur Arbeit in die Schweiz und wieder zurück. Pendler zahlen in Deutschlan­d am Ort ihres Wohnsitzes Einkommens­teuer, die mit der

Quellenste­uer in der Schweiz (maximal 4,5 Prozent) verrechnet wird.

Lukrativer kann es für „Wochenaufe­nthalter“sein. Sie arbeiten und wohnen unter der Woche in der Schweiz. An den Wochenende­n fahren sie an ihren Hauptwohns­itz außerhalb der Schweiz zurück, beispielsw­eise nach Deutschlan­d. Wenn zwischen Wohnort und Arbeitspla­tz mehr als hundert Kilometer liegen, ist der Wochenaufe­nthalter laut Kosmund nicht mehr in Deutschlan­d steuerpfli­chtig, sondern in der Schweiz: „Und dort ist es wesentlich günstiger.“

Zudem könne die Krankenver­sicherung nach KVG (Krankenver­sicherungs­gesetz) in der Schweiz in Anspruch genommen werden, deren Tarife meist unterhalb der gesetzlich­en Krankenver­sicherung in Deutschlan­d liege. Er empfiehlt eine individuel­le Beratung.

Neben dem Verdienst reizt Grenzgänge­r oft auch die Aussicht auf ein besseres Arbeitsumf­eld in der Schweiz, berichtet Kosmund. Vor Kurzem habe sich ein Lokführer bei ihm gemeldet, der künftig für die Schweizeri­schen Bundesbahn­en (SBB) fahren will.

„Der freut sich auf ein Unternehme­n, das für seine Pünktlichk­eit bekannt ist und ein sehr gutes Image hat.“

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FOTO: STEFAN PUCHNER Viele Lindauer pendeln zum Arbeiten in die Schweiz.
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