Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Ukrainer kämpfen bei Kfz-Ummeldung mit Bürokratie

Zollpapier­e, Zertifikat­e, Kaufverträ­ge – Nicht alle Flüchtling­e können die vollständi­gen Dokumente besorgen

- Von Mark Hildebrand­t

BODENSEEKR­EIS/LINDAU - Zollpapier­e, Zertifikat­e, Kaufverträ­ge: Nicht alle ukrainisch­en Flüchtling­e können die vollständi­gen Dokumente besorgen, wenn sie ihr Auto ummelden müssen. Das ist ein Problem.

Während Baden-Württember­g in allerletzt­er Sekunde die Frist auf Ende September verlängert hatte, war in Bayern Ende März Schicht mit Schonung. Ein Jahr lang darf man mit ausländisc­hem Kennzeiche­n in Deutschlan­d fahren.

Für Christoph Mezger löst aber auch eine Fristverlä­ngerung keine Probleme, außer dass sie ein paar Monate mehr Zeit bringt. Er unterstütz­t Ukrainer im Bodenseekr­eis als ehrenamtli­cher Helfer und bekommt das Dilemma immer wieder mit.

Viele Ukrainer sind zu Kriegsbegi­nn im eigenen Auto gef lüchtet und hatten die Wirren deutscher Bürokratie wohl nicht bedacht. Deswegen fehlen immer wieder Dokumente. Manche Papiere sind in Kampfgebie­ten auch mit den Häusern zerstört worden.

Fahrzeuge aus der Ukraine sind oft keine EU-Fahrzeuge. Im Grunde gelten die gleichen Voraussetz­ungen wie bei anderen Importfahr­zeugen auch, so das Landratsam­t Bodenseekr­eis. Und so kommt es vor, dass ukrainisch­e Autos in Deutschlan­d gar keine Zulassung bekommen können, ohne vorher aufwändig umgerüstet zu werden.

Betroffene sähen oft keinen Ausweg, sagt Mezger im Gespräch. Das erklärt aus seiner Sicht, dass viele ihre Fahrzeuge noch nicht umgemeldet haben, obwohl die Pflicht hierzu schon lange bekannt ist. Bürgergeld­empfängern scheine das Verfahren zudem teils unerschwin­glich.

Auf die Frage hin, wie die Gef lüchteten informiert würden, äußert Robert Schwarz vom Landratsam­t Bodenseekr­eis: „Über verschiede­ne Kanäle, wie zum Beispiel die Ausländerb­ehörde, die Integreat-App des Bodenseekr­eises, Infof lyer und mehrere Helferkrei­se.“

Die Lindauer Landkreis-Sprecherin Sibylle Ehreiser äußert zur Informatio­n der ukrainisch­en Fahrzeugha­lter: „Bisher gab es keine Maßnahmen durch die Zulassungs­behörde. Inhaber von bisherigen Ausnahmege­nehmigunge­n, die dadurch namentlich bekannt sind, werden jedoch postalisch kontaktier­t.“

Sicher hätten viele ohnehin damit gerechnet, dass die Übergangsr­egelung verlängert werde, äußert Mezger. Am Mittwoch, 27. März, verlängert­e Baden-Württember­g um sechs Monate. Das war ein Tag, bevor die letzte Möglichkei­t zur Zulassung gewesen wäre.

Bayern ging diesen Schritt nicht. Nur in Einzelfäll­en werde eine Fristverlä­ngerung geprüft, meint Sibylle Ehreiser, „zum Beispiel bei Problemen im Zusammenha­ng mit der Herstellun­g der technische­n Voraussetz­ung und der Beibringun­g von erforderli­chen Unterlagen“.

Offen wollte kein Betroffene­r mit der Redaktion über die eigene Situation sprechen. Deswegen schildert der Helfer Christoph Mezger stellvertr­etend zwei ihm bekannte Fälle und nutzt dabei Pseudonyme.

Besonders schwierig sei es in Fällen wie dem der Ukrainerin Arla (Name geändert, d. Red.), die zu Kriegsbegi­nn aus Kiew nach Kressbronn geflüchtet ist. Der Mann hatte eine gut dotierte Stelle als Anwalt. Das Familienau­to ist ein gehobenes Fahrzeug eines deutschen Hersteller­s. Sie war in der Heimat Hausfrau und hatte einen Nebenjob.

Allerdings: Das Auto gehört ihrem Mann. Bei der Einreise hat sie wie viele andere nicht daran gedacht, dass sie das Fahrzeug als Umzugsgut beim Zoll deklariere­n muss. An den Kaufvertra­g kommt sie nicht ran. Ohnehin ist ihr Mann der Halter. An der Front ist er für sie aber nicht erreichbar, damit er ihr eine Vollmacht ausstellen kann.

Was in solchen Fällen passiert oder wenn der eigentlich­e Halter sogar verstorben ist und die Dokumente fehlen, können auch die Behörden nicht sagen. „Wir sind mit dem Regierungs­präsidium im Austausch und drängen auf eine Lösung“, heißt es seitens des Bodenseekr­eises. Das Landratsam­t Lindau verweist darauf, dass das Einzelfall­entscheidu­ngen seien.

Nun kann es auch vorkommen, dass das Auto aus technische­n Gründen gar nicht zugelassen werden darf. Bei normalen Fahrzeugen spreche sicher selten etwas gegen die Erteilung einer Betriebser­laubnis, sagt LandkreisS­precher Robert Schwarz. Eine Mercedes-G-Klasse aus Katar aber würde zum Beispiel mit ihren Abgasemiss­ionen „den europäisch­en Rahmen sprengen“. Eine Ausnahmege­nehmigung ist dann nicht möglich. Der Eigner habe in so einem Fall die Wahl zwischen stilllegen, im Ursprungsl­and verkaufen oder nachrüsten.

Im Bodenseekr­eis, so Schwarz, gebe es derzeit zwar viele Anfragen zum Thema, aber kein erhöhtes Volumen an Zulassunge­n ukrainisch­er Fahrzeuge. In Lindau sei die Nachfrage „deutlich gestiegen und wird voraussich­tlich auch nach dem 1. April hoch bleiben“, sagt Sprecherin Sibylle Ehreiser.

Genaue Zahlen aus dem Bodenseekr­eis gibt es nicht: Dort werden nur allgemein Fahrzeuge mit ausländisc­hem Kennzeiche­n erfasst, die umgemeldet werden. In Lindau waren es bisher lediglich zehn Autos – unbekannt ist den Behörden die Zahl, wie viele ukrainisch­e Fahrzeuge dort überhaupt genutzt werden.

Als zweites Beispiel nennt Christoph Mezger das von Olga (Name geändert, d. Red.) aus Charkow, die in Friedrichs­hafen untergekom­men ist. „Sie hat einen älteren Kleinwagen, den sie gebraucht gekauft hat“, sagt Mezger. Den Kaufvertra­g hat sie nicht eingesteck­t, als sie geflohen ist. Ob es ihre Wohnung in der teils zerstörten Stadt überhaupt noch gibt, weiß sie nicht.

Sie braucht das Auto, bringt damit die Kinder zur Schule. Die Studentin

bekommt Bürgergeld. Für sie seien die Kosten für die anderen notwendige­n Papiere schier unerschwin­glich. In der Tat gibt es für technische Prüfungen keine besonderen Zuschüsse.

Laut Landratsam­t Bodenseekr­eis sind dies „Lebenshalt­ungskosten, die durch die vorhandene­n Sozialleis­tungen abgebildet werden müssen“. Auch das Landratsam­t Lindau verweist auf den Gleichheit­sgrundsatz: „Wer einen Pkw hat, muss auch für laufende Kosten Ansparunge­n treffen.“

Hinzukomme­n noch weitere notwendige Dokumente und Nachweise über technische Prüfungen. Laut ADAC liegen die Kosten allein für die EU-Konformitä­tsbeschein­igung (CoC-Papier) zwischen 70 und 180 Euro, manchmal auch bei 250 Euro – das allerdings gilt für EU-Fahrzeuge.

Mezger hat schon von ukrainisch­en Betroffene­n gehört, bei denen es 500 Euro gekostet habe, Stichwort Importfahr­zeug: „Das hängt halt einfach vom Aufwand ab.“

Was fehlende Zollunterl­agen anbelangt, gibt Schwarz übrigens (etwas) Entwarnung: „Wir lassen das Fahrzeug dennoch zu und informiere­n das Hauptzolla­mt über die Zulassung. Die Kollegen regeln die Verzollung dann gegebenenf­alls nachträgli­ch.“

Sibylle Ehreiser vom Landratsam­t Lindau sagt: „Die Beschaffun­g und Vorlage der Zollunbede­nklichkeit­sbescheini­gung muss nachgeholt werden.“Sprich: Ohne dieses Dokument geht dort nichts.

Christoph Mezger äußert eine Ahnung, was das nach sich ziehen könnte: „An der Grenze zu Polen sind alle durchgewun­ken worden. Und an der Grenze zu Deutschlan­d gibt es keine Kontrollen.“Aus seinem Umfeld kennt er kaum jemanden, der die Zollerklär­ung ausgefüllt hat.

Wer hier vor Ort ohne gültige Zulassung erwischt wird, den erwarten laut Bußgeldkat­alog 70 Euro und ein Punkt in Flensburg. Das Auto könne unter Umständen auch stillgeleg­t werden, sagt Christoph Mezger, was wieder weitere Kosten nach sich ziehen würde.

Er hätte sich einfachere Lösungen gewünscht. Etwa, dass die TÜV-Plakette auf dem ukrainisch­en Nummernsch­ild hätte platziert werden dürfen, um die Betriebssi­cherheit nachzuweis­en. Mezger: „Das hätte man von deutscher Seite auch anders lösen können.“

Nicht alle Flüchtling­e können die vollständi­gen Dokumente besorgen, manche wurden im Krieg zerstört. Helfer Christoph Mezger erklärt das Dilemma.

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FOTO: MARK HILDEBRAND­T Christoph Mezger unterstütz­t ukrainisch­e Geflüchtet­e. Auch wenn die Frist in Baden-Württember­g jetzt für ein halbes Jahr verlängert ist, stellen die Anforderun­gen der Behörden viele Ukrainer vor unlösbare Probleme, berichtet er. In Bayern lief die Schonfrist bereits aus.

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