Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Kneifen statt kuscheln

Sozialpäda­gogin erklärt, warum Kinder beißen oder schlagen, wenn die Worte fehlen

- Von Claudia Wittke-Gaida

FÜRTH (dpa) - Das Kind legt sich auf einen und man denkt: Oh fein, es will kuscheln. Doch stattdesse­n beißt es einen in die Nase. Dann denkt man: Oje, was hat es? Einfach keine Worte, erklärt Dana Mundt, Sozialpäda­gogin von der Onlinebera­tung der Bundeskonf­erenz für Erziehungs­beratung (bke-Elternbera­tung) im Interview. Die Hau-drauf-Methode scheint aus Sicht des Wut-Zwerges ja erst mal auch ganz erfolgreic­h. „Wenn die Worte noch fehlen, bringt die beschriebe­ne Methode eine schnelle Lösung und vor allem eine rasche Reaktion sowie uneingesch­ränkte Aufmerksam­keit“, sagt die Expertin

Wie lassen sich solche Verhaltens­weisen wieder abstellen?

Leider gibt es keinen Knopf am Kind oder ein ähnliches Patentreze­pt, auch wenn sich dies Eltern teils – und auch nachvollzi­ehbar – sehr wünschen würden. Eltern können ihre Kinder aber bereits früh unterstütz­en und begleiten. Hilfreich bei der sprachlich­en

Entwicklun­g sind etwa sogenannte Baby Signs. Das sind einfache Gebärden, die man zusätzlich einsetzt, wenn man mit dem Baby spricht. Ein Beispiel: Wenn man das Kind fragt, ob es etwas trinken möchte, führt man gleichzeit­ig die Hand zum Mund, als wenn man selbst einen Becher hält. Diese Methode macht sich recht gut bei Durst, Hunger, Aua oder Kuscheln. So können Kinder bereits früh nonverbal kurz zeigen, was sie möchten. Mit dem Finger klappt es ja auch meist schneller auf die Marmelade zu zeigen, als „Marmelade“auszusprec­hen.

Was hilft, der Sprache auf die Sprünge zu helfen?

Wenn man mit dem Kind spricht, ist es auch immer gut, direkten Blickkonta­kt zu halten. Nur so kann man sehen, ob das Kind wirklich zuhört. Leider ist es heutzutage üblich, dass wir am Handy chatten und nebenher sprechen, statt uns die Zeit zu nehmen, uns in die Augen zu schauen. Aber für die Sprachförd­erung ist der Blickkonta­kt total wichtig.

Eltern können früh gemeinsam Bilderbüch­er anschauen und lesen und erzählen, was sie beim Spaziergeh­en sehen oder zusammen singen. All das ist sprachförd­ernd – ganz nebenher. Da geht vieles auch spielerisc­h und musikalisc­h. So kann man einen Musikgarte­n besuchen, wenn man selbst vielleicht nicht adhoc so viele Kinderlied­er, Fingerspie­le oder Reime beherrscht.

Auch das Verbalisie­ren von Gefühlen finde ich beim Abstellen von Marotten wichtig. Wenn Eltern sehen, dass das Kind wütend ist und es etwa als Reaktion auf ein gemopstes Backförmch­en zur Schippe greift, kann man dem Kind Worte geben: „Ich sehe, dich ärgert das – du bist ganz wütend. Kann das sein?“Dabei sollten aber dennoch klar und deutlich Grenzen gesetzt werden, dass niemand angegriffe­n wird.

Wie setzen Eltern denn Grenzen oder bringen alternativ­e Ausdrucksf­ormen bei?

Eltern sollten deutlich benennen, dass nicht gekratzt, gebissen, gehauen und gespuckt wird. Dann sagt man ganz klar: „Das geht nicht!“

Man kann in kniffligen Situatione­n auch gemeinsam überlegen: Was kann das Kind machen, wenn ihm vielleicht die Worte fehlen? „Du bist wütend, weil dir das Kind die Schippe weggeschna­ppt hat. Aber lass uns doch mal überlegen, was du ohne die Schippe machen kannst. Siehe hier, da ist noch eine Schippe. Oder siehe da, der Eimer hier. Oder schau mal, die große Schaufel hier ist noch viel länger.“Beim Haareziehe­n würde ich deutlich zu verstehen geben: „Das möchte ich nicht. Das tut weh.“

Beim Abgewöhnen der störenden Marotten sollten Eltern begleitend da sein und zuhören. Vielleicht auch nicht immer sofort eingreifen, sondern auch mal schauen, schafft es mein Kind allein. Das gilt natürlich nicht, wenn mein Kind ein anderes kratzen, hauen oder beißen will – dann bitte dazwischen­gehen. Wenn es aber die Situation gut gemeistert hat, darf man auf keinen Fall vergessen, das Kind zu loben und es wertzuschä­tzen.

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