Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Zufriedene Spielverderber
Stuttgart hat nach seinem Sieg in Dortmund die Qualifikation für Europa praktisch sicher
DORTMUND - Als die Stuttgarter Party-Crasher nach dem 1:0-Erfolg bei Borussia Dortmund nach und nach aus den Katakomben des Stadions traten, herrschte keine ausgelassene Stimmung, keine Flaschen wurden geöffnet, keine Gesänge angestimmt. Aktuell gibt es noch Euphorieverbot, denn bislang ist nichts geschafft, die Saison nicht abgeschlossen. Doch dass etwas Großes auf die Brustringtruppe wartet, konnten Spieler und Offizielle nach dem zehnte Spiel ohne Niederlage in Folge nicht verbergen. Alle einte Zufriedenheit. „Das war ein Big Point heute und eine der umkämpftesten Herausforderungen der Saison“, sagte Sportdirektor Fabian Wohlgemuth „über die Partie mit besonderer Bedeutung“.
Denn angesichts der prächtigen Ausgangslage als Tabellendritter und nun ganzen sieben Punkten Vorsprung auf den Konkurrenten aus dem Ruhrgebiet können die Schwaben eigentlich schon für die Königsklasse planen. Mittelfeldspieler Angelo Stiller meinte jedoch zurückhaltend: „Es ist ein ordentlicher Abstand, aber wir wissen, es sind noch sechs Spiele.“Die Teilnahme an der Europa League ist bei 18 Zählern Vorsprung auf den Sechsten aus Frankfurt dennoch so gut wie perfekt. So stimmte VfB-Trainer Sebastian Hoeneß in die Hochstimmung ein. „Das fühlt sich nach einem Big Win an. Wir sind richtig happy, ich bin richtig stolz“, kommentierte der Coach den hart erkämpften Erfolg.
Warum es trotzdem „nur“große Zufriedenheit, aber noch keinen riesigen Jubel gab? Schlichte Mathematik. „Wir haben jetzt 60 Punkte. Die werden dieses Jahr aber nicht reichen. Die haben, glaube ich, sehr oft gereicht, aber wir werden dieses Jahr deutlich mehr Punkte brauchen. Und deswegen sind wir ganz gut beraten, uns ganz schnell wieder auf Frankfurt zu konzentrieren“, sagte Hoeneß in Bezug auf die Königsklasse und in Richtung des kommenden Gegners.
Dass die Stuttgarter mittlerweile überhaupt realistisch an solche Szenarien denken, ist das Ergebnis der Entwicklung, die vor allem Hoeneß seit seinem Amtsantritt
„Wenn man so viele Punkte hat, bedeutet das, dass man eine Topsaison spielt.“Angelo Stiller
eingeleitet hat. Ein Erfolg gegen Dortmund, nach dem Hinspiel (2:1) und dem DFB-Pokal-Duell (2:0) bereits der dritte nacheinander, ist längst keine Überraschung mehr. Man ist auf Augenhöhe mit den ganz Großen des Landes. Und kürzlich noch geltende Ordnungen sind überholt.
„Leider haben wir dieses Spiel verloren. Wir hätten einen Punkt verdient gehabt, aber der VfB war heute sehr effektiv“, formulierte ein geknickter Dortmunder Sportdirektor Sebastian Kehl, der auch aufgrund der Umstände noch zusätzlich haderte: „Der Rahmen hätte mehr verdient.“
Doch übernahm im Duell der eigentlich gleichwertigen Tabellennachbarn Serhou Guirassy die Rolle des Stimmungskillers, der den BVB-Profis und -Fans die Partystimmung zum 50. Geburtstag ihres Stadions gründlich verdarb. Während sich die Dortmunder Offensive um Niclas Füllkrug vergeblich um einen Treffer bemühte und beste Chancen ausließ, schlug Guirassy (64. Minute) eiskalt zu. Und nicht nur das. Der Torjäger erzielte damit seinen 24. Treffer in der Bundesligasaison und stellte den Vereinsrekord von Clublegende Mario Gomez aus der Spielzeit 2008/09 ein – bei noch sechs ausstehenden Partien.
Doch nicht nur die Offensive, die ganze Mannschaft hat seit einiger Zeit einen Lauf, der in Deutschland aktuell nur von Bayer Leverkusen übertroffen wird. „Wir sind eine Top-Mannschaft – auf und neben dem Platz. Top, top, top“, erklärte der von Union Berlin ausgeliehene Jamie Leweling in bester Pep-Guardiola-Manier. Der gegen Dortmund auf der für ihn ungewöhnlich defensiven Position aufgebotene Stiller führte an: „Wenn man so viele Punkte hat, bedeutet das, dass man eine Topsaison spielt, aber es gilt noch so viele Punkte wie möglich zu holen.“
Dass man derzeit punktgleich mit dem strauchelnden Rekordmeister aus München hinter Bayer Leverkusen in der Tabelle liegt, lässt am Wasen allerdings nicht die Fantasie durchgehen. So verkniff sich Sportdirektor Wohlgemuth nach dem fünften Bundesliga-Auswärtssieg in Serie eine Kampfansage an die Bayern. „Das hört sich gut an“, sagte Wohlgemuth mit einem breiten Grinsen: „Es war ein besonderes Erlebnis. Wir haben Zähne gezeigt — über das ganze Spiel.“Und weiter: „Klar ist es so. Wenn wir jetzt da oben stehen tun wir natürlich alles dafür, um da zu bleiben.“
Damit spätestens am 34. Spieltag die ausgelassene Feier steigen kann.