Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Paragraf 218 wackelt
Von der Ampel eingesetzte Kommission empfiehlt Lockerung des Abtreibungsrechts – Kirche warnt – Union erwägt Klage in Karlsruhe
BERLIN (KNA) - Die Grünen hatten es in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt: Eine eigens dafür eingesetzte Kommission sollte prüfen, inwieweit die Abtreibungsgesetzgebung auch außerhalb des Strafgesetzbuches geregelt werden kann. Vor einem Jahr konstituierte sich das vor allem aus Juristen, Medizinern und Ethikern bestehende Gremium. Seine Empfehlungen zur Abtreibungsfrage, aber auch zu Fragen einer Liberalisierung von Eizellspende und nichtkommerzieller Leihmutterschaft wollen die Mitglieder am kommenden Montag in Berlin vorstellen.
Bereits an diesem Montagnachmittag zitierte der „Spiegel“aus dem Abschlussbericht. Demnach empfiehlt das Gremium eine Liberalisierung: „Die grundsätzliche Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs in der Frühphase der Schwangerschaft ist nicht haltbar.“Die aktuellen Regelungen im Strafgesetzbuch hielten einer „verfassungsrechtlichen, völkerrechtlichen und europarechtlichen Prüfung“nicht Stand.
Die derzeitige Gesetzeslage gilt seit Mitte der 1990er-Jahre. Nach Wiedervereinigung und einem vom Verfassungsgericht in Karlsruhe kassierten liberaleren Bundestagsbeschluss verständigten sich die Abgeordneten auf das noch heute gültige „Schwangerenund Familienhilfe-Änderungsgesetz“.
Demnach ist ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich rechtswidrig; er bleibt jedoch straflos, wenn er in den ersten zwölf Wochen vorgenommen wird. Zudem muss die Frau sich zuvor beraten lassen, und zwischen Beratung und Abbruch müssen mindestens drei Tage liegen. Und: Ausdrücklich nicht rechtswidrig ist eine Abtreibung nach einer Vergewaltigung, bei Gefahr für das Leben oder die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren.
In die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission wurden insgesamt 18 Experten und Expertinnen aus den Bereichen Medizin, Recht und Ethik berufen. In dem Gremium sind 15 Frauen und drei Männer vertreten. Sie haben sich auf zwei Arbeitsgruppen aufgeteilt, von denen die eine sich um Leihmutterschaft und Eizellspende, die andere um Paragraf 218 kümmert.
Zur letztgenannten Arbeitsgruppe gehören die frühere Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Christiane Woopen, und die
Vorsitzende des Deutschen Juristinnenbundes, Maria Wersig. Dabei ist nicht ganz unwichtig, dass der Juristinnenbund bereits ein Gutachten erstellt hat, wie Paragraf 218 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden könnte.
Allerdings ist das Gremium auch selbstbewusst genug, um eigene Akzente zu setzen: Im vergangenen Jahr lud es verschiedene Verbandsvertreter und die Kirchen zu einer Anhörung; das war ursprünglich nicht vorgesehen. Und die Kommission reagierte damit auch auf Kritik an einer zu einseitigen — weil zu liberalen – Besetzung des Gremiums.
Die evangelische Kirche nahm die Anhörung zum Anlass, eine revidierte Sichtweise auf die Abtreibung vorzulegen. Sie betonte, sie könne sich unter bestimmten Bedingungen eine Regelung außerhalb des Strafrechts – abhängig unter anderem vom Stadium der Schwangerschaft – vorstellen. Katholische Verbände wie Caritas und Sozialdienst katholischer Frauen SkF hatten sich für eine Beibehaltung der bisherigen Regelung ausgesprochen.
Der katholische Familienbischof Heiner Koch warnt davor, am sogenannten Abtreibungsparagrafen 218 zu rütteln. „Die bestehende Regelung hält sowohl die Not und Sorge der Mutter als auch den Schutz des ungeborenen Kindes hoch. Das durch eine
Neuregelung zu gefährden, halte ich für sehr problematisch“, sagte der Berliner Erzbischof, der in der Deutschen Bischofskonferenz die Familien-Kommission leitet, der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Aus seiner Sicht habe sich der in Paragraf 218 ausgehandelte Kompromiss bewährt, so Koch weiter: „Es ist ein Weg, der unserer pluralen Gesellschaft gerecht wird. Ich würde zwar das Leben lieber noch stärker schützen — aber auch das nur auf dem Weg der Überzeugung“, fügte er hinzu: „Als Kirche sind wir der Ansicht, dass das ungeborene Leben geschützt werden muss. Ich bin aber auch der festen Überzeugung, dass das nur zusammen mit den Frauen, nach Möglichkeit auch mit dem Partner und nicht gegen sie geht.“Unionsfraktionsmanager Thorsten Frei rechnet mit einer Klage der Unionsfraktion vor dem Bundesverfassungsgericht, falls die Ampelkoalition Schwangerschaftsabbrüche in den ersten zwölf Wochen generell straffrei stellen sollte.
Falls sich die Koalition entsprechende Vorschläge einer Arbeitsgruppe unabhängiger Experten der Bundesregierung zu eigen mache, „würde das zwangsläufig dazu führen“, dass man in Karlsruhe klagen werde, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Abgeordneten am Dienstag in Berlin.
Frei warnte eindringlich davor, mit einem solchen Vorstoß gesellschaftliche Konf liktlinien nach dem Kompromiss um das Abtreibungsrecht aus den 1990er-Jahren wieder neu aufzureißen. Dies sei „grundüberf lüssig“in einer Situation, in der die Koalition ganz andere Probleme zu bewältigen habe wie etwa die Wirtschaftskrise oder die steigende Kriminalitätsrate. „Es wäre grundfalsch, weitere gesellschaftliche Konflikte zu provozieren“, betonte der CDU-Politiker. Es gebe zu dem Thema zwar noch keinen Beschluss der Fraktion. Aber „ich bin mir ziemlich sicher, dass ich da auch für die Fraktion sprechen kann“.
Falls die nun bekannten Empfehlungen des Gremiums tatsächlich umgesetzt werden, muss sich die Regierung mit der Gesetzgebung sputen, damit der Bundestag noch in dieser Legislaturperiode über ein Gesetz entscheiden kann. Fachleute gehen allerdings davon aus, dass der Reformeifer sich bei den meisten Ministern und Ministerinnen in Grenzen halten wird, auch deshalb, weil die Bedenken groß sind, dass es erneut vom Bundesverfassungsgericht einkassiert wird.