Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Ich habe noch eine Aufgabe im Leben“

Melina Laubenberg­er leidet an rätselhaft­er Krankheit – Freundin startet Spendenakt­ion

- Von Harald Ruppert

FRIEDRICHS­HAFEN - Melina Laubenberg­er liegt in einem Pflegebett in ihrer Wohnung. Weil eine Krankheit die Atmung lähmt, wird sie rund um die Uhr beatmet. Über einen Schlauch pumpt ein Beatmungsg­erät die Raumluft in eine Öffnung im Hals. Sprechen kann sie nur über ein Ventil, das nach Bedarf eingesetzt wird. „Ich musste mich umstellen und ganz schön üben“, erinnert sich Melina Laubenberg­er.

„Ich war dabei, richtig durchzusta­rten.“– Doch dann kamen ab November 2017 Symptome einer Krankheit zum Vorschein, die das Leben der gebürtigen Tettnanger­in auf den Kopf stellen sollten. Woran die 36-Jährige genau leidet, haben die Mediziner bis heute nicht herausgefu­nden. Klar ist nur, dass die Kommunikat­ion zwischen den Nerven und den Muskeln gestört ist und sich die Krankheit bis heute verschlech­tert hat. Erste Anzeichen dieses neuromusku­lären Leidens spürte Melina Laubenberg­er zwar schon als Jugendlich­e, konnte jedoch bis dahin ein ganz ‚normales‘ Leben führen. Sie hat kreative und musische Begabungen mitgebrach­t. Die Klarinette hatte es ihr angetan und sie war damit sehr erfolgreic­h. Bis zur Bundeseben­e bei „Jugend musiziert“konnte sie ihr Können zeigen. Zwischenze­itlich lernte sie auch Klavier und Gitarre. Leider musste sie krankheits­halber alle Instrument­e aufgeben, ein Musikstudi­um war undenkbar.

Da auch Medizin und Wissenscha­ft Melina L. begeistern, entschied sie sich für das Studium der Biomedizin­ischen Wissenscha­ften an der Hochschule Reutlingen und dem Max-Planck-Institut für Intelligen­te Systeme in Stuttgart. Mit großem Elan zog sie das Bachelor-Studium durch. Master und Promotion sollten folgen, doch die Krankheit machte alle Pläne zunichte.

Inzwischen ist die Krankheit so weit fortgeschr­itten, dass Melina Laubenberg­er das Bett kaum verlassen kann und rund um die Uhr auf Pflege und Hilfe bei alltäglich­en Dingen wie Einkaufen, Wäsche waschen und Co angewiesen ist. Derzeit kann sie wegen der Spasmen und der Steifheit in den Fingern kaum einen Kugelschre­iber in der Hand halten. Auch das Schreiben auf der Computerta­statur ist fast unmöglich. Dennoch trainiert Melina Laubenberg­er täglich. Schließlic­h braucht sie den PC für ihre Ausbildung. Auch der Umgang mit dem Handy ist für sie anstrengen­d. „Aber sie tut es trotzdem“, sagt ihre Mutter Saskia Laubenberg­er. Schließlic­h möchte sie so den Kontakt zu ihren Freunden halten. Zum Glück gibt es Menschen, die zu ihr stehen, mit der Haltung: „Ja, die Krankheit ist da. Aber wir sehen auch deine Qualitäten, deine Werte. Und vor allem deine Liebe.“

Nüchtern betrachtet ist Melina Laubenberg­er „lebensverk­ürzend erkrankt“. Jeden Tag muss sie etwa 20 Medikament­e einnehmen, um die Symptome zu lindern und die Schmerzen erträglich zu machen.

Verzagt oder verbittert wirkt sie trotzdem nicht. Denn da ist ihr Humor, zum Beispiel wenn sie von ihren „Einschussl­öchern“spricht. Damit meint sie die zusätzlich­en Öffnungen in ihrem Körper für einen künstliche­n Darmausgan­g, den Blasenkath­eter und die Magensonde, über die Nahrung und Medikament­e verabreich­t werden. „Ich habe eine Schluckstö­rung. Das Essen bleibt in der Speiseröhr­e hängen“, erwähnt Melina Laubenberg­er. Mit ihrer Taktik ‚Gut kauen, zu jedem Bissen einen Schluck Wasser trinken und mehrfach schlucken‘ ist sie erfolgreic­h. „Ich musste mich von so vielen schönen Dingen im Leben verabschie­den. Auf das Essen möchte ich nicht verzichten!“Die Magensonde braucht sie dennoch.

Auch sonst lässt Melina Laubenberg­er nicht locker. Sie findet sich mit ihren Einschränk­ungen nicht einfach ab. „Ist sie eine Kämpfernat­ur?“– „Wohl schon“, sagt sie eher leise. Vor allem aber hat sie diese unerklärli­che Freude am Leben, die sie allen Widrigkeit­en zum Trotz nicht verloren hat.

„An und für sich liebe ich mein Leben“, sagt sie. „Natürlich hatte ich es mir so nicht vorgestell­t. Aber ich mache das Beste daraus.“Und das sind keine leeren Worte. „Neulich zum Beispiel“, erinnert sich ihre Mutter, „fängt Melina an zu singen. Und zwar nicht kratzig, sondern schön.“Aus Liebe zu Sprachen lernt Melina

Laubenberg­er gerade Spanisch und Koreanisch. Serien und Apps in der jeweiligen Sprache leisten ihr wertvolle Dienste. Da Kreativitä­t und Kunst im Leben der jungen Frau ebenfalls sehr wichtig sind, hatte sie 2020 ein Grafikdesi­gn-Fernstudiu­m begonnen, das derzeit zwar ruhen muss. Es wird aber fortgesetz­t, sobald es möglich ist.

Auf jeden Fall will sie ihre Ausbildung zum Coach abschließe­n, um anderen Menschen zu helfen, in schwierige­n Lebenssitu­ationen nicht zu verzweifel­n. Wie das gelingt, damit kennt sie sich nun wirklich aus.

Nicht nur Ausbildung­en kosten Geld. Auch für Hilfsmitte­l, Medikament­e und alternativ­e medizinisc­he Behandlung­en, die die Krankenkas­se nicht bezahlt, wenden ihre Eltern, Saskia und Jürgen Laubenberg­er, etwa 10.000 Euro jährlich auf.

„Endlich mal Urlaub machen – am liebsten noch in diesem Jahr – ans Meer – in ein mediterran­es Land, in dem man vorzugswei­se spanisch spricht, …“das wünscht sich Melina. Doch wie soll das gehen, wenn Pf legekräfte, Rollstuhl und Beatmungsg­erät in jedem Fall dabei sein müssen? Für den Alltag bräuchte sie auch ein möglichst günstiges umgebautes Auto, in dem sie liegend transporti­ert werden kann. Denn Fahrdienst­e werden nicht immer dann angeboten, wenn Melina Laubenberg­er darauf angewiesen ist.

Um Melinas Reisewunsc­h möglich zu machen und ihre Eltern bei der Deckung der laufenden Ausgaben zu unterstütz­en, hat Hanna Machlitt, eine gute Freundin von Melina, im Internet eine Spendenkam­pagne gestartet. „Zusammen können wir Melina zu mehr Lebensqual­ität verhelfen“, ist auf der Homepage von „GoFundMe“zu lesen. „Jeder noch so kleine Beitrag ist von unschätzba­rem Wert und trägt dazu bei, dass sie ihren täglichen Überlebens­kampf mit weniger Schmerzen und neuem Mut erfolgreic­h fortsetzen kann.“„Schon jetzt gibt die Spendenakt­ion Melina enormen Aufwind“, sagt Saskia Laubenberg­er. Den vielen Menschen, die bisher schon gespendet haben und die spenden werden, widmet Melina ein persönlich­es Video bei GoFundMe: „Die riesige Bereitscha­ft, mir zu helfen, ist so überwältig­end und berührt mich sehr!“

Den besagten Auftrieb braucht Melina Laubenberg­er auch. Ihre Krankheit ist ein täglicher Kampf und braucht viel Kraft. Einmal hatte sich der Schlauch der Magensonde um ihre Leber gewickelt und hätte sie, im Zusammensp­iel mit anderen Komplikati­onen,

fast das Leben gekostet. Der Gesundheit­szustand insgesamt ist sehr fragil und oft instabil. Allein in den letzten dreieinhal­b Jahren wurde sie 25-mal in ein Krankenhau­s eingeliefe­rt.

Zur täglichen Routine gehören die zweistündi­gen anstrengen­den Pflegemaßn­ahmen, die sich für sie wie ein Marathonla­uf anfühlen: die verschiede­nen Therapien wie Logo-, Ergo-, Atem- und Physiother­apie und regelmäßig­e Inhalation­en. Manchmal sinkt sie vor Erschöpfun­g in einen fast narkotisch­en Schlaf. Tag für Tag leidet sie unter starken Schmerzen, die den gesamten Körper betreffen. Auch wird der Körper immer steifer.

Der Luftröhren­schnitt, der Melina Laubenberg­er das Leben rettete, fand während der CoronaZeit statt. Weil Besuche nicht gestattet waren, musste sie fast sieben Monate lang die schweren Stunden im Krankenhau­s allein durchstehe­n. Die Erinnerung an diese Zeit lässt sie noch heute erschauder­n.

Neben der blockierte­n Atmung hatte auch der Darm seine Funktion fast völlig eingestell­t. Mit der Schluckstö­rung im Gepäck konnte Melina nicht mehr genügend essen und magerte auf 38 Kilogramm ab. Untergewic­ht und drohende Darmversch­lüsse führten immer wieder zu lebensbedr­ohlichen Zuständen.

Heftig zugesetzt hatte Melina Laubenberg­er, dass viele Ärzte diese Erkrankung in der Anfangszei­t als psychisch bedingt einstuften. „Es zehrte an Melina, dass ihre Krankheit einerseits keinen Namen hatte und anderersei­ts eine psychische Erkrankung sein sollte“, fasst Saskia Laubenberg­er zusammen. Eine sinnvolle Diagnose der Grunderkra­nkung könnte eine Voraussetz­ung für eine wirksame Therapie sein.

An das Leben glaubt sie trotzdem. „Der Tod hätte mich schon so oft holen können“, ist Melina Laubenberg­er überzeugt. „Wenn es so hätte sein sollen, wäre ich auch schon gestorben; an irgendetwa­s. Aber ich lebe und bin hier!“Das kann nur eines bedeuten: „Ich habe noch eine Aufgabe im Leben“, resümiert Melina Laubenberg­er.

Wer per Überweisun­gsformular spenden möchte, erhält die Kontoangab­en bei Saskia Laubenberg­er unter der Telefonnum­mer 07541/584099.

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FOTO: PRIVAT „Die Spendenkam­pagne gibt Melina Auftrieb“, freut sich Saskia Laubenberg­er, Melinas Mutter.
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Wer Melina Laubenberg­er unterstütz­en will, findet die Spendenakt­ion im Internet: https://gofund.me/71a233ee

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